Lüneburg. Osteopathin Eilika Münz besucht Sterbenskranke auf der Palliativstation. Was sie dabei für ihr eigenes Leben lernt.
. Als Eilika Münz das Zimmer schon fast verlassen hat, sagt Uwe Marten noch etwas zu ihr. Früher habe er immer gedacht, die Palliativstation sei die Todesstation, sagt er. Jetzt, fährt er fort, sei er eines Besseren belehrt worden. Als die Therapeutin von dem Gespräch mit dem Krebskranken erzählt, tanzt ein zartes Lächeln über ihr Gesicht. Die 30-Jährige arbeitet als Osteopathin auf der Palliativstation des Städtischen Klinikums Lüneburg.
Palliare bedeutet im Lateinischen zudecken, mit einem Mantel umhüllen, lindern. Schon während ihres Studiums der Osteopathie, in einem Seminar und während des medizinischen Praktikums, spürte Eilika Münz, dass dies ein Bereich ist, in dem sie arbeiten will. „Hier wird interdisziplinär gearbeitet, hier werden die Menschen als Ganzes gesehen. Es geht um Lebensqualität anstelle von -quantität.“
Verbesserung der Lebensqualität für die Patienten und ihre Angehörigen
Palliativmedizin ist laut Definition der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin die „aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung. Sie strebt die Besserung körperlicher Krankheitsbeschwerden ebenso wie psychischer, sozialer und spiritueller Probleme an. Das Hauptziel der palliativmedizinischen Betreuung ist die Verbesserung der Lebensqualität für die Patienten und ihre Angehörigen (auch über die Sterbephase hinaus).“
Die Palliativstation des Klinikums Lüneburg zum Beispiel ist so farbig wie wohl keine andere – und verfügt über eine Terrasse, wie sie zu einem Wellness-Hotel gehören könnte. Mit Hängesessel und Strandkorb, alles ebenerdig mit den rollbaren Betten zu erreichen, wenn Patientinnen und Patienten den Wunsch äußern, an der frischen Luft liegen zu wollen.
Vieles werde auf diesem Flur, in diesen Zimmern auf den Kopf gestellt, erklärt Eilika Münz. „Es geht hier um das Wahrhaftige. Es fallen Hüllen, Geschlechterrollen lösen sich auf. Das Banale verliert an Bedeutung. Es geht um die großen Fragen des Lebens. Welchen Wert hat Zeit? Das Leben eines Menschen? Wie viel Sinn ergibt eine Behandlung um jeden Preis?“ Und, die größte Frage von allen: „Wer sind wir? Wenn wir das wissen, verändert das unser Leben komplett.“
„Mein Leben wird durch das Bewusstsein über den Tod viel lebendiger“
Für die Erkrankten sei die Zeit auf der Palli besonders sensibel, besonders intensiv, hat Eilika Münz beobachtet. „Ich finde es spannend, dabei sein zu dürfen.“ Wenn andere sie fragen, ob sie die ständige Konfrontation mit unheilbaren Krankheiten und Tod nicht traurig mache, sagt sie nein. „Ich spüre vor allem Dankbarkeit. Die Arbeit hier kann für beide Seiten sehr heilsam sein. Mich selbst bringt sie dem Leben viel näher als dem Tod. Mein Leben wird durch das Bewusstsein über den Tod viel lebendiger.“
Zu oft drehe es sich in unserer Gesellschaft darum, dass Dinge wie Jugend, Schönheit und Glück nicht vergehen dürften – und ums Funktionieren, auch des Körpers. „Es geht aber ums Werden und Vergehen. Wir haben den Zugang zu unserer Natur verloren. Wir vergessen manchmal, dass wir Menschen sind.“
Sie spürt, dass ihre Patienten durch ihre Behandlungen ruhiger werden
Dem Ende des Lebens friedlich entgegen gehen zu können, auch das sei ein Ziel ihrer Arbeit. „Auch das ist für mich heilen im Sinne eines natürlichen Prozesses: einen möglichst friedlichen Tod haben zu können.“ Sie spürt, dass ihre Patientinnen und Patienten durch ihre Behandlungen ruhiger werden, entspannter. „Die meisten lernen Osteopathie erst hier kennen.“
Auch Uwe Marten. „Ich kannte das nicht, musste das erst einmal annehmen“, erzählte der 63-Jährige. Dass jemand nur die Hand auf seinen Körper legt und mehr scheinbar nicht. „Aber dann habe ich gemerkt, dass es sich anfühlt, als würde ich auf einem Federbett liegen. Wie eine innerliche Entspannung.“
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Eilika Münz hat eine eigene Praxis in Lüneburg und macht Hausbesuche. Einen Nachmittag pro Woche arbeitet die freiberufliche Osteopathin und Heilpraktikerin am Klinikum, ihr Honorar finanziert der Verein Ambulanter Hospizdienst Lüneburg. „Ebenso wie den Musiktherapeuten können wir die Osteopathie aus Spenden bezahlen, die Menschen uns explizit für die Palliativstation überweisen“, sagt die Vorsitzende Rebecca von Brockhusen. „Beides ist eine sehr schöne Ergänzung für all das, was auf der Station ohnehin geleistet wird und wird sehr dankend angenommen.“
Nachwort: Uwe Marten verstarb vier Tage nach unserem Besuch. Es war ein friedlicher Abschied.