Die Niederung unterhalb Winsens wird im Herbst zur Großbaustelle, zugunsten der Natur.
Wenn die Luhe Winsen durchflossen hat, wird sie (wieder) zur Naturoase: Zusammen mit der Ilmenau bildet sie eine 434 Hektar große Niederung, die seit 2014 unter Naturschutz steht. Wiesen und Auwald wechseln sich ab, zwei Teiche bieten vor allem Amphibien und Libellen Lebensraum. Die Tide kann in der Luhe wirken, bewässert Teile der Wiesen und des Auwalds im Rhythmus der Gezeiten. Hier ist die Welt in Ordnung. Aber es geht noch besser. Denn der Flusslauf wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert stark begradigt. Ein Projekt der Stiftung Lebensraum Elbe will der Luhe zwei große Flussschleifen zurückgeben.
Baggerarbeiten sind schon genehmigt
Nur wenige 100 Meter hinter dem Aldi-Markt am Altstadtring wird das Heideflüsschen in einem Jahr wieder durch die Wiesen mäandrieren, so der Plan. „Wir haben jetzt die Genehmigung für die umfangreichen Baggerarbeiten“, sagt Elisabeth Klocke, Geschäftsführerin der Stiftung. Sie warnt die Winsener, die auf dem Stöckter Deich gerne spazieren gehen, joggen, radeln und dabei in die hübsche Flussaue schauen: „In wenigen Wochen wird hier eine Großbaustelle sein, statt grünen Wiesen wird nur noch schwarze Erde zu sehen sein.“ Sie habe so etwas schon bei anderen Projekten erlebt und verspricht: „Im nächsten Sommer wird alles allmählich wieder grün!“
Stiftung wurde 2010 gegründet
Flächen mit einem Gesamtumfang von zwölf Hektar habe die Stiftung gekauft, für weitere sechs Hektar kirchlichen Besitz Nutzungsrechte erworben, so Klocke. Mit ihren Mitarbeitern lässt sie den Naturraum der Elbe und ihrer Nebenflüsse in verschiedenen Projekten aufwerten. Die mit zehn Millionen Euro ausgestattete Stiftung wurde 2010 von der Stadt Hamburg gegründet, um den ökologischen Zustand der Tideelbe (bis zum Wehr Geesthacht) zu verbessern. Die Stiftung erhält ein Prozent der Haushaltsmittel für den Hochwasserschutz sowie vier Prozent des Hafengeldes, das Fracht- und Passagierschiffe zahlen (rund zwei Millionen Euro im Jahr).
Die Luhe wird 334 Meter länger
Das Luhe-Projekt sei schon etwas besonders, betont die Stiftungs-Chefin – „wann verlängert man schon einmal einen Fluss?“ Stolze 334 Meter werden durch die Schlangenlinien hinzukommen. Rund 820 Meter waren durch die Begradigungen verloren gegangen. Von der Maßnahme werde vor allem die Fischwelt profitieren, so Klocke, und mit ihr Kleinstlebewesen im Wasser sowie Vögel, die sich von den Flussbewohnern ernähren. Aber es entstehen auch Lebensräume für den Schierlings-Wasserfenchel und andere seltene Pflanzen. „Schon heute leben viele schützenswerte Tier- und Pflanzenarten in der Niederung, darunter Fischotter und Biber“, sagt Detlef Gumz, Leiter der Abteilung Naturschutz und Landschaftspflege in der Kreisverwaltung in Winsen. Eine Besonderheit sei das „recht stattliche Vorkommen von Meeresneunaugen.“
Die Luhe-Niederung gehört zu größerem Schutzgebietsnetz
Gumz: „Wir haben hier das Gewässersystem Luhe/Untere Neetze. Es ist Teil eines größeren Netzes von Natura 2000-Gebieten nach europäischen Schutz-Richtlinien. Dieses Netz hat ökologisch noch viel Luft nach oben. Deshalb sind wir sehr froh, dass die Stiftung Lebensraum Elbe sich hier engagiert.“
Das 2,3 Millionen Euro teure Vorhaben ist das größte Projekt der Stiftung und startete bereits 2015. Damals zeigte eine Machbarkeitsstudie, dass die Entwicklung von naturnahen Tide- und Auenlebensräumen an der Luhe sinnvoll ist. Ein Jahr später stand fest, welche Grundstücke die Stiftung für ihr Vorhaben benötigt, und die Eigentümer wurden angesprochen. Die Verkaufsverhandlungen liefen in den Jahren 2017/18. Sie waren nicht überall erfolgreich. So musste eine dritte anvisierte Flussschleife wegfallen. Parallel wurden die Maßnahmen konkret geplant und Ende Februar 2019 deren Genehmigung beantragt. „Wir greifen wesentlich in das Gewässer ein und brauchen dazu eine Genehmigung“, erläutert Klocke. „Die Ablaufsituation wurde untersucht und modelliert. Allen Anwohnern, die befürchten, dass das Hochwasserrisiko steigt, kann ich sagen: Das Wasser wird zukünftig genauso schnell ablaufen wie heute.“
Die Arbeiten beginnen schon im Herbst
Die Baggerarbeiten sind ausgeschrieben, noch im Herbst sollen die Arbeiten beginnen. Klocke: „Wir werden ein paar Monate Baustelle haben und hoffen, Ende Februar fertig zu sein.“ Bis dahin werden Bagger den neuen Flusslauf graben sowie in der Niederung acht neue Teiche und einige Priele anlegen. Auf extra geschaffenen Baustraßen wird der Bodenaushub abtransportiert. Bis voraussichtlich August/September 2020 wird die Luhe geradeaus weiterfließen, damit sich die neu geschaffenen Ufer setzen können und nicht mit der Strömung erodieren. Big Bags (große Säcke) werden die Übergänge in die neuen Flussschleifen zunächst verstopfen.
Weitere Projekte sind in der Planung
Die Luhe noch naturnäher zu machen, als sie schon ist, sei ein Gewinn für den gesamten Elbe-Lebensraum betont Klocke. Es sei eine „Katastrophe“, dass viele Nebengewässer von der Elbe abgetrennt wurden, so wie die benachbarte Seeve – das Seevesiel schließt mit auflaufender Flut automatisch. Längst hat die Naturschutzmanagerin ein Auge auf die Ilmenau geworfen, in die die Luhe mündet und mit ihr gemeinsam einige Kilometer bis zur Elbe fließt. „Die Machbarkeitsstudie hat die Ilmenau mit einbezogen“, sagt Klocke. „Wenn wir mit diesem Projekt hier fertig sind, werden wir entscheiden, ob wir an der Ilmenau weitermachen. Wir haben noch richtig schöne Sachen in der Studie stehen…“