Brillenschaf, Leinegans oder Großspitz werden im Amt Neuhaus liebevoll gehegt. 30 seltene Rassen leben dort

Dellien/Amt Neuhaus. Das Brillenschaf, der Großspitz, die Leinegans oder das Deutsche Shorthorn - sie alle gehören zu den vom Aussterben bedrohten 90 Nutztierrassen in Deutschland. Den Erhalt dieser und anderer auf der Roten Liste notierten Haustierrassen verfolgen zehn Hofbesitzer im Amt Neuhaus und dem angrenzenden Mecklenburg Vorpommern.

Entstanden ist die erste Arche-Region Deutschlands. Insgesamt 30 bedrohten Rassen von der Gans bis zum Pferd leben mittlerweile in der Region. Offiziell wird ihr auf der Grünen Woche in Berlin die Anerkennung von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) verliehen.

Hans-Jürgen Niederhoff aus Dellien ist einer der ersten, der auf den Geschmack des Besonderen gekommen ist. Seit zwei Jahren hegt und pflegt er auf seinem idyllischen Hof in Dellien neben prächtigen Vorwerkhühnern auch schokoladenbraune und mit weißer Gesichtsmaske gezeichneten Thüringer Wald Ziegen sowie Rauwollige Pommersche Landschafe. Als treuer Freund begleitet ihn Bruno, ein Deutscher Großspitz, der ebenfalls zu den extrem gefährdeten Nutztierrassen zählt.

In Zeiten industrialisierter Landwirtschaft beherrschen heute spezialisierte Hochleistungsrassen den Markt, die große Mengen Milch, Fleisch und Eier liefern. "Dabei geht die genetische Vielfalt verloren", sagt Antje Feldmann, Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH). "Viele der alten regionalen Rassen zeichnen sich durch hohe Widerstandsfähigkeit aus. Sie sind besonders fruchtbar und über Generationen an den jeweiligen Standort angepasst."

Jede Woche stirbt auf der Erde eine Nutztierrasse aus, hat die GEH errechnet. In Deutschland ist zuletzt 1975 mit dem Deutschen Hausschwein eine Rasse für immer verloren gegangen. Auf der Roten Liste stehen 100 Haustierrassen, von denen jede dritte als extrem gefährdet eingestuft ist.

Der 63-jährige Bauer Niederhoff züchtet neben den beschriebenen Exoten auch Wildpferde und Auerochsen, die auf gepachteten Ländereien Wind und Wetter ausgesetzt sind.

Mit 35 Hektar Land im Besitzt betreibt er die Landwirtschaft im Nebenerwerb. Vor zwei Jahren weckte Hartmut Heckenroth, Geschäftsführer der Stork-Foundation im Storchendorf Preten sein Interesse an den alten Rassen. "Nie hätte ich gedacht, dass ich nochmals eine Ziege melken würde", sagt Niederhoff. Zu diesem Hobby gehöre eine gutes Stück Idealismus. "Hauptsache ist, dass wir helfen, eine gefährdete Art zu erhalten."

Nach und nach dezimiert sich die Zahl der konventionellen Tiere auf dem Delliener Hof. So haben die Position der üblichen Hofhühner stolze Vorwerkhühner übernommen. Die Rasse wurde vor 100 Jahren von Oskar Vorwerk aus Othmarschen (einem heutigen Stadtteil von Hamburg) geschaffen. Sein planmäßig erarbeitetes Zuchtziel sah ein außergewöhnlich schönes Nutztier vor, das gleichermaßen für die Repräsentation in den damals parkähnlichen Gärten der vorstädtischen Villenviertel geeignet sein sollte.

Motor der Arche Noah für Haustiere am nördlichen Elbufer ist Hartmut Heckenroth von der "Stork-Foundation - Störche für unsere Kinder". Der 72-Jährige war lange Leiter der Staatlichen Vogelwarte Niedersachsen. "Wir wollen nicht spielen und auch keinen Zoo", sagt er. "Wir wollen helfen alte Haustierrassen, die nicht mehr in das wirtschaftliche Denken hineinpassen, zu erhalten." Zudem hoffen die Beteiligten - inklusive des Leiters der Biosphärenreservatsverwaltung Niedersächsische Elbtalaue, Johannes Prüter - auf eine Belebung des ländlichen Raumes, "wo wirtschaftlich nichts passiert", so Heckenroth.

Er zählte im vergangenen Jahr rund 1500 Touristen, die sich Führungen von der Storkenkate in Preten aus anschlossen. Für die Zukunft der Region wünscht sich der Naturschützer, dass Familien mit Kindern das Radwegenetz durch diese wunderschönen Ländereien des Amt Neuhaus mit Alleen alter Obstsorten nutzen, um von Arche-Betrieb zu Arche-Betrieb zu radeln.