Buxtehude. Florence Brokowski-Shekete kämpft als Autorin und Podcasterin gegen Alltagsrassismus – auch, weil sie ihm noch heute ausgesetzt ist.

Sie ist Bestseller-Autorin, Podcasterin, Coach für interkulturelle Kommunikation und die erste Schwarze Schulamtsdirektorin: Florence Brokowski-Shekete. Die in Hamburg als Kind nigerianischer Eltern geborene und bei einer Pflegemutter in Buxtehude aufgewachsene Pädagogin kämpft gegen Stereotypen und Klischees im Zusammenleben zwischen Schwarz und Weiß.

Ihr neues Buch heißt dementsprechend „Raus aus den Schubladen!“ – und zeigt in Gesprächen mit Schwarzen Deutschen, dass ein Perspektivenwechsel möglich und dringend notwendig ist.

Frau Brokowski-Shekete, bei einem Ihrer Auftritte im Fernsehen wurden Sie neulich als „Vorkämpferin gegen Alltagsrassismus“ vorgestellt. Sehen Sie sich auch so?

Florence Brokowski-Shekete: Als Kämpferin empfinde ich mich nicht und als Vorkämpferin schon gar nicht. Es haben ja viele, viele Menschen vor mir dieses Thema besprochen. Ich empfinde mich auch nicht als Aktivistin. Das wäre anmaßend. Dazu bin ich viel zu soft und zu pädagogisch. Und viel zu geduldig, wie mir oft gesagt wird. Ich bin einfach eine Frau, die mit dieser Thematik aufgewachsen ist und sie tagtäglich erlebt, ohne dass ich mit meinem Schicksal als Schwarze in Deutschland hadere. Das überhaupt nicht. Aber es ist mein Alltag.

Verfolgen Sie mit Ihren Büchern, den Podcasts und Talks denn eine bestimmte Zielsetzung?

Wenn ich durch mein Tun dazu beitragen kann, dass es für die nächste Generation oder auch für andere Menschen einfacher wird und dass sie gehört werden, dann würde mich das freuen.

Dass man das „N-Wort“ nicht mehr benutzt, ist inzwischen gesellschaftlicher Konsens. In Ihren Büchern und auch in diesem Text wird das Wort „Schwarz“ großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um die Selbstbezeichnung einer Gruppe von Menschen handelt, die aufgrund ihrer Hautfarbe Erfahrungen mit Rassismus macht. Viele (weiße) Menschen in Deutschland sind verunsichert: Welche Begriffe sollte man verwenden und welche nicht?

Wer das N-Wort heute noch benutzt, der benutzt es, um zu provozieren. Schwarz zu sagen empfinde ich als nicht verkehrt. Das großgeschriebene Schwarz beschreibt es noch einmal besser. Es ist kein Adjektiv, denn natürlich bin ich nicht schwarz und Sie sind nicht weiß. Farbig ist auch nicht mehr das, was im Sprachgebrauch benutzt werden sollte. People of Color oder POC kann man sagen, wenn man möchte. Die Herausforderung, die ich sehe, ist allerdings, dass auch nicht jede Schwarze Person diese Bezeichnungen für sich verwendet oder verwenden möchte. Aber wenn man persönlich mit jemandem spricht, ist es ja die einfachste Sache, mein Gegenüber zu fragen, welche Bezeichnung okay ist. Wenn es überhaupt sein muss, das äußere Merkmal anzusprechen...

Sie sind im Alter von zwei Jahren Ende der 1960er-Jahre zu Ihrer Pflegemutter nach Buxtehude gekommen. Welche Art von Rassismus haben sie als Kind und Jugendliche in der Kleinstadt erlebt?

Natürlich gab es auch als Kleinkind schon bestimmte Ausdrücke oder Dinge, wie das In-die-Haare-fassen, die man heute als rassistisch bezeichnen würde. Ich sehe aber auch, in welcher Zeit ich aufgewachsen bin – wobei ich nichts entschuldigen will. Aber die ersten neun Jahre meiner Kindheit in Buxtehude bei meiner Pflegemama waren einfach ganz schöne Kindheitsjahre.

Als Neunjährige mussten Sie Buxtehude verlassen und lebten mit ihren leiblichen Eltern für drei Jahre im nigerianischen Lagos. Haben Sie in Nigeria auch Ausgrenzung erlebt?

Ja. In Nigeria im Westen Afrikas habe ich gelernt, dass Anderssein und Fremdsein nicht unbedingt etwas mit der Hautfarbe zu tun haben. Das war vielleicht der Grundstock für meine Arbeit, die ich jetzt mache. Ich habe die Sprache nicht verstanden, die neue Welt hat sich mir nicht erschließen können. Ich war anders sozialisiert und dort mit meinen Werten und Vorstellungen plötzlich verkehrt. Ich musste mich als Neunjährige ganz neu definieren.

In Nigeria litten Sie drei Jahre lang unter schlimmstem Heimweh und konnten erst 1979 wieder zu Ihrer „weißen Mama“ nach Buxtehude zurückkehren. Welche Erfahrungen machten Sie nach Ihrer Rückkehr?

Da war ich zwölf und habe die Welt schon differenzierter gesehen. Nach meiner Rückkehr ist mir aufgefallen, dass ich in meiner Schwarzen Welt alleine war und die Menschen um mich herum das größtenteils gar nicht nachvollziehen konnten. Ich habe bewusst ausgrenzendes Verhalten erlebt. Als Jugendliche empfand ich den Alltag in Buxtehude als hart. Als es zum Beispiel mit den Jungs losging, musste ich erkennen, dass ich da aufgrund meiner Hautfarbe nicht zugehörig, sondern außen vor war. Die Schubladen, in denen ich und meine Pflegemama – als Alleinerziehende mit wenig Geld und einem Schwarzen Kind – steckten, schienen unüberwindbar. Ich sollte nicht auffallen. Das war meiner Mama ganz wichtig. Dass ich heute in der Öffentlichkeit stehe und Reden vor vielen Menschen halte, ist das Resultat eines langen und intensiven Weges zu mir selbst.

Und wie ist es heute in unserem Land? Es gibt ja viele Menschen, die meinen, die Hautfarbe spiele in unser aufgeklärten Welt keine Rolle mehr...

Der Satz ist für viele offenbar eher eine Hoffnung. Jeder Mensch hat Vorurteile. Wer meint, er hat keine Stereotypen in sich, geht meines Erachtens nicht genug in die Tiefe. Diskriminierung ist ein Haus mit vielen Zimmern, Rassismus ist eines davon. Hautfarbe und Herkunft spielen absolut eine Rolle – das erleben Schwarze immer wieder, etwa bei Kontrollen am Flughafen. Ich will am Zoll nicht so behandelt werden, als wäre ich die letzte Schmugglerin.

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Sie können von vielen Situationen berichten, bei denen man sich schon bei der Beschreibung in Grund und Boden schämt. Zum Beispiel, dass Sie - als Sie noch Leiterin einer Schule waren - öfter für die Putzfrau gehalten wurden. Wie kränkend sind solche Erfahrungen?

Solche Situationen tun sehr weh. Zumal ich so aufgewachsen bin, dass ich niemanden stören und für niemanden ein Problem sein möchte. Ich versuche so zu leben, dass keiner Anstoß daran nimmt. Wenn ich dann erlebe, dass jemand aus dem Nichts heraus mit solchen Beleidigungen kommt, ist das schon sehr kränkend. Ich spüre dann auch, dass ich alleine unter vielen bin. Auch dadurch, dass ich in einem sehr weißen Kontext arbeite. Oft ist da nicht eine Person, die auch nur im Ansatz ein dunkleres Pigment hat. Das mache ich niemanden zum Vorwurf, aber wenn ich mir dann auch noch anhören muss, dass ich es zu genau nehmen würde mit meiner Interkulturalität, finde ich das unverschämt. Beleidigungen aus einem Bildungskontext heraus schmerzen noch mehr, als wenn jemand an mir vorbeirauscht und das N-Wort sagt.

Weil es ein Zeichen von Respektlosigkeit und Geringschätzung ist von Leuten, die es besser wissen sollten?

Ja genau. Wenn mir jemand seine Dummheit auf dem Tablett serviert, kann ich das leichter abtun. Mit der vermeintlich subtileren Geringschätzung und dem Ärger darüber muss ich ganz allein klar kommen. Das ist nicht so einfach. Aber es ist auch immer eine Frage, was man aus solchen Erfahrungen macht.

In Ihrem neuen Buch haben Sie zwölf Schwarze Deutsche vorgestellt – darunter einen Metzger, einen Lohner in der Landwirtschaft, eine Gynäkologin, einen Kantor und eine Anwältin - die alle, wie Sie sagen, keine „Lebensempörung“ haben. Was bedeutet das?

Sie sind nicht verbittert – obwohl sie teilweise sehr unschöne Dinge erlebt haben. Das war das Schöne an der Arbeit an meinem zweiten Buch: Meine Gesprächspartner haben mir alle etwas Positives mitgegeben. Sie haben aus den Stolpersteinen in ihrem Leben als Schwarze Deutsche Treppen gebaut, um weiterzukommen und sind damit Vorbilder, wie wir sie alle brauchen.

In Ihrem YouTube-Talk „Schwarzwälder Butterkuchen“, in dem Sie zuletzt mit Michail Paweletz, dem ersten Schwarzen Nachrichtensprecher in der ARD, gesprochen haben, unterhalten Sie sich mit Persönlichkeiten über deren gesellschaftlich relevanten Projekte und Haltungen – unabhängig von der Hautfarbe. Was ist die Intention dieses Formates?

Unabhängig von der rassismuskritischen Arbeit, geht es mir dabei um einen allgemeinen diskriminierungskritischen Blick. Es ist mir wichtig, dazu beizutragen, gesellschaftlich gelingende und positive Bereiche sichtbar zu machen, ohne einen kritischen Blick missen zu lassen und die Kritik auch deutlich zu benennen.

Sie versuchen es eigentlich immer auf die nette und höfliche Art. Gibt es auch Situationen oder Grenzüberschreitungen, die Sie aus der Fassung bringen?

Ich bin sehr beherrscht. Äußerlich bringt mich eigentlich nichts aus der Fassung. Außer, es geht um Ungerechtigkeiten oder Grenzüberschreitungen bei meinem Kind. Dann kann ich zur Furie werden.

Im Rahmen der „Lüneburger Wochen gegen Rassismus - Für eine offene Gesellschaft“ liest Florence Brokowski-Shekete am Sonntag, 19. März, ab 18 Uhr im Museum Lüneburg aus ihrem Spiegel-Bestseller „Raus aus den Schubladen! – Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen“. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei. Eine Anmeldung ist noch bis Dienstag, 14. März, über die Homepage www.lueneburger-kulturschluessel.de oder telefonisch unter 04131/ 28 39 715 möglich. Die Veranstaltung wird von Dr. Steffi Hobuß, Akademische Leiterin an der Leuphana Universität Lüneburg, moderiert.

Schulamtsdirektorin Florence Brokowski-Shekete ist nicht nur die erste Schwarze Deutsche in diesem Amt, sondern zudem eine erfolgreiche Autorin, Podcasterin, Coach für interkulturelle Kommunikation – und ein „Buxtehuder Mädchen“, wie sie selbst sagt. Ihr erstes Buch, die Autobiografie „Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“ (Orlanda, 192 Seiten, 22 Euro), hielt sich wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Darin beschreibt Brokowski-Shekete ihre Kindheit zwischen Buxtehude und Nigeria und – mit einer guten Prise Humor – das Heranwachsen und die Erlebnisse einer jungen Schwarzen Frau innerhalb einer weißen Kleinstadt-Gesellschaft.

Ihr neues Buch, das ebenfalls sofort in die Bestsellerlisten Einzug hielt, heißt „Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen“ (Orlanda-Verlag, 2020, 22 Euro). Für das Buch hat Brokowski-Shekete mit 12 Schwarzen Deutschen aus verschiedensten Berufen über ihr Leben gesprochen. Brokowski-Shekete wuchs bei einer weißen Pflegemutter in Buxtehude auf, wo sie an der Halepaghenschule Abitur machte. Sie hat einen erwachsenen Sohn.