Tobias Schoo ist Lüneburgs neuer Stadtarchäologe. Sonntag gibt er seine erste Themenführung im Museum Lüneburg
Lüneburg Herr Schoo, Was machen Sie gerade?
Im Moment arbeite ich mich noch ein, lerne hier alles kennen und entwickle neue Ideen. Ganz konkret bin ich jetzt gerade dabei, die Schausammlung ein wenig umzustrukturieren, ich mache Platz für einen Kollegen. Wir möchten, dass alle Epochen von Steinzeit bis Moderne hier vertreten sind und man sie mit einem Blick erfassen kann. Dann werden hier in den Arbeitsräumen der Stadtarchäologie auch Veranstaltungen, vielleicht Seminare, stattfinden. So eine Schausammlung ist dafür da, dass man schnell auf Beispiele zugreifen kann. Und die Stücke, die ich jetzt auswähle, um sie ins Außendepot zu verlagern, sind ja nicht weg.
Wie viele Gefäße stehen hier denn aktuell auf dem Tisch?
Ungefähr 100 habe ich jetzt schon separiert. Wir haben hier im Museum Lüneburg ja mehrere Sammlungsbereiche: zur Kulturgeschichte, die Naturwissenschaftliche Sammlung, zur Ur- und Frühgeschichte und dann haben wir noch den großen Bereich, der meiner ist, die Stadtarchäologie Lüneburg. Dieser beinhaltet sämtliche Funde, die aus dem Stadtgebiet stammen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts finden hier Ausgrabungen statt. Der erste institutionelle Stadtarchäologe war mein Vorgänger, Prof. Dr. Edgar Ring. Die Kolleginnen und Kollegen haben einen riesigen Fundus an Materialien zusammengetragen und den verwalte ich jetzt.
An wen richten sich denn die Seminare, die Sie gerade erwähnten?
Ich habe als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität in Halle gearbeitet und schreibe dort auch gerade noch meine Doktorarbeit. Mein Doktorvater hat mich neulich angerufen, dass er sich gut vorstellen könne, mit seinen Studierenden hier vorbeizukommen. Halle ist natürlich ganz schön weit weg. So eine Kooperation könnte also nicht jedes Semester stattfinden. Regelmäßige Seminare wären dann eher etwas für Studierende aus dieser Region. Edgar Ring wirkt beispielsweise auch an der Universität Hamburg. Und auch mit Studierenden der Leuphana Universität Lüneburg haben schon gemeinsame Veranstaltungen stattgefunden. Hier mit mehreren Universitäten zusammenzuarbeiten, kann ich mir sehr gut vorstellen.
Warum wollen Sie mit Studierenden zusammenarbeiten?
Für uns ist das sehr wichtig, damit Abschlussarbeiten entstehen können. Es zeigt sich nämlich immer wieder, dass bei einer archäologischen Maßnahme immer sehr viel Zeit für die eigentliche Ausgrabung eingeplant ist. Für die Aufarbeitung fehlt dann aber die Zeit. Allerdings benötigt gerade die wissenschaftliche Nachbearbeitung häufig besonders viel Zeit. Wenn wir uns vorstellen, dass eine zweiwöchige Ausgrabung stattgefunden hat, kann es mehrere Monate dauern, sie vernünftig wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Kolleginnen und Kollegen von den Grabungsfirmen leisten hier Grundlagenarbeit, indem sie einen Grabungsbericht verfassen, der in Lüneburg glücklicherweise meist auch direkt publiziert wird. Wir haben mehrere Zeitschriften wie etwa die „Denkmalpflege in Lüneburg“. Das ist ein Heftchen, das jährlich erscheint. Darauf sind wir hier auch sehr stolz. Aber die Grabungsfirmen können natürlich immer nur einen Einblick geben. Wir brauchen die Unterstützung von Studierenden. Ich habe das auch selbst im Studium so gemacht. Es ist sehr gerngesehen, dass man Sachen aufbereitet, die schon im Museum liegen.
Zu den Studierenden aus Halle – ist es für einen Archäologiestudenten nicht fast normal, weite Wege auf sich zu nehmen?
Man könnte das in jedem Fall als Blocktermin machen. Aber die Kollegen in Halle haben natürlich auch tolle Sachen. Um sich etwas anzuschauen, muss man nicht extra nach Lüneburg fahren. Wobei: Wir haben hier natürlich die tolleren Sachen (lacht).
Womit wir zur entscheidenden Frage kommen: Warum haben Sie sich für eine Stelle in Lüneburg beworben?
Ich finde an Lüneburg besonders spannend, dass es hier eine Schnittstelle zwischen Stadtarchäologie und Museum gibt. Das ist deutschlandweit selten. Diese personelle Verschränkung hatte mich begeistert. Ich finde es nämlich auch sehr wichtig, der Öffentlichkeit näherzubringen, was wir für archäologische Bereiche haben – und das geht am besten über ein Museum. Wenn ich jetzt Sachen ausgrabe, habe ich die Möglichkeit, Ergebnisse über Sonderausstellungen und Themenabende zu veröffentlichen. Und dann reizt mich natürlich auch die Möglichkeit, ein ganzes Gebiet als Stadtarchäologe zu betreuen. Es ist eben nicht so, dass jede etwas größere Stadt sich eine Stadtarchäologie leistet, die Stadt muss schon den expliziten Wunsch haben. Ansonsten wird das über größere Bezirke geregelt. Und normalerweise muss man ein sogenanntes Benehmen mit dem Landesamt erstellen – doch dieses entfällt hier. Deswegen können wir in Lüneburg unsere Entscheidungen treffen, natürlich immer in enger Abstimmung mit dem niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Mit dem Bezirksarchäologen, der ebenfalls in Lüneburg sitzt, habe ich ein kollegiales Verhältnis.
Sie betreuen das ganze Stadtgebiet. Was finden Sie hier vor?
Wir haben hier diesen alten Baubestand, was daran liegt, dass Lüneburg im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden ist. Und man hat darauf geachtet, den Baubestand zu erhalten. Wir haben hier viele Gebäude aus dem 16 Jahrhundert, im Kern auch solche, die aus dem 14. Jahrhundert stammen. Der Bestand ist sehr beeindruckend, insbesondere in Kombination mit den archäologischen Funden. Man hat also vielleicht, von vorne betrachtet, ein Gebäude, das historisch interessant ist, und von hinten betrachtet einen Hinterhof, in dem Abfälle entsorgt wurden, in dem wir jetzt als Archäologen wertvolle Informationen finden. Wir können hier versuchen, ein relativ gesamtheitliches Bild zu entwerfen. Baudenkmalpflege und Bodendenkmalpflege verschränken sich ineinander.
Es klingt, als hätten Sie viel zu tun. Was sind ganz konkret Ihre Aufgaben?
Ich habe als Archäologe eine 39-Stunden-Woche. Das ist übrigens auch nicht alltäglich. Wenn hier eine Baumaßnahme stattfindet, Sie also beispielsweise ein Haus bauen und auch einen Keller anlegen wollen, dann bin ich auf den Plan gerufen. Ich schaue dann, ob archäologische Substanz in Gefahr ist. Zunächst schaue ich auf Karten, wir nutzen heutzutage Geoinformationssysteme, die sämtliche Fundmeldungen organisieren. Es kann sein, dass ein Heimatforscher in den Siebzigerjahren auf dem Bauland Material aufgesammelt hat. Und möglicherweise wurde dort in den Neunzigern eine Leitung verlegt, deren Installation archäologisch begleitet wurde. Wenn ich also herausfinde, dass schon archäologisches Material gefunden wurde, ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass jetzt wieder etwas gefunden wird, wenn Sie mit dem Bagger den Boden aufbrechen. Dann muss ich eine Auflage formulieren. Das ist im niedersächsischen Denkmalschutzgesetz festgelegt.
Und was passiert dann mit meinem Haus?
Wir schließen eine Art Deal ab: Es darf gebaut werden, aber wir müssen vorher ausgraben, was sich dort befindet, um es zu dokumentieren. Das ist allerdings nicht immer so. Wenn Sie jetzt sagen, Sie möchten Ihr Haus unbedingt auf einer eisenzeitlichen Burg bauen, würde ich vielleicht vorschlagen, einen neuen Ort für Ihr Haus zu suchen. Es gibt auch Schutzgebiete. Ich bin übrigens auch gerade dabei, mich in die Baudenkmalpflege einzuarbeiten. Ich bin bei vielen Außenterminen dabei, um mich vorzustellen.
Hinzu kommt die Museumsarbeit.
Die übrigen 30 Prozent meiner Zeit verbringe ich im Museum Lüneburg. Hier kümmere ich mich um die Öffentlichkeitsarbeit, um Sonderausstellungen beispielsweise. Diese erfolgen immer in Zusammenarbeit mit den anderen Bereichen. Außerdem biete ich Führungen an und werde – wie schon erwähnt – mit den Universitäten zusammenarbeiten, um das Wissen zu vermitteln. Und nicht zuletzt spielt das Sammlungsmanagement eine Rolle. Ich bereite zum Beispiel Objekte vor, die andere Museen gern ausstellen würde, und regele den Transport. Auch Privatpersonen können sich übrigens Objekte aus unserer Sammlung anschauen. Wenn Sie zum Beispiel sagen, Sie hätten von einem Objekt gelesen und würden dieses sehr gern sehen, könnte ich das ermöglichen. In der öffentlichen Diskussion wird das Sammlungsmanagement oft vergessen, es dreht sich alles um die Ausstellungen. Man darf nicht vergessen, dass ein Großteil der Fundstücke in den Museen in den Depots liegt.
Haben Sie ein besonderes Spezialgebiet?
Ich bin Mittelalter- und Neuzeitarchäologe. Das Mittelalter erstreckt sich von 500 bis 1500 und die Neuzeit, mit der ich mich hauptsächlich beschäftige, reicht bis ins 17., teils bis ins 19. Jahrhundert. Und ich interessiere mich besonders für Keramiken.
Warum gerade Keramiken?
Das muss so ein menschliches Ding sein, dass man immer wieder neue Sachen haben möchte und sich dementsprechend neue Trends entwickeln. Man kann beobachten, dass Keramiken einem sehr dynamischen Wandel unterliegen. Wir können sie also datieren und wir können sehen, wie sich im Laufe der Zeit der Geschmack ändert. In bestimmten Ortschaften wurden ganz spezifische Keramiken hergestellt, die dann auch weit verhandelt wurden. Wir stellen uns das heute manchmal so vor, dass die Menschen im Mittelalter auf ihrer kleinen Scholle gesessen haben und um sich herum niemanden gekannt haben. Wir können an dem Material, das wir finden, aber sehen, wie die Menschen damals vernetzt waren. Einzelne Händler sind umhergereist und so hat auch ein Informationsaustausch stattgefunden. Wenn ich hier in Lüneburg Gefäße finde, die in Frankreich oder Portugal hergestellt wurden, ist das natürlich besonders interessant für mich.
Haben Sie ein Beispiel aus der Sammlung?
Wir haben einen Krug aus Portugal, eine Fayence. Das ist eine besondere Art Keramik, die mit einer Zinnglasur versehen ist. Und dieser Krug stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das Stück fällt mir gerade ein, weil es so besonders schön ist.
Wie sind Sie denn zu Ihrer Leidenschaft gekommen?
Keramiken kommen natürlich in der Archäologie besonders häufig vor. Ein Holzgefäß kann nicht so lange überdauern. Also handelt es sich um die größte Quellengattung, die wir haben. Mein Doktorvater hat einen sehr starken Schwerpunkt in der mittelalterlichen Keramik und hat mich herangeführt.
In Ihrer Doktorarbeit untersuchen Sie ebenfalls Keramiken?
Ich schreibe über Funde aus dem 9. bis 14. Jahrhundert an der Domburg und der Marktsiedlung in Halberstadt im Harz, an Orten also, an denen die Besiedlung ihren Ursprung hatte. In Halberstadt begann die Besiedlung im 9. Jahrhundert. Nach der starken Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Stadtzentrum zu DDR-Zeiten nicht wieder aufgebaut. Erst in den Neunzigerjahren wurden dank eines neuen Denkmalschutzgesetzes große Flächen ausgegraben. Der Publikationsstand konnte jedoch nicht mithalten. Über 35000 Scherben greife ich auf.
Worauf freuen Sie sich in Lüneburg?
Ich freue mich auf jede einzelne Ausgrabung. Bei vielen Baumaßnahmen weiß ich schon jetzt, dass diese für die Archäologie spannend werden. Ich mag ansonsten die Öffentlichkeitsarbeit. Mir macht es Spaß, Ausstellungen zu kreieren. Und ich freue mich, hier mit dem Kollegium zusammenzuarbeiten.
Zur Person
Tobias Schoo ist gebürtiger Nordhorner. In Halle und Münster hat der 29-Jährige Prähistorische, Klassische, Frühchristliche, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie studiert. Während des Studiums nahm er an zahlreichen Ausgrabungen teil. In Halle forschte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem zu mittelalterlichen Burgen und frühmittelalterlichen Bischofssitzen. Nach seinem Studium arbeitete er im Städtischen Museum Halberstadt. Über die dortige Stadtarchäologie schreibt er aktuell seine Doktorarbeit.
Am Sonntag, dem 10. April, um 15 Uhr lädt Tobias Schoo zu seiner ersten Themenführung „Nicht in diesem Ton! Geschichten zu Keramikgefäßen aus aller Herren Länder“ im Museum Lüneburg, Anmeldung unter 04131 720 65 80 oder buchungen@museumlueneburg.de