Stade/Hamburg. Wie die windanfälligen Flüssiggas-Tanker in der Elbe und am Anleger in Stade reagieren, wird im Hamburger MTC-Simulator-Zentrum getestet

Grünlich schimmern hier Radarbilder, Monitore zeigen eine Schiffsposition an und im Dämmerlicht sind etliche Schalter, Regler und ein kompletter Steuerstand zu erkennen. Darüber strahlt aus großen, im Bogen angeordneten Bildschirmen ein Rundum-Hafen-Panorama, so dass man schnell ein Gefühl vermittelt bekommt, als befände man sich tatsächlich auf einer Schiffsbrücke und nicht im Simulator des „Marine Training Center“ (MTC) an der Schnackenburgallee in Eidelstedt. Und weil solche virtuellen Welten auch Zukunft zeigen können, ist dort derzeit an vielen Tagen des Jahres etwas zu sehen, das es eigentlich noch gar nicht gibt: Das neue Flüssiggas-Terminal in Stade, für das erst vor wenigen Tagen der erste Rammschlag gefeiert wurde.

Ende des Jahres soll es mit einer schwimmenden Anlage als Vorstufe in Betrieb gehen, ab 2026 ist dort ein festes stationäres Terminal geplant. Es wird neben Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Lubmin einer von vier solcher Standorte, die in Rekordzeit entstehen oder bereits entstanden sind, um Deutschland unabhängiger von russischem Pipeline-Gas zu machen (das Abendblatt berichtete).

Die großen Spezialschiffe waren bisher auf der Elbe kaum zu sehen

Noch schneller allerdings ist man im MTC gewesen, wo am großen Simulator Elblosten bereits jetzt trainieren, wie sie hier zwischen Bützfleth und Stadersand künftig mit den neuen Gas-Tankern an- und ablegen werden. Diese großen Spezialschiffe waren bisher auf der Elbe kaum zu sehen, werden nun aber bald regelmäßig kommen. „Da wollen wir dann keine Experimente veranstalten und nehmen uns jetzt schon viel Zeit zum Trainieren“, sagt Ben Lodemann, Ältermann der Elblotsen-Brüderschaft, die wie Reedereien und andere maritime Unternehmen Gesellschafter des MTC ist.

Um zu demonstrieren, worauf es besonders in Stade künftig für Nautiker ankommt, lassen Lodemann und MTC-Geschäftsführer Heinz Kuhlmann für den Besucher eine aufgezeichnete Simulation ablaufen, die auch eine Drohnen-Draufsicht zeigen kann: Mit einer sanften S-Kurve schwingt sich da in der simulierten Elblandschaft vor Stade ein 300 Meter langer Flüssiggas-Tanker aus dem Strom: Begleitet von vier großen Schleppern steuert das Schiff zunächst nach Steuerbord Richtung Ufer, dann wieder nach Backbord und macht schließlich im Schutz einer langen Hafenmole kurz vor der Schwinge-Mündung bei Stader Sand fest. Kein einfaches Manöver für Besatzung und Elblosten.

Die komplette Kommandobrücke eines großen Seeschiffes ist hier im MTC  aufgebaut. Im Moment stellt der Simulator einen LNG-Tanker dar, der im künftigen Stader Flüssiggas-Hafen festgemacht hat.
Die komplette Kommandobrücke eines großen Seeschiffes ist hier im MTC  aufgebaut. Im Moment stellt der Simulator einen LNG-Tanker dar, der im künftigen Stader Flüssiggas-Hafen festgemacht hat. © HA | Axel Tiedemann

Strömung und Wind wirken hier direkt am Fluss deutlich auf die Schiffe ein, es geht daher beim An- und Ablegen um passende Tide-Zeitpunkte, um Kommunikation zu den Schleppercrews und auch um die richtige Reaktion auf Dinge, die zum falschen Zeitpunkt kommen: Wie etwa der Bruch einer Schlepperleine – was dann auch in der Simulation als Überraschungseffekt passiert.

Schon zwei Jahre Vorplanung

Schon seit gut zwei Jahren beschäftigen sich Wasser- und Schifffahrtverwaltung, Lotsen und MTC für die neue Stader Hafenanlage mit einzelnen Parametern wie Schiffsdaten, Schlepperkraft, Windstärken oder auch örtlichen Gegebenheiten, fütterten mit den Variablen die Rechner, entwickelten ein 3-D-Modell des künftigen Terminals und sammelten so auch nautische Erkenntnisse für die Planung der 600 Meter langen Anlegestelle, die von der landeseigenen Gesellschaft Niedersachsen Ports (NPorts) gebaut wird. „Wir planen dafür eben schon länger, um erstmal die Grundlage für zukünftige reale Operationen zu schaffen “, sagt MTC-Geschäftsführer Kuhlmann.

Dabei zeigte sich beispielsweise, dass die Gas-Tanker hier sehr windanfällig sind, weil sie vergleichsweise wenig Tiefgang haben, eher leicht sind und mit den hohen Tanks viel Angriffsfläche bieten. Die Ergebnisse der ersten Simulatortests flossen daher auch in besondere nautische Vorgaben: So dürften die Gas-Tanker nur bis Windstärke 6 in die Elbe einlaufen, weil nur dann an den neuen Terminals ein sicheres Manövrieren möglich ist und man eben noch auf plötzliche Vorkommnisse wie eine gebrochene Schlepperleine reagieren kann. Und das Zeitfenster zum An- und Ablegen wird künftig eng sein. „Wir haben dazu etwa 20 bis 25 Minuten, um aus dem Strom sicher in den Hafen zu kommen“, so Lodemann.

Stauwasser ohne nennenswerte Strömung

Das ist der Zeitraum, in dem in der Elbe bei Stade zwischen Flut- und Ebbstrom für kurze Zeit so genanntes Stauwasser ohne nennenswerte Strömung herrscht. Das heißt aber auch, dass die Lotsen passgenau an Bord gehen müssen. Vorgesehen ist dazu eine Position südwestlich von Helgoland bei der Tonne E3. Dort bleibt noch genügend Raum, bevor das enge Revier der Elbe erreicht ist. „Man will ja auch vor der Auffahrt wissen, was einen auf der Autobahn erwartet“, erklärt Lotse Lodemann, der nun für seine Brüderschaft nach Beendigung der Terminal-Vorplanung die Bauzeit bis Jahresende nutzen will, um im MTC-Simulator einen möglichst hohen Trainingsstand erzielen zu können. Zum Jahresende, so versichert er, dürften die künftigen Manöver am neuen Stader Terminal für ihn und seine Kollegen vertraut sein, weil sie dann viele Male geübt worden sind.

„Wir werden da niemanden hinschicken, der so ein Schiff mit schweißnassen Händen anlegt“, sagt er. Mit der Lieferung von Flüssigerdgas (LNG) aus anderen Ländern wie den USA oder Katar sollen die Gaslieferungen aus Russland möglichst zu großen Teilen ersetzt werden. Im Eiltempo wird dazu wie jetzt in Stade die Infrastruktur aufgebaut.

Fabrikschiffe, die das Gas selbst speichern

Um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden, kommen bei den künftigen LNG-Terminals zunächst bis zum Bau der festen Anlagen mobile FSRU (Floating Storage Regasification Units) zum Einsatz, die vom Bund gechartert werden: das sind so etwas wie Fabrikschiffe, die das Gas selbst speichern und es vor allem wieder vom flüssigen Zustand in Gas umwandeln können, um es dann ins Netz einzuspeisen.

Die Fotomontage des Hafenbetreibers Niedersachsen Port zeigt die künftige LNG-Anlage im Stader Hafen, die Ende des Jahres in Betrieb gehen soll.
Die Fotomontage des Hafenbetreibers Niedersachsen Port zeigt die künftige LNG-Anlage im Stader Hafen, die Ende des Jahres in Betrieb gehen soll. © NPorts | Niedersachsen Ports

Eine typische FSRU hat etwa eine Kapazität von bis 170.000 Kubikmeter flüssigem LNG, das dazu auf Minus 162 Grad heruntergekühlt ist. Wird diese Menge durch Erwärmung „regasifiziert“, lässt sich daraus die 600-fache Menge Gas erzeugen. Für Stade rechnet man damit, dass die dortige FSRU künftig einmal pro Woche mit einer Ladung flüssigem LNG durch einen LNG-Tanker versorgt wird. Von dem nächsten Winter an soll in Deutschland bis zu einem Drittel des bisherigen Gasbedarfs über diese schwimmenden LNG-Terminals gedeckt werden.

Das MTC gilt als eines der größten und unabhängigen maritimen Trainings- und Simulationszentren Europas. Für die internationale maritime Wirtschaft werden dort Fortbildungen und Trainings für Kapitäne, nautische Offiziere, Ingenieure, Elektriker, Lotsen und Landpersonal geboten. Zudem entwickelt das MTC Machbarkeits- und Forschungsstudien für Hafenprojekte.

Zu den Gesellschaftern gehören Lotsen-Brüderschaften, Reedereien und weitere maritime Unternehmen. Gegründet wurde es 2008.