Geesthacht. Prof. Dr. Jan Kramer warnt vor übertriebenen Erwartungen – und davor, sich nur auf Herstellerangaben zur Testqualität zu verlassen.
Prof. Dr. Jan Kramer führt in dritter Generation das „LADR Zentrallabor Dr. Kramer & Kollegen“ in Geesthacht als Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer. Der Internist und Laborarzt ist stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbands der Akkreditierten Labore in der Medizin. Wir haben mit ihm über die geplante Einführung von Selbsttests gesprochen.
Herr Prof. Dr. Kramer, sind Selbsttests unser lang ersehnter Weg zurück in die Normalität?
Der Umgang mit dem Erreger SARS-CoV-2 ist meines Erachtens Realität, mit der wir uns üben müssen. Normalität im Sinne eines zurück zu einem Zustand wie vor der Pandemie ist daher nicht absehbar.
Keine schönen Aussichten.
Bei allen Maßnahmen der Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen bis hin zum Lockdown ging es darum, Zeit zu gewinnen: Zeit bis Impfungen möglich und durchgeführt sind, und Zeit, um insbesondere bis dahin die Risikogruppen zu schützen und Überlastungen der Intensivstationen zu vermeiden. Diesen Weg gehen wir als Gesellschaft gemeinsam, verbunden mit individuellen Einschränkungen und auch Gefahren für viele Betriebe und die Wirtschaft. Diese Gefahren gilt es zu minimieren.
Aber das kann ja nicht ewig so weitergehen. Betriebe stehen vor dem Ruin, und die Menschen wollen wieder ins Restaurant, Kino oder Konzert. Geht das mit Selbsttests schneller?
Mit der Verfügbarkeit von Antigenschnelltesten, die seit Herbst im Einsatz durch medizinisches Personal auch die Risiken der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie bei Krankenhauspatienten und Personal weiter reduzierten, konnten diese Vor-Ort-Tests auch für Reiserückkehrer und durch Betriebsärzte in der Wirtschaft eingesetzt werden. Antigenschnellteste im Einsatz durch die allgemeine Bevölkerung als Heimtests können jetzt eine weitere Stufe für kurze Momentaufnahmen zum Ausschluss von Infektiosität bei asymptomatischen Personen werden.
Wird es bald also so sein, dass man an der Kinokasse, vor dem Restaurant und vor dem Fußballstadion einen negativen Selbsttest vorweisen muss?
Dies ist eine politische Frage, die ich nicht medizinisch beantworten kann. Ich warne allerdings vor einem unkontrollierten „Freitesten“. Aufgrund der geringeren Sensitivität ist bei asymptomatischen Menschen das Ergebnis eines Antigenschnelltests immer nur eine „Momentaufnahme“ über zwei bis drei Stunden. Zudem können auch falsch negative Ergebnisse vorkommen. Damit ist selbst bei negativem Antigenschnelltest weiterhin auf die Einhaltung der Maßnahmen zu achten: Kontakte weitgehend reduzieren, Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln befolgen, Lüften in Innenräumen und die Corona Warn-App nutzen.
Was muss aus medizinischer Sicht also passieren, damit es wieder volle Konzertsäle oder Fußballstadien geben kann?
Bei niedrigen Inzidenzen werden Veranstaltungen wieder unter der Einhaltung entsprechender Hygienekonzepte möglich sein. Auch ich sehne mich nach solcher Ablenkung in meiner Freizeit.
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In anderen Ländern sind Corona-Selbsttests fester Bestandteil der Pandemie-Bekämpfung. Warum nicht auch in Deutschland?
Bisher gibt es noch keine zugelassenen Tests für den Heimgebrauch. Ich finde es fachlich richtig und wichtig, dass nicht verfrüht Tests ohne Sicherung ihrer Qualität in Deutschland zum Einsatz kommen.
Qualitätssicherung bedeutet in diesem Bereich Patientensicherheit. Diese muss in Deutschland an erster Stelle stehen bleiben. Kommerzielle Interessen in der Vermarktung unsicherer Tests helfen keinem Menschen. Meines Wissens gibt es in Europa auch noch keine zugelassenen Heimtests.
Rund 30 Selbsttests durchlaufen den Zulassungsprozess. Wie soll der Bürger den Überblick behalten, welcher verlässlich ist?
Die Erfahrung mit den Antigen-Schnelltesten im Einsatz durch medizinisches Personal beweist, dass die europäische Zulassung als CE-Zertifizierung auf Basis von Herstellerangaben allein nicht ausreicht, um die Testqualität abzusichern. Untersuchungen durch von Behörden beauftragte unabhängige Labore zeigten, dass die Gütekriterien von einigen Herstellern nicht richtig waren – auch aufgrund von zu kleinen Fallzahlen zur Markteinführung. Die Liste des Bundesinstituts für Arzneimittelsicherheit (BfArM) wird kontinuierlich aktualisiert und beinhaltet die entsprechenden Tests zur professionellen Anwendung.
Wie zuverlässig ist denn überhaupt ein Corona-Selbsttest?
Eine pauschale Aussage über alle aktuell in Prüfung durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) befindlichen Tests wird nicht möglich sein. Jeder einzelne Heimtest wird danach spezifische Test-Charakteristika und Gütekriterien aufweisen. Überprüft wird, ob die vom RKI festgelegten Mindestkriterien für SARS-CoV-2 Antigentests eingehalten werden.
Und wenn dann eine Fülle von verschiedenen Tests zugelassen ist, welche Art der Testung (Rachenabstrich, Nasenhöhle, Speichel, Gurgeln) scheint am wenigsten fehleranfällig
Anders als bei der PCR, können voraussichtlich Nasenabstriche bei den Heim-Antigenschnelltesten zum Einsatz kommen. Auch ein Gurgeltest wird diskutiert; aber Vorsicht! Gurgeln erzeugt Aerosole, daher sollte die Testdurchführung in Isolation zum Schutz anderer Personen erfolgen, anschließend gelüftet werden. Tests mit Mundspüllösungen oder Speicheltests könnten dahingehend weniger gefährlich sein.
Erklären Sie bitte kurz die unterschiedlichen Methoden der Selbsttestung und die Probleme, die Laien mit ihrer Durchführung haben könnten.
Sowohl beim Rachenhinterwandabstrich als auch beim Abstrich in der Nase werden Spatel in den Körper eingeführt. Ein Erreichen der Rachenhinterwand ist für nicht medizinisches Personal im Selbsttest nur sehr schwer durchführbar. Die Verwendung von Spüllösungen im Mund oder Rachen ist für medizinische Laien sehr viel einfacher mit Anleitung durchführbar.
Werden diese Tests auch die Mutanten entdecken
Aktuell verfügbare Antigenschnellteste werden zwar auch bei den aktuell beschriebenen Corona-Varianten bei Vorliegen hoher Viruskonzentrationen positiv, aber die Mutationen selbst können nur mittels PCR-Mutationssuche oder Sequenzierung entdeckt werden.
Auf einen positiven Selbsttest muss also zwingend ein PCR-Test folgen?
Richtig. Jeder positive Antigenschnelltest ist den Gesundheitsämtern zu melden und muss zwingend mittels PCR nachuntersucht werden. Zum einen, da Antigenschnelltests falsch positiv sein können und zum anderen, um im Falle richtig erkannter infizierter Personen auch Virusmutationssuchen ermöglichen zu können.