Geesthacht/Lübeck. Prozess fortgesetzt. Wo das Schreiben jetzt herkommt. Richterinnen thematisieren auch mögliche Hochbegabung des Angeklagten.

Zurückhaltend und höflich wirkt der junge Mann, als er am Donnerstagmorgen von Justizbeamten vor die Richterinnen der Jugendstrafkammer des Landgerichts Lübeck geführt wird. Es ist Tom K. (18) aus Geesthacht, dem vorgeworfen wird, seinen 70 Jahre alten Großvater am 16. März im Ortsteil Tesperhude erstochen zu haben, betrunken, mit einem Messer mit 13 Zentimeter langer Klinge. 15-mal soll er zugestochen haben (wir berichteten). Es ist der dritte von vier angesetzten Verhandlungstagen.

K. soll sich zuvor mit seinem 70 Jahre alten Großvater gestritten haben. Der habe dem alkoholisierten Enkel gedroht, ihn in die Psychiatrie einweisen zu lassen.

Großvater erstochen: Drei Lehrerinnen als Zeugen geladen

Warum? Die psychische Gesundheit und Suizidgefährdung und der Alkoholkonsum des 18-Jährigen stehen im Fokus des zweiten Verhandlungstages, aber auch seine womöglich weit überdurchschnittliche Intelligenz. Laut einem ärztlichen Befund einer Kinder- und Jugendpsychiaterin, den eine beisitzende Richterin verliest, soll ihm 2014 eine Hochbegabung attestiert worden sein.

Drei ehemalige Lehrerinnen des Geesthachters sind als Zeuginnen geladen. Sie wissen davon nicht. Tom K. habe stets befriedigende Leistungen erbracht, sagt seine frühere Klassenlehrerin, sei aber weder durch besonders gute noch besonders schlechte Noten aufgefallen. Nur bei Themen, für die er sich besonders interessiert habe, habe er auch besondere Leistungen gezeigt. Auch eine Depression oder ähnliches sei ihnen nicht bekannt gewesen. Weil er sich im pandemiebedingt digitalen Unterricht wenig beteiligt habe, habe zwar die Musiklehrerin das Gespräch zu dem Beschuldigten gesucht und von einer psychischen Instabilität erfahren, diese Art von Gesprächen habe man aber auch mit anderen Schülern während der Corona-Zeit geführt.

18-Jähriger war in psychotherapeutischer Behandlung

Der Vater, der auch als Zeuge geladen ist, erklärt, dass die Hochbegabung damals in die Schulakte aufgenommen worden sei. An die große Glocke habe die Familie dieses Thema aber nie gehängt. Es sei für die Familie eine große Herausforderung gewesen. Der Sohn habe immer viele Fragen gestellt, vor allem über das Leben nach dem Tod, die ihm niemand habe beantworten können. Auch die verschiedenen Phobien. die Tom K. gehabt habe, hätten sie im Zusammenhang mit der Hochbegabung gesehen.

Neben der Hochbegabung soll bei dem Angeklagten 2017 außerdem ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostiziert worden sein. Laut einem Befund, den die Richterin verliest, habe er sich in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung befunden.

“Seinen Großvater hat er geliebt“

Tom K. verfolgt die Zeugenaussagen aufmerksam. Seine Hände sind vor der Brust gefaltet. Als sein Anwalt der Richterin jedoch einen mutmaßlichen Abschiedsbrief vorlegt, wird er unruhiger. Den Brief habe er am Morgen des Tattages unter Alkoholeinfluss an seinen besten Freund geschrieben, sagt Tom K.. Das ist ein neues Element im Tatablauf. Die Kriminalbeamten haben dieses Schreiben bei der Spurensicherung nicht gefunden. Erst die Eltern des Angeklagten sollen den Brief in der vergangenen Woche dem Anwalt gegeben haben, sagt der. Der Vater erklärt, dass der Familie vor dem ersten Verhandlungstag nicht bewusst gewesen sei, dass der Brief relevant sei.

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Auch das Alkoholproblem des 18-Jährigen wird thematisiert. Darüber seien sie regelmäßig in Streit geraten, sagt der Vater. Schon am 19. Januar dieses Jahres habe der Sohn unter Alkoholkonsum Suizid angedroht. Die Polizei habe ihn daraufhin in Gewahrsam genommen und eine Nacht in die Psychiatrie geschickt. Häufig sei der Beschuldigte zu dem Getöteten und seiner Frau gegangen. „Seinen Großvater hat er geliebt“, sagt der Vater. Er sei seine Bezugsperson gewesen.

Am Tattag sollte er zum Großvater

Auch am Tattag habe die Mutter den Großvater, ihren Vater, angerufen, damit er Tom K. zu sich nehme. Darüber sei der Streit ausgebrochen. Er habe Angst gehabt, dass sein Vater dann erfahren würde, dass er getrunken habe. Deswegen wollte er nicht mitgehen, sagt der Angeklagte. In einer Kurzschlussreaktion habe er dann beschlossen, Selbstmord zu begehen. Dabei habe ihn der Großvater erwischt und ihm eben angedroht, ihn in die Psychiatrie einzuweisen. Der Ausgang ist bekannt.

Der psychologische Gutachter, der mit dem Angeklagten zwei Gespräche geführt hat, sieht die mutmaßliche Hochbegabung nicht als Grund für die Tat. Auch eine typische Entwicklung zum Suizidversuche habe er bei dem Beschuldigten nicht feststellen könne. Vielmehr verorte er die Taten in der Wirkung des Alkohols. Der Prozess wird fortgesetzt.