Geesthacht. 88-jährige Seniorin aus Geesthacht unterschreibt in kurzer Zeit Verträge über mehr als 13.000 Euro. Jetzt ermittelt die Polizei.
Karina Behnke steht auf dem Rasen des Gartens am Geesthachter Rosenweg und späht zum ersten Mal in die Grube, von der ihr Mann Maik Behnke gerade die Abdeckbretter entfernt hat. „Vorsicht, nicht zu nahe ran“, sagt er. Der gut 1,70 Meter tiefe Schacht stammt von einem Handwerker, dessen Unternehmen seine 88-jährige Mutter Ingeborg Behnke beauftragt hatte. Im Keller ist eine weitere Baustelle. Dort ist im Boden eine Schneise aufgestemmt, ausgehend von der Waschmaschine.
Eigentlich war es zum Start der Arbeiten am 15. August nur um die beauftragte Prüfung der Abwasserkanäle mittels Kamera (195 Euro) sowie eine Spülung des Hauptstranges (470 Euro) gegangen, dann wurde es immer mehr an Tätigkeiten – und die Rechnung wuchs mit. Bis die Angehörigen beim Stande von 13.673,10 Euro die Notbremse zogen, weil ein anderer Sohn Wind von den Arbeiten bekommen hatte.
Abzocke mit Handwerkern? Angehörigen informieren Polizei
Die Angehörigen informierten am Dienstag, 16. August, die Polizei, unter deren Augen der Handwerker sein Werkzeug zusammenpacken musste. Der Vorfall ist nun aktenkundig, die Beamten hätten ein „auffälliges Missverhältnis zur erbrachten Leistung festgestellt“, teilt die Polizeidirektion Ratzeburg mit. Ermittelt wird wegen des Verdachtes auf Betrug und Wucher.
Beim beauftragten Unternehmen sieht man die Lage naturgemäß anders. „Unsere Mitarbeiter arbeiten stets und nur auf der Basis von Kunden unterschriebenen Verträgen. Der Preis und die Leistung wurden bereits von Sachverständigen als angemessen eingestuft. Die Aufwendungen für Material und Lohn sind branchenüblich. Es liegt eindeutig kein Betrug in der Angelegenheit vor. Es sieht eher danach aus, dass der Kunde für die geleisteten Teilarbeiten nicht aufkommen möchte und deshalb mit seinen Anschuldigungen versucht, uns einzuschüchtern“, heißt es auf Anfrage.
In der Tat bewegen sich die Kosten für Kamerauntersuchung und Spülung in einem Rahmen, den – je nach Aufwand und Zeit – auch andere Firmen im Internet angeben.
Drei Verträge über insgesamt mehr als 13.000 Euro
So richtig Fahrt nahm die Rechnung dann aber auf durch einen Extra-Wunsch der Seniorin, die seit 1963 in ihrem Haus wohnt: Die Waschmaschine im Keller sollte besser an das Abwasserrohr angeschlossen werden, was einen weiteren Auftrag, das Loch im Rasen und die Furche im Kellerboden zur Folge hatte.
Unterschrieben hat die 88-Jährige am Ende drei Verträge für unterschiedliche Arbeiten über 470,05 Euro, 2856 Euro und 10.347,05 Euro, alles inklusive Mehrwertsteuer, insgesamt sind das 13.673,10 Euro. Und eine Zustimmung zur Ausführung der Dienstleistungen vor Ablauf der 14-tägigen Widerrufsfrist.
„Wie soll sie denn das bezahlen?“, fragt ihre Tochter Sabrina Maßmann konsterniert. „Meine Mutter war mit den Handwerkern allein im Haus und hatte Angst, ,Nein’' zu sagen“, erklärt sie die Auftragsvermehrung. Die Seniorin sei unter Druck geraten und mit der Situation schlichtweg überfordert gewesen.
Kein Rat bei Handwerkskammer, Verbraucherzentrale und Stadt
Sabrina Maßmann wollte Rat einholen bei Handwerkskammer, Verbraucherzentrale und Stadt, blitzte überall ab. „,Das ist ihre Sache’, bekam ich zu hören“, sagt Sabrina Maßmann und fühlt sich im Stich gelassen, auch, weil die Stadt ihrer Meinung nach zu spät vor hausierenden Handwerkern gewarnt hat.
Sie und ihre Brüder suchen nun einen Anwalt. Wie es mit den begonnenen Arbeiten auf dem Grundstück weitergeht, entscheidet sich vielleicht heute. Der Meister eines Geesthachter Fachbetriebes will sich die Sache anschauen. Diese Arbeiten könnten mit etwa 3500 Euro zu Buche schlagen, hat Sabrina Maßmann im Vorwege erfahren.
Viele Beschwerden über Handwerker an Türen
Mittlerweile kämen aus allen Teilen von Geesthacht Beschwerden über Handwerker, die an der Tür klingeln und Dienstleistungen anböten, teilt Stadtsprecherin Wiebke Jürgensen mit. Es würden Dichtigkeitsprüfungen von Abwasserleitungen angeboten und teure Rohrsanierungen verkauft, heißt es.
Am Mittwoch hat die Stadt eine Stellungnahme veröffentlicht. „Die Stadtverwaltung stellt dazu klar: „Wenn Bauarbeiten, Prüfungen oder auch Umfragen im Auftrag der Stadt durchgeführt werden, so wird darüber im Vorfeld stets informiert. Wer sich bei einem Angebot unsicher ist oder wem keine Vorab-Informationen dazu bekannt sind, möge sich bei der Stadtverwaltung melden.“
Die Polizei rät, sich nicht unter Druck setzen zulassen
In den Fällen, bei denen die Handwerker behaupten, im Auftrag der Stadt zu handeln – was nicht unbedingt so sein muss –, sind Ansprechpartner für Nachfragen bei den Abwasserbetrieben Ingo Gosch (04152/13-1556) und Carsten Bresemann (04152/13-1552).
„Die Auftragslage ist doch so gut, wann kriegen Sie denn schon mal einen Handwerker? Da werde ich hellhörig, wenn einer ohne Anmeldung vor der Tür steht“, sagt Sprecherin Sandra Kilian von der Polizeidirektion Ratzeburg zu Haustürgeschäften. Sie rät, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, Aufträge zu vereinbaren: „Denn so dringlich kann es nicht sein.“