Aumühle/Friedrichsruh. Das Thema lautet: „1870/71 – Reichsgründung in Versailles“. Die Eröffnung der neuen Ausstellung im Museum im Livestream.
Für die Franzosen war sie eine Demütigung: Die Reichsgründung 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Um das einzig erhaltene Gemälde der Kaiserproklamation im Versailler Schlosses, das wohl jedes Schulkind aus dem Geschichtsbuch kennt, rankt sich die neue Ausstellung der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh: „1870/71 – Reichsgründung in Versailles".
Wir haben die Eröffnung am Sonntag, 20. Juni, im Livestream auf dem Youtube-Kanal des Abendblatts und dem Facebook-Kanal der Bergedorfer Zeitung (facebook.com/Bergedorferzeitung) übertragen. Nach der Begrüßung durch Norbert Brackmann, der nicht nur CDU-Bundestagsabgeordneter, sondern auch Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung ist, folgte ein Festvortrag. Prof. Hans-Christof Kraus von der Universität Passau referierte über die „deutsche Reichsgründung von 1871 im Kontext der europäischen Geschichte“. Im Anschluss führte Dr. Maik Ohnezeit in das Thema der Ausstellung ein, die der Historiker für die Stiftung kuratiert hat.
Neue Ausstellung im Bismarck-Museum Friedrichsruh - Eröffnung im Livestream
Unsere Redaktion hatte Gelegenheit, schon vor der offiziellen Eröffnung einen Blick in die neue Präsentation zu werfen. „Wir haben uns gesagt, wir müssen etwas machen, da wir dieses Gemälde der Kaiserproklamation in Versailles bei uns im Hause haben, das jede und jeder Deutsche aus seinem Geschichtsunterricht kennt“, sagt Dr. Maik Ohnezeit beim Gang durch die Ausstellung, die fast fertig ist. „Es ist als Symbol der Gründung in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeschrieben“, ergänzt Nathalie Wohlleben, Sprecherin der Stiftung. Auch wenn das Deutsche Reich streng genommen nicht an jenem 18. Januar 1871, sondern bereits am 1. Januar mit einigen unauffälligen Unterschriften gegründet worden ist.
Wie es dazu kam, und was daraus folgte, das ist der Inhalt der historischen Präsentation, die sich vor allem aus vielen Bildern, Briefen und Urkunden sowohl im Original als auch in der Abbildung sowie einigen Original-Objekten zusammensetzt. Vom 1. Juli an soll es auch einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung geben (unter www.bismarck-stiftung.de). Der Vorteil: Dort werden auch die Museumsgäste die Informationen noch vertiefen können, Interessierte können einen ersten Einblick in die Ausstellung erhalten.
Rundgang wird im Schlaglicht besonderer Themen beleuchtet
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die wechselvolle Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland. „Wichtig ist uns, dass wir hier niemanden feiern“, erklärt Natalie Wohlleben. „Es geht uns nicht um den Mythos Bismarcks als ,Reichsgründer’. Er war einer von vielen Akteuren. Deshalb zeigen wir die historischen Ereignisse nicht allein aus der deutschen, sondern ebenso aus französischen Perspektive.“
Der Rundgang folgt dabei nicht sklavisch einer chronologischen Reihenfolge, sondern wird im Schlaglicht besonderer Themen beleuchtet.
„Der Krieg galt eher als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“
Das beginnt mit dem Schloss Versailles und seiner Bedeutung für die Franzosen. Beleuchtet wird dann die Rivalität zwischen Preußen und Frankreich, es folgt die Vorgeschichte und die heiße Phase, die schließlich im deutsch-französischen Krieg mündet. Der gemeinsame Sieg des Norddeutschen Bundes mit den deutschen Staaten südlich des Mains gegen Napoleon schließlich ermöglicht durch den so erstarkenden Patriotismus die Reichsgründung. Die aber ist für die Franzosen ein Schlag ins Gesicht – mit ihren Folgen auch aus ihrer Perspektive setzt sich ebenfalls ein Kapitel der Präsentation auseinander. Im letzten Teil der Ausstellung „Erinnern“ im Multifunktionsraum der Stiftung geht es um die Rezeptionsgeschichte des Ereignisses bis in unsere Zeit.
Welche Rolle hat nun Bismarck bei der Einigung der deutschen Staaten gespielt? War er tatsächlich der „Kriegstreiber“ wie er heute häufig genannt wird? Hat er die sogenannten Einigungskriege absichtlich herbeigeführt, um das Reich gründen zu können? „Zuerst einmal muss man sehen, dass der Krieg in der damaligen Zeit einen anderen Stellenwert hatte als heute“, erklärt Natalie Wohlleben. „Der Krieg galt eher als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“
"Bismarck war ein wichtiger Protagonist des Krieges"
Ohnezeit sagt: „Wir versuchen zu zeigen, wie vielschichtig die Lage war, wie viele Faktoren letztlich zum Krieg geführt haben. Bismarck war ein wichtiger Protagonist des Krieges. Aber er hatte zuvor auch kein Problem damit, mit Frankreich ein Bündnis einzugehen.“
Auslöser des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 war die Emser Depesche, die die Ausstellung als Abbildung zeigt – sowohl im Original als auch in Bismarcks gekürzten Fassung. Hintergrund war ein Streit um die Thronfolge in Spanien. Kandidat war unter anderem Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen – aus Sicht Napoleons unmöglich. „Völlig verrückt: ein Hohenzollern-Prinz in Spanien, im ,Hinterhof von Paris’“, betont Maik Ohnezeit. „Das war so abwegig, dass er zurückzieht, eigentlich ist schon alles geklärt, als Frankreich noch einen draufsetzt.“
Volkskrieg endet im Januar 1871 mit dem Ende des Französischen Kaiserreichs
Napoleon habe von Kaiser Wilhelm I. verlangt, sich öffentlich zu entschuldigen und für ewig auf die Bestimmung der Thronfolge zu verzichten. Wilhelm, zu der Zeit in Bad Ems, lehnt die Demutsgeste brüsk ab, die Sache sei erledigt. Bismarck erfährt in der internen Emser Depesche davon, kürzt die Nachricht und veröffentlich sie. Von dieser fühlt sich wiederum Napoleon so brüskiert, dass er Preußen den Krieg erklärt. „Theoretisch ist es möglich, wissenschaftlich aber nicht bewiesen, dass Bismarck im Hintergrund die Fäden gezogen hat, nur um den Krieg zu provozieren“, sagt Ohnezeit. Der Volkskrieg endet im Januar 1871 mit dem Ende des Französischen Kaiserreichs.
Der Weg ist frei für die Gründung des Deutschen Reiches. Eine Zeit, mit der uns unsere föderale Struktur, unser Sozialgesetzbuch, das Auswärtige Amt sowie auch wieder der Sitz unseres Parlamentes im historischen Reichstag verbindet. Unser heutiger Umgang mit diesem Teil der Geschichte, der Missbrauch durch rechte und rechtsnationale Bewegungen sowie auch der Ruf danach, Denkmäler von Wilhelm I und Bismarck zu entfremden oder auch zu stürzen, kommt in der Ausstellung vergleichsweise kurz weg. „Bei der Kritik geht es um Kolonialismus oder Rassismus. Das ist aber nicht unser Ausstellungsthema“, sagt der Historiker dazu.
- Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr (ab Oktober 10 – 16 Uhr). Eintritt: 4 Euro oder ermäßigt. Weitere Infos auf www.bismarck-stiftung.de. Adresse Bismarck-Museum: Am Museum 2, 21521 Friedrichsruh, Otto-von-Bismarck-Stiftung: Historischer Bahnhof, Am Bahnhof 2, 21521 Friedrichsruh.