Basthorst/Geesthacht. Musikerin Carolin Broosch aus Schwarzenbek lebt aktuell von Hartz IV. Kulturschaffende hoffen auf Zuschüsse vom Bund.
„Unsere Veranstaltung begann im Mai dieses Jahres, und Milana von Ruffin und ich waren überwältigt, wie gut die Konzerte von den Zuhörern angenommen wurden“, zieht Carolin Broosch ein positives Fazit. Die gebürtige Schwarzenbekerin hat in Deutschland und Norwegen Musik und Musikpädagogik studiert, ist Violinistin, spielte in diversen Orchestern und Ensembles, war Konzertmeisterin am Osloer Nationaltheater.
Bis 2019 lebte sie mit ihrem brasilianischen Mann Tiago Cosmo und ihren Kindern in Rio de Janeiro, wo sie an der Deutschen Schule tätig war und in den Favelas die „Camerata de Laranjeiras“ gründete. Im vergangenen Jahr kamen Broosch und ihre Familie zurück nach Deutschland: Heimweh und die unsichere Lage in Rio führten sie nach Lübeck. Dort wollte die 38-Jährige eigentlich als Musiklehrerin an einer Grundschule arbeiten, doch die Anstellung scheiterte, weil ihr norwegischer Uni-Abschluss nicht anerkannt wurde – Norwegen ist kein EU-Mitgliedsland.
Musiker haben Sehnsucht nach Publikum und Applaus
Doch Broosch gab nicht auf und arbeitete als Musikerin – bis zum ersten coronabedingten Lockdown. Als die ersten Konzerte wieder möglich waren, kontaktierte sie Milana von Ruffin, Chefin auf Gut Basthorst. Die kannte sie bereits von einem Konzert im Januar mit brasilianischer Musik. „Das war sehr gut beim Publikum und auch bei der Familie Ruffin angekommen“, so Broosch, die daraufhin die Einladung erhielt, weitere Konzerte auf dem Gut zu realisieren. So entstand die Konzertreihe „Musik ist systemrelevant“ auf Gut Basthorst. „Wir haben letztendlich 21 Künstler und Bands auf das Gut geholt, die Spendengelder von einem immer größer werdenden Publikum erhalten haben“, berichtet die 38-Jährige.
Zu Beginn war die Reihe nur für ein bis zwei Monate angedacht. „Aber ich war überrascht, wie viele Musiker sich gemeldet haben, um auf dem Gut zu spielen“, sagt Broosch. Natürlich seien sich alle bewusst, dass die eingenommenen Spendengelder die „normalen“ Verdienste eines professionellen Musikers nicht decken können. „Doch allein der Kontakt zum Publikum, der Applaus, und das ,gemeinsam die Krise ansprechen und bewältigen’ hat viele Musiker begeistert und sie motiviert, nächstes Jahr wiederzukommen“, sagt die Musikerin, die sich auf eine Fortsetzung der Konzertreihe im kommenden Jahr freut. „Ich bin dem Gut Basthorst sehr dankbar, dass die Konzertreihe auch von einem tollen Hygienekonzept und mit stets gut bedachtem Abstand über fünf Monate unterstützt wurde und freue mich auf eine Fortsetzung.“
Ausgebildete Konzertmeisterin lebt jetzt von Hartz IV
Eigentlich war als letztes Konzert vor der Winterpause ein Auftritt der Liedermacherin Marie Diot am Sonntag, 7. November, geplant, der jetzt dem erneuten Lockdown zum Opfer gefallen ist. Zuhörer zu den Konzerten kamen aus der Region rund um Hamburg in den Rosengarten und später das Restaurant „Pferdestall“ des Gutes. „Jeder Musiker und jede Band wurde vom Publikum sehr herzlich und offen angenommen“, so die Organisatorin. Durch die Monate entwickelte sich ein Stammpublikum, das sich sehr an der großen Vielfalt der Musikstile von Barockmusik über BossaNova, Blues, Jazz bis World Musik erfreute.
Der Lockdown trifft Broosch jedoch nicht nur als Konzertveranstalterin, sondern auch als Musikerin: „Ich bedaure es sehr, dass nun Konzerte im November verboten sind.“ Im Oktober hatte sie zwei Auftritte im Rahmen des von der Landesregierung finanzierten Schleswig Holstein Kulturfestival, das auch in Mölln gastierte. „Ich war begeistert von der Professionalität und der konsequenten Umsetzung der einzelnen Veranstalter und Lokale. Da keine Ansteckungsketten bei Kulturveranstaltungen nachgewiesen werden konnten, finde ich es sehr bedenklich, dass nun wieder ein kompletter Lockdown für Veranstaltungen entschieden wurde“, so Broosch.
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Gerade November und Dezember seien finanziell sehr wichtige Monate für Musiker und Künstler, da es viele Weihnachtskonzerte und Winterveranstaltungen gebe, die auch immer sehr gut besucht seien. „Auch verstehe ich die Sonderrolle der Fußball-Bundesliga nicht ganz...“, sagt Broosch, die sich Sorgen um die Zukunft kleinerer Clubs und Konzertlokale macht. „Auf diese Veranstaltungsorte sind die Musiker ja angewiesen.“
Musiker seien alles keine Jammerleute
Die Musikerin selbst lebt derzeit von Hartz IV: „Was mich und meine Familie jetzt natürlich unterstützt – allerdings würde ich mir nichts sehnlicher wünschen, als als freiberufliche Musikerin und Musiklehrerin auf eigenen Beinen stehen zu können und nicht von Staatsgeldern abhängig zu sein.“ Doch sie sei sich auch bewusst, dass in Zeiten der Pandemie die Gesundheit und die Aufrechterhaltung der Krankenversorgung Priorität haben. „Besonders weil ich letztes Jahr genau aus diesem Grund mit meiner Familie von Brasilien nach Deutschland gezogen bin.“
Das seien alles keine Jammerleute, sagt auch Susanne Voges, die in Geesthacht das Café SmuX betreibt, über die Musikerszene. Die hätten einen Job und kämen irgendwie klar. Künstler, die ausschließlich von ihrer Kunst leben, kämen ihr auf Schlag kaum in den Sinn. Von den ihr bekannten Profimusikern wisse sie, dass sie sich mit Hartz IV arrangiert haben. Einer sei sogar froh, dass er nach zehn Jahren wieder krankenversichert sei.
Im SmuX Konzerte für 30 Zuschauer ausgerichtet
Auch Voges jammert nicht. „Im Rahmen der Möglichkeiten haben wir zuletzt nur wenige Dinge gemacht – weil die Leute Angst haben.“ Zu den „wenigen Dingen“ gehörten Konzerte für 30 Zuschauer. Dafür hat sie im SmuX einen Luftreiniger installieren lassen, der 350 Kubikmeter Luft in der Stunde umwälzt. Das Gerät soll verhindern, dass sich im Raum Aerosolwolken bilden. Zusätzlich nutzt Voges die günstigen Lüftungsbedingungen des Veranstaltungszentrums mit seinen großen Türen und Fenstern. Solche Konzerte mit kleinem Publikum seien finanziell nicht sonderlich attraktiv, räumt Voges ein. Doch alles in allem sei sie bislang mit der Situation klargekommen.
„Ehrlich gesagt hatte ich bisher ein gutes Jahr“, sagt Peer-Oliver Nau, der sein Atelier in Ratzeburg hat. Gerade ist er in Süddeutschland unterwegs, um eine seiner Holzskulpturen persönlich bei einem Kunden abzuliefern. Die Pandemie hat der Künstler genutzt, um Aufträge abzuarbeiten, die bisher liegen geblieben sind. In naher Zukunft könnte das Überleben schwieriger werden. Wegen Covid-19 hat er 2020 kaum ausgestellt und blieb damit in der Kunstszene quasi unsichtbar. Entscheidend sei aber, dass man sich seine Kunst ansehen könne. „Bevor die Leute kaufen, kommen sie zum Gucken und noch mal zum Gucken – und irgendwann entscheiden sie sich.“
Virtuelle Veranstaltungen sind „wie ein Kuss durch die Scheibe“
Auch die Aumühler Malerin Anja Witt konnte in diesem Jahr kaum ausstellen. Wie Nau sieht sie darin ein Geschäftshemmnis, das sich – in diesem Punkt sind sich die beiden Künstler ebenfalls einig – nicht über digitale Galerien beheben lasse. „Virtuell ist wie ein Kuss durch die Scheibe“, sagt Witt. Ein gesichertes Einkommen in Zeiten von Corona zu erzielen – für Witt ist es schon jetzt ein Tanz auf der Rasierklinge. Der Verkauf ist schwieriger geworden.
Zwei Unternehmen, die vor der Krise Bilder von ihr ausliehen, haben bereits kündigt. Ihre Malschule musste sie den Hygienevorschriften entsprechend verkleinern. Gleichzeitig sind da die Fixkosten in Höhe von 600 Euro – etwa für das Atelier. Naus Atelier kostet sogar 2000 Euro pro Monat. Was ihr Mut macht, ist der Rückhalt, den ihr der eine oder andere in der Krise gibt.