1200 Studenten beginnen ihr Studium an der Universität in Lüneburg. Zuletzt gab es auf dem Campus viel Streit.
Lüneburg. Ein wenig neidisch auf die vor - und aus Platzmangel auch hinter ihm - Sitzenden sei er schon, gab der Ehrengast zu: Prof. Manfred Lahnstein, Bundesfinanzminister a. D., wäre heute gern auch noch einmal Student, bei diesen "vorzüglichen Bedingungen".
So habe es während seines eigenen Studiums in Köln Ende der Fünfziger Jahre weder Einführungsvorträge noch Startwochen gegeben, kein BAföG, keine Darlehen, kein interdisziplinäres Arbeiten. Was es gab, waren Vorlesungsgebühren und Seminargebühren, erinnerte sich der ehemalige Minister gestern Morgen bei der Begrüßung der neuen Erstsemester an der Leuphana Universität Lüneburg in St. Michaelis.
Als Ausgleich, gestand der Sozialdemokrat und Volkswirt, nahm zu seinen Zeiten jeder Arbeitgeber Akademiker "mit Kusshand, auch ohne vorzügliches Examen". Den Begriff Akademikerarbeitslosigkeit habe es nicht gegeben, "geschweige denn die Realität". Das wiederum sei etwas, worum heutige Studenten die damaligen beneiden könnten.
Zur Situation an der neu strukturierten und mit Fördermitteln der EU gesegneten Lüneburger Uni sagte Lahnstein: "Natürlich hat hier einiges Baustellencharakter. Das ist aber bei jeder Neuerung so." Die Studenten sollten sich freuen, "Bestandteil dieses Innovationsprozesses" zu sein: "Akzeptieren Sie bereitwillig die damit verbundenen Vorläufigkeiten und Veränderungen." Es mache am Ende jedem Freude, in einer Pionierphase mitgearbeitet zu haben, sie würden "später mit Befriedigung daran zurückdenken".
Ihr Studium zu genießen, dazu hatte die neuen Studenten zu Beginn des Vormittags Uni-Präsident Sascha Spoun aufgefordert. Freilich meinte er damit nicht "den oberflächlichen Genuss eines Bieres vor dem Fernseher". Was er meinte, ist der "schöpferische Genuss im Sinne Wilhelm von Humboldts". Was das wiederum bedeutet, erklärte er den jungen Wissbegierigen so: das Gefühl, etwas Einzigartiges vollbracht zu haben, etwas, das ohne das eigene Zutun nicht verwirklicht worden wäre. "Ich habe es geschafft, es ist gelungen - das ist ein unvergleichlicher Genuss."
Bei dieser Gelegenheit sagte Spoun den Neustartern noch einiges, was sie in Anbetracht kontroverser Diskussionen um Bachelor-Studiengänge, Jobchancen und engerer Verzahnung von Uni und Wirtschaft verblüfft haben dürfte. Die Universität sei nämlich "kein Durchlauferhitzer zwischen Schule und Beruf", sagte der Präsident. Studierende sollten sich Zeit nehmen und zum Beispiel lieber zwei als ein Auslandssemester einplanen. Spoun: "Es geht nicht um Geschwindigkeit." Und es gehe im Studium auch nicht darum, was verwertbar sei oder Gewinn bringe. Aber um die Übernahme von Verantwortung: "Legen Sie sich fest. Entscheiden Sie sich. Beziehen Sie Position."
Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) freute sich, 1200 neue Studenten in der Stadt begrüßen zu können: "Sie bringen uns das weiße Gold der Moderne." Und "jugendliche Energie", und "manchmal auch Wahlergebnisse, die manchmal nicht so gefallen", merkte er als Kopf des schwarz-roten Rats der Stadt zu den jüngsten Wahlen an. Bei der Europa- und Bundestagswahl hatten die Grünen jeweils stark zugelegt.
Auch Mädge schloss seine Begrüßung mit einer Aufforderung: "Lüneburg ist die Stadt der kurzen Wege. Nutzen Sie das Rad, den Bus und den Zug nach Hamburg."
Für den Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) deuteten Philine Busch und Mathias Ahrens zur umstrittenen Neuorientierung der Universität an: Viel gestritten habe man in letzter Zeit, dem Alten wolle man nun weder hinterher trauern noch es vergessen, sondern "das Beste aus der heutigen Situation machen".
Heute sind die Studis auf einer Rallye in der Stadt unterwegs, nächste Woche wartet das Kunst-Projekt "Streetart" auf sie. Am Montag danach beginnen dann auch schon die Vorlesungen - und Professor Lahnstein blickt vielleicht ein wenig neidisch von Hamburg nach Lüneburg.