Geesthacht. Geesthachter (93) blickt zum verspäteten Jubiläum auf ein bewegtes Leben zurück. Er hat eine Gemeinsamkeit mit Roland Kaiser.
Es gibt nicht viele Sozialdemokraten mit einer Goldenen Schallplatte an der Wand. Roland Kaiser dürfte einer sein, und auf jeden Fall Wilhelm Misselhorn. „Sie hängt in einem Nebenraum“, berichtet der Geesthachter. Er wurde im November vom Fraktionsvorsitzenden der Landes-SPD, Thomas Losse-Müller, für seine 60-jährigeParteimitgliedschaft ausgezeichnet (wir berichteten). Dieses Papier ist indes nicht in der Wohnung zu sehen. „Es ist nicht so, dass ich die Auszeichnung nicht ehre. Aber ich gehöre nicht zu den alten Leuten, die sich die Wände mit Fotos oder Urkunden vollhängen“, sagt Wilhelm Misselhorn. Im Februar wird er 94 Jahre alt.
Während Roland Kaiser (SPD-Mitglied seit 2002) seine Gold-LPs für die Sangeskünste einheimste, bekam Wilhelm Misselhorn sie vom Medienunternehmen Bertelsmann für seine Tätigkeit als Produzent verliehen. 22 Millionen Tonträger hatte der vormalige Pressemann mit Positionen bis zum Geschäftsführer kreiert als Editionen etwa für das „Zeit“-Magazin oder auch die Zeitschrift „Brigitte“. Ein kultureller Höhepunkt dieser Veröffentlichungen: Eine Musikedition zur „Geschichte Preußens im Spiegelbild der Musik“. Ein Podcast, sagt man heute. „Ich habe jede Platte in anderer Farbe pressen lassen“, sagt Wilhelm Misselhorn. Nach dem Erscheinen lud ihn der in Bremen lebende Kronprinz von Preußen zum Essen ein.
Genosse Misselhorn: Einen Nazi-Schulleiter traf er bei einer Matinée wieder
„Verleger John Jahr suchte 1967 einen Mann für diesen Bereich“, erzählt Wilhelm Misselhorn. Es ging um den Start des Schallplattenlabels Maritim. „Er sagte zu mir: ,Wickle das mal ab’. Und ich dachte: ,Das ist ja viel interessanter als bei der Presse’“. Später arbeitete Wilhelm Misselhorn beim Plattenlabel Ariola mit einem Büro in einer Villa an der Hochallee: „Ein Leben wie Gott in Frankreich“, sagt er.
Geboren wurde Wilhelm Misselhorn am 9. Februar 1929 in Celle-Blumlage. Der Vater war Beamter, zudem im Kirchenvorstand, die Mutter sang im Kirchenchor. Politik spielte kaum eine Rolle. Das humanistische Gymnasium verließ er 1943 mit dem Vorabitur, meldete sich für die Nachrichtenübermittlung. Um funken zu lernen, besuchte er 1944 eine Schule in Regensburg. Die Ausbildung besorgte die Waffen-SS. „Leute zum Fürchten“, erinnert sich Wilhelm Misselhorn. Den Schulleiter traf er Jahrzehnte später in Hamburg wieder bei einer Matinée im Interconti. Er sollte eine Laudatio halten. Wilhelm Misselhorn sprach ihn an: „,Ich habe Sie anders in Erinnerung’“, sagte ich. Der Mann wurde fast grün im Gesicht. „Er entfernte sich sehr schnell“.
Der Eintritt in die SPD erfolgte am am 1. Juni 1960. „Von Kurt Schumacher war ich begeistert bis zum Gehtnichtmehr“, erinnert sich Wilhelm Misselhorn. Schumacher war zwar 1952 gestorben, hatte aber den Funken für die SPD entzündet. Den Impuls für den Eintritt lieferte sein damaliger Arbeitgeber: die Hannoversche Presse, eine SPD-Zeitung. Wilhelm Misselhorn heuerte bei einem Tochterblatt als Vertriebsleiter im Außendienst an. Er hatte sich auf eine Annonce beworben. Gelernt hatte er Bankkaufmann in Celle, aber das war ihm zu langweilig geworden.
Mehr Polizisten mit Maschinenpistolen als Geburtstagsgäste
Seitdem geht er mit der SPD durch dick und dünn – ohne selbst aktiv gewesen zu sein. „Ich habe überlegt, in Hamburg für die SPD im Kulturausschuss mitzuarbeiten. Aber wenn ich etwas mache, dann mache ich es ordentlich. Und das hätte ich zeitlich nicht gekonnt“, sagt er. Nach seinem Einstieg ins Pressegeschehen machte er Anfang der 60er-Jahre an der Elbe Karriere. „Auf einem Kongress in Bad Harzburg lernte ich die Frau eines Verlegers aus Hamburg kennen. Sie brauchten einen neuen Geschäftsführer“. Wilhelm Misselhorn schlug ein. „Ich dachte, das ist die Gelegenheit“. Später lag sein Büro im alten Bunker neben dem Millerntorstadion. Vom Fenster aus konnte man auf den Fußballplatz gucken. Wenn gespielt wurde, kamen Vorstände vom Bauer- und Axel-Springer-Verlag zu Besuch, um zuzuschauen.
Auch wenn er durch seinen Beruf viele Prominente kennengelernt hat, Größen der SPD waren in den 62 Jahren nicht dabei. „Ich habe mal Willy Brandt die Hand geschüttelt bei einer Messe, da war er noch Regierender Bürgermeister von Berlin. Und Helmut Schmidt habe ich zweimal auf Veranstaltungen gesehen“, sagt er. Am dichtesten kam er einem Spitzenpolitiker der CDU. Bei Eberhard Diepgen, Bundestagsabgeordneter und später Berlins Regierender Bürgermeister, war er über einen Freund zum Geburtstag eingeladen. Es war gegen Ende der 70er-Jahre, die Sicherheitslage war wegen der RAF angespannt. „Da waren mehr Polizisten mit einer Maschinenpistole als Gäste“, erinnert er sich.
„Meine Frau wollte mir übrigens nie verraten, was sie gewählt hat“, sagt er. Nur indirekt. „,Ach, was kann ich bei dir wohl schon anderes wählen?’, meinte sie einmal“, erzählt Wilhelm Misselhorn. Die SPD – sie war ihm immer „hoch und heilig“.