Stade. Die Chemieindustrie an der Elbe ist ein bedeutender Standortfaktor. Zahlreiche Unternehmen in der Region Stade stehen unter Druck.
Stephan Engels Job ist es, Jobs zu erhalten. Rund 10.000 Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt am Chemie- und Industriestandort in Stade und im Landkreis Stade. Und die könnten in Gefahr geraten, nicht zuletzt wegen der hohen Energiekosten. Zu den großen Playern der Chemieindustrie in der Region gehören die Dow Chemical Company, die Aluminium Oxid Stade GmbH (AOS), Olin (Blue Cube Germany Assets GmbH) und die IFF (DDP Specialty Products Germany GmbH). Zu den kleineren, für die Region nicht nur als Arbeitgeber wichtige Unternehmen, gehört unter anderen die Air Liquide. All diese Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie leiden unter den hohen Energiekosten auf der einen Seite und der gesunkenen Nachfrage auf der anderen Seite.
Um sie zu halten und den Standort Stade zu sichern, hat die Wirtschaftsförderung des Landkreises Stade jetzt das Projekt „Zukunftsperspektive und Standortentwicklung Chemie- und Industriestandort Stade“ gestartet. Das 300.000 Euro Projekt soll drei Jahre laufen und wird zu 90 Prozent vom Land Niedersachsen und zu zehn Prozent aus der Kreiskasse finanziert. Und mit Engel als Projektkoordinator hat die Wirtschaftsförderung einen echten Insider eingekauft.
Stephan Engel kennt die Szene und weiß, was der Standort Stade braucht
Mehr als 33 Jahre war der Mann bei der DOW beschäftigt, zuletzt als Geschäftsführer am Stader Standort. Stephan Engel kennt die Szene und weiß, was der Standort Stade braucht, um die Unternehmen hier zu halten. Ein weiterer Baustein des Wirtschaftsförderungsprojektes ist es, die Industrie bei der Umwandlung zur Klimaneutralität zu unterstützen.
„Der absolute Tiefpunkt der Flaute scheint zwar überwunden, aber es geht der Chemieindustrie bei Weitem noch nicht gut. Der leichte Aufwärtstrend liegt auch an der Entspannung auf dem Energiemarkt“, erklärt Engel. Dennoch bleiben die hohen Energiekosten ein Problem, nicht nur für die Chemiekonzerne in Stade. Darüber hinaus, so der Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik, der vor seiner Zeit als Geschäftsführer elf Jahre lang bei der Dow die Energiewirtschaft verantwortete, mache den Unternehmen in Stade ein gravierendes Nachfrageproblem zu schaffen.
Hauptproduktlinie der Dow in Stade ist das Epoxidharz. Es wird für Windräder gebraucht
Ohne Chemie geht Heute nichts mehr. Die Industrie liefert die Stoffe für Konsumartikel, und die Kauflaune der Konsumenten hält sich aktuell sehr in Grenzen. Chemie Unternehmen produzieren für die Baubranche, die gerade schwer zu kämpfen hat, und für die Automobilindustrie. Und auch der Windenergie-Ausbau gestaltet sich noch recht schleppend. Eine Hauptproduktlinie der Dow in Stade ist das Epoxidharz. Aus diesem Harz werden die Flügel der Windräder gebaut. Die Dow produziert auch die Komponenten für die Herstellung der Pulyurethane (Pur). Der Kunststoff steckt in Schuhen, Surfbrettern und Möbeln.
Engel: „Im Moment geben die Leute nicht gerne ihr Geld aus, niemand weiß genau, was kommt.“ Stephan Engel will zwar nicht den Teufel an die Wand malen, aber grundsätzlich bestehe durchaus die Gefahr, dass ein Chemie-Unternehmen hier in Stade die Segel streichen könnte und die Produktion dorthin verlagert, wo die Kosten niedriger sind. Damit würden zwangsläufig hier Arbeitsplätze verloren gehen.
Finanzierungszusage für das LNG-Terminal Stade-Bützfleth ist zu erwarten
Andererseits weiß der ehemalige Dow-Geschäftsführer auch, dass „der europäische Chemiemarkt ein sehr großer Markt ist. Wenn ich da als Unternehmen mitspielen will, geht das nur, wenn ich vor Ort bin“ - also ein Pluspunkt für Stade. Und das ist nicht der einzige Standortvorteil, den die Hansestadt bietet. Die endgültige Finanzierungszusage für das LNG-Terminal im Seehafen Stade-Bützfleth ist jetzt zu erwarten und das Terminal steht vor der Fertigstellung. Dieses Terminal wäre dann ein wichtiger Baustein auf dem Weg günstige Rahmenbedingungen für die Chemieindustrie vor Ort zu schaffen.
Und Stade hat bereits einen sehr wichtigen Standortvorteil für die Chemieindustrie: Kochsalz. Kochsalz, so Engel, sei der Bodenschatz in Niedersachsen. Kochsalz ist das Rohmaterial für die Chlorproduktion, die Produktion von Natronlauge und Wasserstoff. Und Wasserstoff könnte ein wichtiger Baustein für die Transformation zur Klimaneutralität werden. All das, so Engel, bilde den Grundstock für „viele Wertschöpfungsketten innerhalb des Landkreises Stade. Und die Dow in Stade ist Europas größter Produzent von Wasserstoff“.
Viele Puzzleteile, die Engel zu einem ganzen Bild zusammenfügen muss
Viele kleine Puzzleteile, die Stephan Engel jetzt erst einmal zu einem ganzen Bild zusammenfügen muss. „Unser Vorteil ist ganz klar, die Unternehmen stehen nicht im Wettbewerb zueinander. Das heißt, wir ziehen mit unserem Projekt alle an einem Strang. So können wir, wenn wir die Marktbedingungen schon nicht ändern können, aber die Standortbedingungen verbessern. Und wir können alle Akteure ins Boot holen, das heißt die Geschäftsführungen genauso wie die Betriebsräte und die Gewerkschaften“, sagt er.
- Dow Chemical investiert eine Milliarde Euro
- Aktuelle Projekte der Dow Chemical in Stade
- 1500 Jobs bei Dow Chemical in Stade gefährdet
Als einen ersten Schritt in der Projektarbeit hat Engel vier Arbeitskreise mit den Themen Energie, Netzwerke vor Ort, Bürokratie und Fachkräfte initiiert. Engel: „Jetzt geht es in erster Linie darum, den Ist-Zustand aufzunehmen. Erst wenn ich den analysiert habe, kann ich Verbesserungen angehen.“ Und damit kann das Projekt einen wichtigen Teil zum Erhalt von rund 10.000 Arbeitsplätzen in der Region beitragen.