Lauenburg. An jedem Abend musizieren Anwohner füreinander. Die Adventsstimmung hilft durch die bedrückende Corona-Krise. Ein Ortstermin.

Pünktlich 17 Uhr – keine Minute später – klingt aus dem geöffneten Fenster des Hauses Nummer 10 in der Lauenburger Neustadt Klaviermusik. Annebärbel Claussen eröffnet wie jeden Tag seit Mitte März, den Reigen der Musikwelle in der Altstadt.

Das Klavierstück „Die kleine Gasse“ von Béla Bartók passt nur zu gut zu dem Straßenzug mit den pittoresken alten Fachwerkhäusern. Auf Gehsteig und Straße steht eine kleine vereinzelte Schar Zuhörer und zollt jedem ihrer Stücke Beifall. Jetzt im Advent hat sie natürlich auch Weihnachtslieder im zehnminütigen Programm. Dann macht sich Annebärbel Claussen mit einem Sitzkissen unter dem Arm, auf den Weg in die Elbstraße zur nächsten Station der Musikwelle.

Der erste Corona-Lockdown gab den Anstoß

Angefangen hatte alles Mitte März zu Beginn des ersten Lockdowns mit einer Rundmail von Ulrike Mechau-Krasemann an Anwohner und Freunde der Altstadt: „Wir öffnen unsere Fenster und lassen Musik und Gesang in die Straße“, hieß es darin. Seitdem wird dort jeden Tag zwischen 17 Uhr und dem Geläut der Maria-Magdalenen-Kirche um 18 Uhr Musik gemacht – bei Sonnenschein, Regen und inzwischen auch bei Temperaturen knapp über null Grad. „O Heiland, reiß die Himmel auf“ tönt es zweistimmig aus der Haustür von Ulrike Mechau-Krasemann und Ehemann Hajo. Das frühbarocke Weihnachtslied passt gut in die Adventsstimmung und sicher auch in die mancher Zuhörer.

Im Haus gegenüber sitzt Goldschmiedin Daniela Toebelmann, arbeitet an an einem Schmuckstück und lauscht der Straßenmusik durch die geöffnete Ateliertür. „Ich hab danach immer wieder mal einen Ohrwurm“, erzählt sie lachend.

Musikwelle als fester Bestandteil der Altstadtkultur

Inzwischen ist die Musikwelle zu einem verlässlichen Bestandteil der Altstadtkultur geworden. Touristen verweilen in angemessenem Abstand und freuen sich über die schöne Abwechselung. Und da bleibt auch schon einmal der Fahrer des Linienbusses mit seinem Gefährt für einen Moment stehen und lauscht.

Längst haben sich ein paar Rituale eingeschliffen: Da wird den älteren Zuhörerinnen eine Bank auf die Straße gestellt, man unterhält sich in angemessenem Abstand über das Tagesgeschehen und bei jeder Station gibt es ein bestimmtes Lied zu Abschluss des jeweiligen Programmes. „Es ist immer wieder schön und eine Gelegenheit, die sozialen Kontakte wenigstens ein bisschen aufrecht zu halten“, meint Anja Lehmann, die selbst als Violinistin die Aktion unterstützt.

74-Jähriger spielt ein Potpurri bekannter Weihnachtslieder

Einige Häuser weiter erklingt ein Akkordeon: Auf der Treppe vor seinem Haus sitzt Werner Krzenzck im Schein der Adventsbeleuchtung und spielt ein Potpourri bekannter Weihnachtslieder von „Stille Nacht“ bis „Jingle Bells“. Der 74-jährige Musiker, seit mehr als 50 Jahren im Geschäft, kennt die Songs alle auswendig. Die Zuhörer sind begeistert.

„Bleibt gesund und haltet Abstand“, verabschiedet er seine Fans, die weiter zur nächsten Musikdarbietung spazieren. Nachdem Achim Bartelt-Frercks die „Ode an die Freude“ auf dem Klavier vorgetragen hat, ertönen die Abendglocken der Maria-Magdalenen-Kirche. Die fröstelnde Zuhörerschar verabschiedet sich voneinander bis morgen. Und es wird wieder still in der Altstadt