Lüneburg. Ausgrabungen am Ostpreußischen Landesmuseum: Archäologen finden unerwartete Hinweise zur frühen Stadtgeschichte Lüneburgs.
Nur etwa anderthalb Meter unter der Erdoberfläche haben Archäologen Spuren aus dem Mittelalter freigelegt, die neue Einblicke in die Lüneburger Stadtgeschichte geben. Die Ausgrabungsstelle liegt mitten in der Stadt neben dem Ostpreußischen Landesmuseum, das in Kürze einen Anbau erhält. Seit Anfang März untersuchen Fachleute den Untergrund, sichern Fundstücke und dokumentieren Hinweise auf die frühere Nutzung der Fläche. Sie konnten Siedlungsschichten feststellen, die in den Jahrzehnten um 1200 abgelagert worden sind.
„Die Ausgrabungen führen uns tief zurück in die Stadtgeschichte Lüneburgs“, sagt Tobias Schoo. „Wir haben sehr spannende Ergebnisse erzielt.“ Der Stadtarchäologe betreut die Arbeiten fachlich, die von der Firma Archaeofirm im Auftrag des Museums durchgeführt werden.
Spuren aus 12. und 13. Jahrhundert: Lüneburg wuchs früher zusammen als gedacht
Bereits im Jahr 2014 war im Zuge des Neubaus des Museumsfoyers ein Bereich des Hofs untersucht worden. Damals kamen Spuren aus dem 13. bis 16. Jahrhundert zutage, darunter Pflugspuren, Backsteinkloaken und die Fundamente eines Nebengebäudes. Dass die neue Ausgrabung auf einer Fläche von etwa vier mal 17 Meter ähnlich ergiebig sein könnte, hatten die Experten gehofft, jedoch nicht mit Sicherheit gewusst.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Lüneburg Siedlungskerne – Mons, Pons und Fons – bereits früher als bisher angenommen zusammengewachsen sind. Denn die Archäologen sind auf Wagenspuren gestoßen, die sich in drei parallel verlaufenden Trassen über die gesamte Ausgrabungsfläche ziehen. Diese bisher nicht bekannte Wegeverbindung stammt wahrscheinlich aus dem 12. oder frühen 13. Jahrhundert. „Somit setzte die Siedlungstätigkeit hier früher ein, als durch schriftliche Quellen zu vermuten war“, sagt Schoo. Bisher war man davon ausgegangen, dass dies erst im Verlauf des 13. Jahrhundert geschehen wäre.
Ausgrabungsschichten geben Hinweise auf Lebensweise der Menschen im Mittelalter
Auch die darüber liegenden Schichten haben zahlreiche Fundstücke preisgegeben, und zwar ungewöhnlich viele für die eher geringe Grabungstiefe. Die Funde tragen dazu bei, dass Forscher sich ein genaueres Bild der damals hier lebenden Menschen machen können. Die Fläche zwischen Heiligengeiststraße und Ritterstraße sei vom 13. Jahrhundert an ein typischer Hinterhof mit Siedlungsgruben und Bereichen für handwerkliche Tätigkeiten gewesen, sagt Schoo. Zudem weisen verschiedene Scherben darauf hin, dass die hier lebenden Lüneburger bereits vor 800 Jahren weitreichende Handelsverbindungen gepflegt haben.
So waren im Boden Stücke von hochwertiger Keramik verborgen, die teilweise kunstvoll bemalt oder aufwendig verarbeitet ist. Eine cremefarbene Scherbe mit rotem Streifen ist der Pingsdorfer Keramik aus dem Rheinland zuzuordnen, eine andere, auf die ein Gesicht gemalt ist, diente vermutlich als Verzierung für Geschirr.
Keramikscherben aus England, Frankreich oder Skandinavien weisen auf „High Society“ von Lüneburg hin
„Das ist etwas ganz Besonderes. So etwas wurde in Südengland, Nordfrankreich oder Skandinavien hergestellt und muss von weither nach Lüneburg gekommen sein“, sagt der Stadtarchäologe. Zwar sei aus schriftlichen Quellen nicht bekannt, wer in dieser Zeit hier gelebt habe. Doch die Grabungen gäben nun deutliche Hinweise auf die Lebensweise der damaligen Bewohner. „Die Menschen müssen reich gewesen sein, sie gehörten vermutlich zur High Society von Lüneburg.“
Außerdem fanden die Archäologen viele Scherben von Küchengeschirr, das die frühen Lüneburger im Alltag genutzt haben, darunter ein Kugeltopf für Suppe oder Brei sowie Füßchen von sogenannten Grapen. Diese dreibeinigen Töpfe konnten aufgehängt oder in die Feuerstelle gestellt werden. Die Handwerker, die sie hergestellten, gaben der Grapengießerstraße ihren Namen. Die Fundstücke werden nun ausgewertet und dann ans Museum übergeben, kündigt Schoo an. „Das Material ist viel zu schön, um es nicht zu zeigen. Und es erzählt eine Geschichte, die für alle Lüneburger interessant ist.“
Eine Grube mit Brandspuren gibt den Archäologen noch Rätsel auf
Einen besonderen Befund stellt eine viereckige Grube dar, die vermutlich aus dem 15. bis 17. Jahrhundert stammt. Am Rand war sie einst mit Holzpfosten umstellt, die Vertiefungen wurden irgendwann mit dunklem Erdreich verfüllt und sind heute deutlich an der Schnittkante im Boden zu erkennen. Die Grube wurde mit Ton angefüllt, in der Mitte finden sich Spuren von Feuer, ein sogenannter Brandkanal.
Der Stadtarchäologe vermutet eine Art Schmiede an dieser Stelle. „Aber ich habe so etwas noch nie gesehen. Vielleicht wird auch nie ganz geklärt, wozu diese Grube diente.“ Denn trotz aller neuen Erkenntnisse, die die aktuellen Ausgrabungen gebracht haben – am Ende gleicht die Arbeit der Archäologen einem Puzzle, dem immer noch einige Teile fehlen.
Museum plant Anbau für Philosophen Immanuel Kant
Das Ostpreußische Landesmuseum mit Deutschbaltischer Abteilung wurde 1987 eröffnet. Das Lüneburger Museum zeigt seltene, wertvolle und ungewöhnliche Exponate zu Landschaft, Geschichte und Kultur Ostpreußens und der Deutschbalten.
Der neue Erweiterungsbau – der Kantbau – umfasst eine Nutzfläche von 500 Quadratmetern. Die Ausstellung ist dem Philosophen, Aufklärer und berühmten Ostpreußen Immanuel Kant gewidmet. Sie soll im kommenden Jahr, zum 300. Geburtstag des Philosophen, eröffnet werden und wird die erste Dauerausstellung zu Kant in Deutschland. Weitere Informationen: www.ostpreussisches-landesmuseum.de