Geesthacht. Das Eiscafé „Venezia“ ist eine Institution in Geesthacht. Nach 56 Jahren ist Mitte Oktober für immer Schluss.
In einem alten Artikel über das Eiscafé „Venezia“ hat unser viel zu früh verstorbener Kollege Bernhard Menapace einmal geschrieben: „Frühling wird’s, wenn das Venezia öffnet.“ Seit 1965 konnten sich die Geesthachter auf diesen Ausspruch, der einer Bauernregel gleicht, verlassen.
Im kommenden Jahr werden sie sich eine andere Weisheit suchen müssen, die den Frühling einleitet. Denn mit dem Ende dieser Eissaison ist finito. Nach 56 Jahren schließt das „Venezia“ Mitte Oktober für immer.
Das „Venezia“ steht seit Jahrzehnten für italienisches Eis auf höchstem Niveau
Das geschieht nicht ganz freiwillig. Mit Ursula Siewert, der Eigentümerin des Hauses in der Bergedorfer Straße 43, konnte sich Familie Doimo nicht auf einen neuen Mietvertrag einigen. „Der Vertrag läuft am 30. Oktober aus“, sagte Siewert auf Nachfrage knapp.
Danach soll das Geschäft mit rund 65 Quadratmetern Verkaufsfläche für mehrere Monate umfangreich saniert werden. Und was kommt danach? „Es bleibt ein Geschäft“, betonte Siewert, die keine Branche ausschließen wollte.
„Für unsere Gäste tut es mir weh. Sie bleiben in meinem Herzen.“
Gisella Doimo (82), die das Eiscafé zusammen mit ihrem Mann Primo (86) vor 56 Jahren übernommen hatte und es von „Napoli“ in „Venezia“ umbenannte, macht das wehmütig. „Für unsere Gäste tut es mir leid. Sie bleiben in meinem Herzen“, grüßte die Seniorchefin aus ihrer italienischen Heimat in Treviso, unweit der berühmten Lagunenstadt Venedig.
Gäste wie Hilde Wegener, Ewald Schuart und Martin Papke, die bei schönem Wetter fast täglich ihren Kaffee hier trinken. „Als meine vier Kinder klein waren, bin ich hier immer Eis essen gegangen“, erinnert sich Martin Papke. Und Ewald Schuart ergänzt: „Das ist doch eine Geesthachter Institution.“
Jugendtreff, Musik aus der Jukebox, knutschen am Verlobtentisch
In diesem Sommer ist an den Tischen vor dem Geschäft in der Fußgängerzone bei schönen Wetter immer besonders viel los. „Es sind weniger Leute verreist“, mutmaßt Schwiegersohn Luca Smiraglia, der das „Venezia“ zusammen mit seiner Frau Luisella, der Tochter der Eigentümer, führt.
Früher brummte hier der Bär auch noch spätabends. Bis Mitternacht traf sich die Jugend der Stadt in und vor dem Geschäft, hörte Musik aus der Jukebox, knutschen Frischverliebte am Verlobtentisch. Das war eine von außen nicht einsehbare Nische im hinteren Teil des Ladens.
Früher fuhren junge Männer mit ihren aufgemotzten Autos vorbei
Um zu sehen und gesehen zu werden, traf sich die Jugend noch bis kurz vor der Umwandlung der Bergedorfer Straße zur Fußgängerzone beim „Venezia“. Viele meist junge Männer machten sich mit ihren aufgemotzten Autos einen Spaß daraus, mit heruntergekurbeltem Fenster und bei lauter Musik wieder und wieder vorbeizufahren.
Die Stammkunden erleichterten Gisella Doimo und ihrem Mann den Start in Deutschland. „Zum Anfang war es schwer hier. Später sind viele Freundschaften entstanden. Geesthacht war meine Heimat“, sagt die Seniorchefin. Und auch Schwiegersohn Luca Smiraglia, der 1994 dazukam, sagt, dass er inzwischen mehr in Geesthacht als in Italien zu Hause ist.
Eine neue Eisdiele in der Nachbarschaft einzurichten, kostet viel Geld
Aus Schleswig-Holstein gehen die Smiraglias übrigens nicht weg. In der kommenden Saison führen sie die beiden anderen Eiscafés der Familie in Bad Segeberg weiter. Dort standen bis zuletzt Primo und Gisella Doimo hinter dem Verkaufstresen, wollen nun aber endlich kürzertreten.
Trotz allem hätte es auch im „Venezia“ weitergehen sollen. Aber eben nicht auf Teufel komm raus in Geesthacht. Denn, so Luca Smiraglia, „eine neue Eisdiele in einem anderen Laden in der Nachbarschaft einzurichten, kostet viel Geld“.
Mitte Oktober wird Schluss sein im „Venezia“
Noch bis Mitte Oktober hat das „Venezia“ täglich von 9.30 bis 20 Uhr geöffnet. Danach beginnt der Winterschlaf – für immer.