Neu-Gülzow. Pferderücker sind wieder im Kommen, doch in Deutschland gibt es kaum noch welche. Kay Stolzenberg ist einer von ihnen.

Der mit Brombeeren bewachsene umgestürzte Baumstamm, der ihnen den Weg versperrt, ist für Konrad und Peer kein Hindernis. „Vorwärts, ihr beiden!“ Als das Kommando von Kay Stolzenberg kommt, schreiten seine ­beiden Rückepferde einfach darüber hinweg. Den 450 Kilogramm schweren Streifenpflug ziehen das fuchsbraune Schleswiger Kaltblut und der Schimmel-Mischling dabei hinter sich her, als wäre nichts gewesen.

Kay Stolzenberg ist einer der letzten seiner Art. In ganz Deutschland gibt es nur noch etwa 20 Pferderücker. In Norddeutschland geht außer ihm nur noch ein Kollege der traditionellen Tätigkeit hauptberuflich nach. Stolzenberg, dessen Firmensitz im niedersächsischen Wendland liegt, hat fünf tierische Mitarbeiter – alles starke Kaltblüter.

Die Rückepferde ziehen Schneisen in den Waldboden

Ihr Einsatzgebiet sind die Wälder des Nordens. Zuletzt beackerten sie vier Tage lang den Krukower Zuschlag bei Neu-Gülzow. Das knapp 100 Hektar große Areal gehört zum Revier Hamwarde der Kreisforsten Herzogtum Lauenburg. Den circa 75 Jahre alten Nadel-Mischwald mit Kiefern, Eichen sowie wenigen Buchen und Birken will Förster André Guiard fit für den Klimawandel machen – sprich für eine natürliche Verjüngung der Bestände sorgen.

Der Pflug, der den Bewuchs des Waldboden schält und zur Seite klappt, ist Marke Eigenbau.
Der Pflug, der den Bewuchs des Waldboden schält und zur Seite klappt, ist Marke Eigenbau. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Und jetzt kommen Konrad und Peer ins Spiel. Sie sorgen mit dem Pflug der Marke Eigenbau für eine naturverträgliche Bodenverwundung. So wird das Freilegen des ­Mineralbodens genannt. „Insbesondere die Kiefer benötigt Mineralboden, um zu keimen. Der wird hier durch Moos, Gras, Farn oder Laub verdeckt. Dieser Bewuchs wird abgeschält und zur Seite umgeklappt. So entsteht ein langes, perfektes Saatbeet, in das der Samen fällt“, sagt André Guiard.

Die Kreisforsten unterliegen dem Ökostandard Forest Stewardship Council

Rund zwei bis drei Jahre bleiben die Saatbeete offen. So lange sollen sich Kiefern, Eichen, Buchen, Birken aussäen, aber auch Douglasien und Küstentannen aus Nachbar­beständen sind für die Entstehung eines vielfältigen Laub-Nadelwaldes erwünscht.

Auf Rückepferde setzt der Förster dabei aber nicht aus besonderem Traditionsbewusstsein. Die Kreisforsten unterliegen dem Ökostandard Forest Stewardship Council, abgekürzt FSC genannt, und der bedingt unter anderem, dass nur alle 40 Meter eine Maschinengasse in den Wald geschlagen werden darf. Im Krukower Zuschlag verlaufen diese meist parallel zu den Wald­wegen.

Die beiden Kaltblüter können bis 2,5 Festmeter Holz ziehen

In den Zwischenräumen, immer da wo Platz ist, legt Kay Stolzenberg die Saatbeete an. Um die Pferde dirigieren zu können, kommuniziert er über Kommandos. Die Zügel hat er lediglich zur Unterstützung. Richtungswechsel heißen bei ihm „Hott“ (nach rechts) und „Wist“.

„Wenn die Pferde etwa vier Jahre alt sind, kann ich sie einsetzen. Bis sie 15 Jahre alt sind, werden sie auch immer besser“, sagt Stolzenberg. Der 14-jährige Konrad ist bei ihm geboren, Peer ist neun Jahre alt. Beide wiegen um die 900 Kilogramm und können im täglichen Dauereinsatz rund ein Drittel ihres Körper­gewichts ziehen. „Sie motivieren sich gegenseitig und schaffen es kurz, auch 2,5 Festmeter Holz zu ziehen. Das sind etwa zwei Tonnen“, erklärt Stolzenberg. Das Holzrücken macht etwa 50 Prozent der Arbeit aus, der Rest besteht aus pflügen, grubbern und walzen.

Die Auftragsbücher des Pferderückers sind gut gefüllt

Bis 1999 war Kay Stolzenberg selbst Forstwirt in einem 120 Hektar großen Wald, der auch mit Pferden bewirtschaftet wurde.
Bis 1999 war Kay Stolzenberg selbst Forstwirt in einem 120 Hektar großen Wald, der auch mit Pferden bewirtschaftet wurde. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Bis 1999 war Kay Stolzenberg selbst Forstwirt in einem 120 Hektar großen Wald, der auch mit Pferden bewirtschaftet wurde. „Da habe ich Blut geleckt und mich irgendwann selbstständig gemacht“, sagt der gelernte Tischler. Heute unterstützt er andere, die den Traditionsberuf ausüben wollen, für den es keine Ausbildung gibt.

Seine Auftragsbücher sind gut gefüllt. Es gibt schließlich zu wenige, die auf diese schonende Art den Wald bewirtschaften. Im Spätsommer sind Stolzenberg und seine tierischen Mitarbeiter erneut in der Region im Einsatz. Am Pumpspeicherbecken in Geesthacht heißt es dann wieder „Vorwärts, ihr beiden!“