Moisburg. Seltene Kröte, die unter Stress üblen Geruch absondert, soll auf dem Gelände der früheren Disco MicMac leben. Wie es nun weitergeht.
Pendler, die jeden Tag am Gelände der ehemaligen Kult-Disco MicMac in Moisburg vorbeifahren, dürften sich wundern, warum das marode Gebäude, in dem einst legendäre Feste gefeiert wurden, auch Monate nach der Abrissparty im vergangenen September noch steht. Dort soll schließlich ein neues Wohngebiet entstehen, weshalb das MicMac längst weichen sollte. Doch mehr als das einstige MicMac-Schild ist diesen Neubauplänen bisher noch nicht zum Opfer gefallen. Der Grund ist klein und manchmal stinkig: die Knoblauchkröte.
Knoblauchkröte – verhindert sie das Wohngebiet auf dem MicMac-Gelände?
Wird diese Kröte nun zu Moisburgs Wachtelkönig? Der seltene Vogel nervte unfreiwillig über viele Jahre Hamburgs Bauplaner mit seiner Anwesenheit im Neugrabener Moorgürtel. Die Knoblauchkröte ist ebenfalls ein äußerst rares Geschöpf und ein wahrer Sonderling unter den heimischen Amphibien.
Den größten Teil des Jahres ist sie nachtaktiv und zudem tagsüber im Erdboden vergraben. Und so gibt es eine weitere Parallele zum geheimnisvollen und selten erspähten Wachtelkönig: Durch die versteckte Lebensweise ist auch die Knoblauchkröte vielen Naturfreunden nur dem Namen nach bekannt.
Es gibt sie aber tatsächlich und sie ist auf der bundesweiten Roten Liste unter der Kategorie „stark gefährdet“ zu finden. Nun könnte das Tier das Moisburger Wohnbauprojekt auf dem ehemaligen MicMac-Gelände zumindest stark verzögern.
Knoblauchkröte sondert bei Stress miefigen Geruch ab
Der deutsche Gattungsname der Knoblauchkröte bezieht sich auf die Absonderungen, die das Tier in Stresssituationen abgibt und die knoblauchähnlich riechen. Bei Stress kann es also anfangen zu miefen.
Etwas Stress haben nun auch die Investoren, die das MicMac abreißen wollen, um auf dem Areal und auf der Fläche eines angrenzenden kleinen Wäldchens Wohnungen und etwas Gewerbe zu bauen. Und es mag ihnen auch etwas stinken, dass sich ihre Pläne nun um Monate verzögern werden, weil zunächst ein Gutachten zum Amphibienvorkommen auf dem Areal erstellt werden muss. Und da die Kröten erst im Frühjahr wandern und gezählt werden können, ist Geduld gefragt.
Es geht also in zweierlei Hinsicht um Kröten, denn wer das erforderliche Gutachten bezahlen muss, steht noch nicht fest. „Hierzu kann ich leider keine Angaben machen. Das ist zur Zeit noch in Klärung“, so Thomas Soll vom Investor HS Immobilien GmbH & Co.KG aus Buxtehude.
Das an das MicMac-Gelände angrenzende Wäldchen gehört der Gemeinde Moisburg, die möglicherweise auch zur Kasse für das Gutachten gebeten werden könnte, wenn es zu keiner Einigung mit dem Investor kommt. „Bezahlen muss in der Regel der Investor“, sagt Landkreis-Sprecher Bernhard Frosdorfer, der bestätigt, dass es im Frühjahr eine Erfassung der Amphibienvorkommen rund ums MicMac geben wird.
Danach soll es weitergehen: „Das Bauvorhaben in Moisburg wird weiter bearbeitet, nachdem eine Feststellung erfolgt ist, ob es einen Krötenbestand im jetzigen Waldgebiet gibt. Diese Feststellung können wir aber erst im Frühjahr durchführen, wenn die Winterperiode durch ist und die Amphibien aus dem Winterschlaf erwachen“, so Soll.
Stopp hat nichts gestiegenen Baukosten oder höheren Zinsen zu tun
An der aktuell angespannten Lage im Bau- und Immobilienmarkt liege die Verzögerung hingegen nicht, so Soll: „Der Stopp hat nichts mit den gestiegenen Baukosten beziehungsweise den höheren Zinsen zu tun“, tritt der Investor entsprechenden Spekulationen entgegen.
In der Nähe des ehemaligen MicMac-Geländes befindet sich das Naturschutzgebiet „Estetal“, und an der Landesstraße L141 in Richtung Hollenstedt, an der das geplante Baugebiet liegt, werden regelmäßig während der Krötenwanderungen Zäune zum Schutz der Amphibien aufgebaut und von Naturschützern betreut.
Deshalb erscheint ein Vorkommen von seltenen Amphibien auch in dem Bereich von Moisburg, in dem das neue Wohngebiet entstehen soll, nicht abwegig. Bernhard Frosdorfer bezeichnet den Lebensraum in Moisburg für Amphibien und eben auch für die Knoblauchkröte als „günstig“. „Dort wurden in der Vergangenheit Vorkommen belegt. Das muss nun aktualisiert werden“, so Frosdorfer.
Baugebiet auf dem MicMac-Grundstück umfasst 28.000 Quadratmeter
Damit soll das Überleben möglicher Populationen gesichert werden. Sollten bedrohte Arten erfasst werden und käme es für diese zu Beeinträchtigungen durch das Bauvorhaben, müsse überlegt werden, wie diese abgemildert werden könnten. So könnten Amphibientunnel der Zerschneidung von Lebensräumen vorbeugen, neue Lebensräume geschaffen werden und Arten sogar komplett umgesiedelt werden. „Es ist immer eine Frage der Einzelprüfung“, sagt Frosdorfer. „Bisher hatten wir noch keinen Fall, der so schwer war, dass ein Vorhaben nicht umgesetzt werden konnte.“
HS Immobilien will an dem ehemaligen MicMac-Standort das neue Wohngebiet Alter Festplatz realisieren. Die Gemeinde hat den Weg freigemacht für ein knapp 28.000 Quadratmeter großes, neues Baugebiet mit Mehrfamilien-, Doppelhäusern und Einfamilienhäusern sowie etwas Gewerbe. Zunächst muss allerdings das rund 2000 Quadratmeter große Gebäude der ehemaligen Kult-Disco abgerissen werden. Eine entsprechende Abrissparty am 16. September des vergangenen Jahres hatte viel Zuspruch gefunden.
Gutachten verhindert geplanten Baustart
„Der Baustart ist für Anfang 2023 geplant“, hatte Soll damals verkündet. Dieser Termin kann nun auch aufgrund des erforderlichen Naturschutz-Gutachtens nicht eingehalten werden.
Auch bei anderen, größeren Bauvorhaben müssen Projekte selbstverständlich an die Vorkommen seltener Arten angepasst werden – wie etwa beim geplanten Kies- und Sandabbau in Ardestorf oder bei den Planungen zum Bau der neuen B 3/Elstorfer Ortsumgehung. „Uns war bereits zu Planungsbeginn bewusst, dass in dem betroffenen Raum bedeutsame Amphibien vorkommen – unter anderem die Knoblauchkröte.
Dementsprechend wurden im Rahmen der Vorplanung 2018 und 2019 Laichgewässeruntersuchungen in unserem Auftrag durchgeführt. 2021 sind zudem die Wanderbeziehungen der Amphibien im Bereich der Vorzugstrasse untersucht worden“, so Anica Ebeling von der zuständigen Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr.
Die Planung sehe vor, dass, wenn erhebliche Beeinträchtigungen für die Amphibien im betroffenen Bereich nicht ausgeschlossen werden könnten, naturschutzfachliche Maßnahmen ergriffen würden – wie zum Beispiel die Verbesserung oder Entwicklung von Lebensräumen, die Einrichtung von Querungshilfen und ähnliches. „Mit diesen Maßnahmen werden Beeinträchtigungen vermieden oder kompensiert“, so Ebeling.
Knoblauchkröte: Wäldchen hinterm MicMac soll erhalten werden
Auch in Moisburg könnten die baulichen Maßnahmen möglicherweise sogar als Chance für die Amphibien betrachtet werden, weil ein großer Teil des künftigen neuen Wohngebiets auf einem Schotterplatz entstehen wird, dessen ökologischer Wert bei Null liegen dürfte. Das angrenzende kleine Wäldchen hinterm MicMac soll erhalten werden, versichert Soll. „Insgesamt soll das neue Baugebiet möglichst umweltfreundlich und ökologisch werden“, sagt Thomas Soll.
Die Energieversorgung solle ohne fossile Brennstoffe auskommen, Teiche und Mulden würden dafür sorgen, dass das Regenwasser hauptsächlich auf dem Gelände versickert. Möglicherweise finden dort ja dann auch die Knoblauchkröte und ihre Artgenossen ein neues Zuhause.