Vorfälle im Kreis Harburg häufen sich. Kreisjägermeister: „Täter im Estetal muss hochgradig gestört sein.“ Polizei bittet um Mithilfe.
Landkreis Harburg.
- Landwirte finden mehrere offenbar grundlos abgeschossene Rehe im Hegering Estetal.
- Der stellvertretende Hegeringleiter hat die Vorfälle zur Anzeige gebracht.
- Jäger in der Region sind fassungslos: „Das ist doch krank.“
Hat der Landkreis Harburg ein Problem mit Wilderern? Mehrere abgeschossene Rehe im Hegering Estetal deuten darauf hin – offenbar wurden die Wildtiere gezielt und illegal getötet. Die Polizei hat die Angaben der Jäger inzwischen bestätigt.
Die Häufung der Vorfälle in seinem Hegering beunruhigen Henning Mißfeld. „Da hat es offenbar jemand nur auf das Töten abgesehen“, sagt der stellvertretende Leiter des Rings. „Vielleicht gibt ihm das einen besonderen Kick. Die Rehe wurden abgeknallt und liegengelassen. Das ist doch krank – zumal auch eine Ricke abgeschossen wurde, deren Gesäuge darauf schließen lässt, dass sie mindestens ein Kitz hatte. Ihr Nachwuchs dürfte nun ebenfalls schlechte Überlebenschancen haben“, so Mißfeld. „Wer macht so etwas?“
Abgeschossene Rehe im Kreis Harburg: Kreisjägermeister spricht von Tierquälerei
Auch Kreisjägermeister Norbert Leben ist besorgt – und fassungslos. „Der Täter im Estetal muss hochgradig gestört sein. Er empfindet offenbar keinerlei Achtung vor der Kreatur.“ Für das Wild sei Wilderei oft mit großem Leid verbunden, sagt Leben: „Oftmals wird es nicht richtig getroffen und verendet erst später. Das ist eine Qual für die Tiere, das mag man sich gar nicht vorstellen.“
Auch für die Jägerschaft sei es kein gutes Gefühl, wenn Leute, die so etwas in Kauf nehmen, bewaffnet und mit Nachtsichtgeräten durch den Wald schleichen. „Vielleicht bekommt der ja irgendwann Lust auf mehr und zielt auf einen Menschen“, so Leben.
Jäger in Sorge: Täter besitzt vermutlich einen Jagdschein
Die Ricke wurde laut Mißfeld von einem Landwirt auf seinem Acker in Holtorfsbostel gefunden, etwa 20 Meter neben einer Asphaltstraße. Mißfeld selbst fand in seinem Revier bei Moisburg einen toten Rehbock mit Einschusslöchern. Einen weiteren Fund gab es in Daensen bei Moisburg, berichtet der Stellvertretende Hegeringleiter. Er äußert eine schockierende Vermutung: „Ich befürchte, es könnte sich um jemanden handeln, der einen Jagdschein besitzt oder zumindest über jagdliche Kenntnisse verfügt. Darauf weisen die gezielten Schüsse und die offensichtlich verwendete jagdliche Munition hin.“
Bei der Ricke sei garantiert ein jagdliches Kaliber verwendet worden, das sei am Ein- und Ausschuss zu erkennen, so Mißfeld. Solche Munition darf legal nur mit Vorlage eines Jagdscheins erworben werden. Dass ein ortsansässiger Jäger die Tiere getötet haben könnte, schließt Mißfeld aus: „Die Jägerschaft im Hegering ist aufmerksam und gut vernetzt. Sobald ein Schuss zu hören ist, der nicht zugeordnet werden kann, geht die Nachfrage über WhatsApp los. Wir können dann sehr schnell feststellen, ob jemand von uns unterwegs ist oder nicht“, so Mißfeld.
Abschuss des Wildes ohne Befugnis und mitten in der Schonzeit illegal
Auch wenn der vermeintliche Wilderer tatsächlich über einen Jagdschein verfügt, wäre der Abschuss des Wildes ohne Befugnis und mitten in der Schonzeit illegal. Und für das Image der Jägerschaft im Landkreis Harburg ein Desaster.
„Die Jagd ist kein Hobby“, sagt Mißfeld. „Sie erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und besteht nur zu einem sehr geringen Teil aus dem Töten der Tiere. Solche Leute machen das alles zunichte.“
Der Landwirt kritisiert, dass für manche „die Jagd offenbar das neue Golfen ist“ und es immer mehr Absolventen von Crashkursen gebe, mit denen der Jagdschein innerhalb von wenigen Wochen erworben werden könne.
Landwirt kritisiert: „Jagd ist nicht schick, sondern sehr arbeitsintensiv“
„Ich will das nicht allgemein verteufeln, aber die verantwortungsvolle Ausübung des Waidwerks erfordert vor allem auch ethische und moralische Grundsätze. Das darf nicht zu kurz kommen. Jagd ist nicht schick, sondern sehr arbeitsintensiv, wenn man seine Aufgabe ernst nimmt“, sagt Mißfeld. Vielleicht wolle der aktuelle Täter sich diesem Aufwand nicht stellen, sondern lediglich seine teure jagdliche Ausrüstung, zu der offenbar auch ein Nachtsichtgerät gehöre, in der Praxis einsetzen.
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„Das wäre schon besonders schäbig“, so Mißfeld. „Früher waren die Beweggründe für Wilderei noch andere. Da wurde gewildert, weil die Menschen nichts zu Essen hatten. Das kann man nicht verurteilen. Aber hier liegt moralisch und rechtlich ein Verbrechen vor, für das der Täter zur Rechenschaft gezogen werden muss.“
Dem Täter droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
Bei der Wilderei handelt es sich um eine Straftat. In Paragraf 292 des Strafgesetzbuches steht, dass, wer unter Verletzung fremden Jagdrechts oder Jagdausübung Wild nachstellt, es fängt, erlegt oder sich zueignet, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft wird.
In besonders schweren Fällen kann sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren die Folge sein. Solch ein schwerer Fall liegt vor, wenn die Tat gewerbs- und gewohnheitsmäßig, zur Schonzeit oder gemeinschaftlich, begleitend mit mehreren Schusswaffen ausgerüstet, begangen wird.
Phänomen kommt nicht nur im Hamburger Süden immer wieder vor
Das Phänomen kommt nicht nur im Hamburger Süden immer wieder vor, sondern ist in ganz Deutschland verbreitet. Pro Jahr werden deutschlandweit zwar nur etwas mehr als 1000 Fälle von Wilderei gemeldet, doch die Dunkelziffer ist hoch.
Auch die aktuell aufgefundenen Tiere im Hegering Estetal dürften nur die Spitze des Eisberges sein. Meistens nehmen die Täter das erlegte Wild ja mit, und außerdem weiß kein Jäger genau, wie viel Wild sich in seinem Revier tatsächlich befindet. Oft werden die Vorfälle auch gar nicht gemeldet, weil die Hoffnung, dass die Polizei die Täter fasst, eher gering ist.
„Wer etwas Verdächtiges beobachtet, sollte sich unmittelbar an die Polizei wenden“
Da Wilderer oft illegale Waffen mit sich führen, nimmt die Polizei das Problem allerdings sehr ernst – besonders nach den Polizistenmorden von Kusel, wo Wilderer tödliche Schüsse auf zwei Polizeibeamte abgegeben hatten, um Jagdwilderei im großen Stil zu verdecken. „Wer etwas Verdächtiges beobachtet, sollte sich unmittelbar an die Polizei wenden“, sagt Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg. Der Nachweis des unerlaubten Töten von Tieren sei sehr schwierig und gelinge eher, wenn eine zeitliche Nähe von Straftat und Benachrichtigung der Polizei gegeben sei.
„Wir haben ja meistens nicht einmal ein Projektil. Es ist leider nicht so, dass das Geschoss, wie im Fernsehen, zufällig in einem Baum stecken bleibt und wir mit dem Ermitteln loslegen könnten“, so der Polizeisprecher.
Was nicht bedeute, dass die Polizei sich nicht für das Problem interessiere – schon allein aus Gründen der Sicherheit: „Es ist nicht tragbar, dass Leute unberechtigter Weise mit Waffen durch die Wälder streifen“, so Krüger.
Neue Techniken wie Nachtsichtgeräte machen es den Tätern leichter
„Wir bitten daher um Mithilfe und fordern Spaziergänger, Jäger, Reiter und alle anderen, die sich gern in der Natur aufhalten, zu einer erhöhten Aufmerksamkeit auf. Scheuen sie sich nicht, bei einer verdächtigen Beobachtung unmittelbar die Polizei zu verständigen.“
Auch die Jägerschaft im Landkreis Harburg hofft, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit vonseiten der Polizei und mehr Sensibilität für das Thema in der Bevölkerung den Druck auf den oder die Täter erhöhen könnte. Das habe schon einmal funktioniert, weiß Horst Günter Jagau, Vorsitzender der Kreis-Jägerschaft. „Vor ein paar Jahren hatten wir einen Wilderer im Raum Hanstedt. Nachdem wir das öffentlich gemacht haben, hat er seine Tätigkeit eingestellt.“
Geschnappt wurde er allerdings nicht. Insgesamt tauche das Thema im Landkreis immer wieder auf, so Jagau. „Und gerade im Bereich Estetal hatten wir schon im vergangenen Jahr ein Problem mit Wilderei.“ Neue Techniken, wie Nachtsichtgeräte, machten es den Tätern heutzutage leichter, so Jagau.