Die ehemalige Bischöfin liest aus ihrem Buch “In der Mitte des Lebens“ in der Buchhandlung am Markt
Lüneburg. Zum ersten Mal seit ihrem Rücktritt als hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende kam Margot Käßmann nach Lüneburg. In der Buchhandlung am Markt las die 52-Jährige aus ihrem Buch "In der Mitte des Lebens". Innerhalb von vierzig Minuten waren die 85 Karten für die Lesung von Margot Käßmann ausverkauft. Anscheinend wollten viele Lüneburger sie wenigstens einmal live gesehen haben - ob aus Interesse an ihrem Buch, purem Voyeurismus oder weil sie noch immer die "Bischöfin der Herzen" ist.
19.45 Uhr. Die Buchhandlung hat jeden verfügbaren Stuhl im ersten Stock aufgestellt, fast alle sind bereits besetzt. Käßmann soll in der Ecke mit den Hörbüchern lesen. Die Menschen tuscheln und warten gespannt. Alle betonen, sie seien nicht wegen der Alkoholfahrt und den Konsequenzen, die Käßmann daraus gezogen hat, gekommen. Trotzdem geben viele freimütig zu, das Buch nicht gelesen zu haben.
19.50 Uhr, Auftritt Käßmann. Sie trägt einen beigen Hosenanzug, passende Pumps und dezenten Goldschmuck. Die Gespräche werden leiser, alle starren in Richtung Käßmann, die mit Inhaber Jan Orthey spricht. Dann zieht sie sich in Richtung Lift zurück.
19.59 Uhr. Käßmann kommt zurück und spricht sich kurz mit Orthey ab, der trägt einen Tisch nach vorn. Viele aus dem - überwiegend weiblichen - Publikum haben kurz vor Beginn der Lesung noch "In der Mitte des Lebens" erstanden. Alle Einnahmen des Abends sollen der Diakonie zugute kommen.
Um 20.01 Uhr geht Margot Käßmann allein nach vorn, hält sich zunächst aber abseits. Sie wirkt etwas verloren. Jan Orthey tritt ans Rednerpult, das Licht geht aus, die Gespräche verstummen. Orthey zählt die Eckdaten aus Margot Käßmanns Leben auf: 1958 geboren in Marburg, Studium der Theologie, ab 1999 Bischöfin, 2010 Rücktritt von allen Ämtern. Nach weiteren lobenden Worten tritt um 20.04 Uhr Margot Käßmann selbst ans Mikrofon.
Sofort spürt man ihr Talent, Menschen zu fesseln und trotzdem authentisch zu bleiben. "Ich komme gern nach Lüneburg", sagt sie, natürlich. Dann geht es los, es ist ihre letzte von drei Lesungen in Niedersachsen. "In der Mitte des Lebens" ist eine Reflektion des Lebens, aber auch ein Blick in die Zukunft. Intelligent und witzig beschäftigt sich Käßmann mit Themen wie Jugendlichkeit, Schönheit, Einsamkeit oder Scheitern. Immer wieder macht sie Anmerkungen ("Kein Scherz, ich hab das recherchiert"), erzählt frei ("Ach das kann ich auch so erzählen, hab ich ja schließlich geschrieben") oder muss lachen: "Das habe ich vor zwei Jahren geschrieben, das empfinde ich jetzt ganz anders". Und das Publikum lacht mit, ist den Rest der Zeit gespannt. Erst nach 25 Minuten wagt es jemand zu husten.
Käßmann gibt viel Preis, erzählt von ihrer Familie und ihrer Brustkrebsdiagnose. Dass alle viel betroffener gewesen seien als sie, dass die Krankheit sie das Scheitern ihrer Ehe akzeptieren ließ. Das Publikum ist ganz still. Als von draußen Motorenlärm zu hören ist, blicken alle vorwurfsvoll in Richtung der abgedunkelten Fenster.
Beim Sprechen gestikuliert die Mutter von vier Töchtern mit der rechten Hand und befeuchtet mit der Zunge ihren Zeigefinger zum Umblättern. Es dürfen Fragen gestellt werden. Käßmann ist ab August Dozentin in Atlanta - ob sie aus den USA zurückkommen wolle. "Natürlich komme ich zurück, ich möchte gern in Deutschland leben", sagt sie. Käßmann schließt, ganz Theologin, gegen 21 Uhr mit dem Apostel Paulus. Applaus, dann lassen sich fast alle ihre Bücher signieren.. Sie wünschen Käßmann "alles Gute" und tragen ihre Bücher wie Trophäen zurück.
21.17 Uhr, Abgang Käßmann. Vor der Buchhandlung verabschiedet sie sich von Jan Orthey und steigt in die bereitstehende dunkle Limousine mit Bremer Kennzeichen. Sie sitzt im Fond, wirkt aufgekratzt. Der Wagen biegt gerade in die Bardowicker Straße, da lässt sie den Fahrer anhalten. Eine Frau reicht ihr nach einem kurzen Gespräch einen Flyer entgegen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Margot Käßmann so beliebt ist: Sie nimmt sich für jeden Zeit.