Geesthacht. Vattenfall nimmt Kohlekraftwerk Moorburg vom Netz. Dadurch entfällt vertragliche Verpflichtung zum Betreiben der Aufstiegshilfe.

Das politische Auf und Ab um die größte Fischtreppe Europas am Nordufer des Geesthachter Wehrs geht weiter. Nachdem am 30. September die Aufstiegshilfe nach gut einem Jahr Unterbrechung wieder voll funktionsfähig wurde, droht seit dem 1. Dezember neues Ungemach: Der Energiekonzern Vattenfall hatte den Zuschlag erhalten, sein Kohlekraftwerk Moorburg mit Unterstützung des Bundes bereits 2021 stillzulegen.

Vattenfall betreibt die Fischtreppe, weil sie Teil der Betriebsgenehmigung für Moorburg ist. Ohne Kraftwerk entfällt die Pflicht für das Unternehmen, den Fischen den Aufstieg zu ermöglichen.

Fischtreppe Geesthacht: Vattenfall gibt sich bemüht

Der Eigentümer könne die Anlage „nicht von heute auf morgen aufgeben – Eigentum verpflichtet“, fordert das Aktionsbündnis „Future 4 Fishes“, ein Zusammenschluss mehrerer Umweltverbände und des Lauenburger Kreisverbandes der Grünen.

Der Energiekonzern gibt sich bemüht: „Vattenfall prüft derzeit, wie der Betrieb der Fischaufstiegsanlage nach der Stilllegung des Kraftwerks sichergestellt werden kann“, sagt Unternehmenssprecher Stefan Müller. „Letztlich ist das Unternehmen an einer nachhaltigen Lösung interessiert, welche den ökologischen und rechtlichen Rahmenbedingungen aller beteiligten Interessensgruppen langfristig gerecht wird.“

Fischtreppe: Rechtliche Lage muss geklärt werden

Ein erster Anlauf vom Aktionsbündnis, alle Beteiligten am 22. Dezember an einen virtuellen Runden Tisch zu bringen, scheiterte. Die Resonanz auf die anberaumte Online-Konferenz war ernüchternd, die Umweltschützer blieben unter sich.

Doch auch staatlicherseits wird der Wert der Fischtreppe hoch eingeschätzt: „Es ist keine Frage, dass sie weiterbetrieben wird“, sagt Tilman Treber. Er leitet das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg, das das Wehr Geesthacht betreibt. Die rechtliche Lage müsse noch geklärt werden. Aber er könne sich nicht vorstellen, dass die Fischtreppe stillgelegt werde.

Ökologische Qualität eines Gewässers darf sich nicht verschlechtern

Nach Vattenfall-Angaben stiegen seit Inbetriebnahme am 1. August 2010 mehr als zwei Millionen Fische von rund 50 Arten die Elbtreppe hinauf. Sowohl deutsches als auch europäisches Recht sprechen dafür, dass die sehr wirkungsvolle Aufstiegshilfe weiterbetrieben wird.

Das Wasserhaushaltsgesetz verlangt einen „guten ökologischen Zustand“ der deutschen Flüsse; die europäische Wasserrahmenrichtlinie verbietet, dass sich die ökologische Qualität eines Gewässers verschlechtert. „Der ursprüngliche Status mit beiden funktionierenden Fischaufstiegsanlagen (Nord und Süd) muss dafür als Messlatte angenommen werden“, betont Jürgen Vollbrandt von der NABU-Ortsgruppe Geesthacht.

Zukunft der Fischtreppe soll gemeinsam geklärt werden

Tilman Treber erwartet, dass der jetzige Betreiber Vattenfall auf die Wasserstraßen- und Schiffahrtsverwaltung zukommt, um die Zukunft der nördlichen Aufstiegshilfe gemeinsam zu klären. Aktuell ist das Gesprächsklima allerdings eingetrübt: Seit mehr als einem Jahr streiten sich der Stromkonzern und das WSA Lauenburg darum, wer die im August 2019 zugeschüttete Lockströmung wieder herzustellen hat.

Um die Fische zur Treppe zu leiten, muss eine große Menge Elbwasser nördlich des eigentlichen Wehrs in den Unterlauf fließen. Dies geschah über Rinnen, die in dem dortigen Staudamm eingelassen waren. Bei der Inspektion des Wehrs stellte das WSA Anfang August 2019 fest, dass der Damm unterspült und teilweise abgerutscht war. Um einen Dammbruch zu vermeiden, musste schnell gehandelt werden – der Damm wurde verstärkt, die Rinnen beseitigt. Folge: Der Lockstrom versiegte.

Strömungsrinnen wurden verändert

Für Vattenfall ist der Fall klar: „Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Lauenburg hat 2019 ohne Abstimmung mit Vattenfall am Damm eine Sicherungsmaßnahme durchgeführt, bei der die für die Lock- und Leitströmung erforderlichen Strömungsrinnen zurückgebaut wurden. Das hat die Funktionsfähigkeit der Fischaufstiegsanlage eingeschränkt“, sagt Stefan Müller. „Wir haben beim zuständigen Landgericht in Lübeck Klage auf Wiederherstellung der Strömungsrinnen in den genehmigten Originalzustand eingereicht.“

Die Schifffahrtsverwaltung sieht dies ganz anders. Am 30. September 2020, bei der Inbetriebnahme der Interimslösung, pochte Hans-Heinrich Witte, Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, darauf, dass die „endgültige technische Lösung durch Vattenfall“ als Betreiber der Fischtreppe zu erfolgen habe.

Wehr wurde für Fische zum unüberwindbaren Hindernis

Das im Herbst in Betrieb genommene Provisorium aus Rohrleitungen hatte das WSA Lauenburg gebaut, nachdem monatelang nichts geschah, um die versiegte Lockströmung wieder zum Fließen bringen. Leidtragende waren die Fische. Für die meisten von ihnen wurde das Wehr zum unüberwindbaren Hindernis.

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Zumal auch die auf niedersächsischen Seite befindliche südliche Fischtreppe im August 2019 wegen baulichen Mängeln zugeschüttet wurde, um die Staustufe zu sichern. Einige wenige Fische mögen die Aufstiegshilfe am Nordufer auch ohne Lockströmung gefunden haben; einzelne, sehr sprungstarke Tiere haben womöglich die Staustufe überwunden. Das Gros war jedoch vom Oberwasser abgeschnitten.

Lachs, Meerforelle und Stör kommen nicht zu Laichgebieten

Das ist vor allem für Wanderfische wie Lachs, Meerforelle und Stör ein Problem, denn sie kommen nicht zu ihren Laichgebieten. Um vor der herbstlichen Laichzeit 2020 Abhilfe zu schaffen, wurden im Spätsommer zehn blaue Plastikrohre über den Damm verlegt. „Die Strömungsverhältnisse sind jetzt keinesfalls schlechter als beim Ursprungszustand“, sagt Treber.

Die Zwischenlösung könne deutlich länger fortbestehen als das zunächst geplante eine Jahr: „Die einzige Einschränkung besteht darin, dass die Rohre bei extremen Hochwasser oder bei Eisgang abgebaut werden müssten. Aber anschließend würden sie wieder installiert werden."

Das gut 60 Jahre alte Wehr wird grundlegend instand gesetzt

Vorläufig seien die Verhältnisse am Nordufer ähnlich wie beim Ausgangszustand, versichert Treber. Am Südufer soll die in die Jahre gekommene, viel kleinere Fischtreppe im Rahmen einer sehr großen Baumaßnahme erneuert und deutlich verbessert werden.

Doch das wird noch Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern: Das gut 60 Jahre alte Wehr wird grundlegend instand gesetzt. Dazu sollen alle vier Wehrtore ausgetauscht und der „Fangdamm“ zwischen der zugeschütteten Fischtreppe und dem ersten Wehr durch neue Spundwände verstärkt werden. Die vorbereitenden Arbeiten werden noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Anschließende Bauzeit: zwölf bis 15 Jahre.