St. George’s/Jesteburg. 25 Tage und über 6000 Kilometer allein auf hoher See: Was Airbus-Ingenieur Marcus Bulgrin bei seiner Atlantik-Überquerung erlebt hat.
So hatte er sich das schon immer vorgestellt. Türkis-blaues Wasser, helle Sandstrände und Palmen, die sich im eleganten Bogen Richtung Ozean neigen. Karibik eben, dorthin segeln wollte Marcus Bulgrin schon als Kind. Jetzt hat er es mit seinem nur rund neun Meter langem und mehr als 40 Jahren alten Segelboot geschafft. „Ist irgendwie unwirklich, fast schon kitschig“, sagt er in einem Telefon-Interview mit dem Abendblatt über seine ersten Eindrücke.
Der 49 Jahre alte Airbus-Ingenieur aus Jesteburg war vor vielen Wochen schon von Bremen aus gestartet zu diesem großen Törn, für den er sich ein Jahr Auszeit von seinem Job genommen hat. Zunächst segelte er mit seiner Freundin bis England, dann allein 1600 Meilen (rund 3000 Kilometer) bis Teneriffa. Es war so etwas wie ein Test für Mann und Boot. Wie arbeitet die automatische Windfahnen-Steuerung, der Wasser-Macher oder der Radar-Warner, der rechtzeitig die gefährliche Nähe von großen Schiffen anzeigen soll?
Im Landkreis ist Marcus Bulgrin auch als Rennfahrer bekannt
Auf Teneriffa wartete Bulgrin dann die karibische Hurrikan-Saison ab, um schließlich Ende November (wie berichtet) den großen Sprung über den Atlantik zu wagen. Dabei wollte er den meist beständig wehenden Passatwind einfangen, der in früheren Zeiten schon die großen Frachtsegler auf dem Weg in die neue Welt angetrieben hatte.
Heute nutzen viele Segelyachten den Passat noch immer, in der Regel sind es große Schiffe mit mehrköpfigen Mannschaften. Der Jesteburger Bulgrin aber wollte es völlig allein und mit einem eher kleinen Boot, einer Hallberg Rassy Monsun 31, wagen. Kalkuliertes Risiko gehört eben ein wenig zu seinem Lebensweg, im Landkreis ist er auch als Rennfahrer und Teilnehmer der 24-Stunden-Rennen vom Nürburgring bekannt.
Wer seinen Weg auf dem Live-Tracker verfolgte, sah riesige Tiefdruckwirbel
Er habe ein Segler- und ein Rennfahrerherz, sagt Bulgrin dazu und lacht. Er plante von Teneriffa aus zunächst einen Südkurs, um dann vor den Kapverden Richtung Westen zu segeln. Wer seinen Weg auf dem Live-Tracker (https://trackamap.com/sy-ikaika-noa/) im Internet in Echtzeit verfolgte, sah aber im Nordatlantik riesige Tiefdruckwirbel. „Ich musste daher südlicher als zunächst geplant segeln“, berichtet Bulgrin. Statt 2700 Meilen, also etwa 5000 Kilometer, waren es am Ende 3300 Meilen, mehr als 6000 Kilometer, die er im Schnitt im gemütlichen Jogging-Tempo von 5 Knoten (9,3 Kilometer pro Stunde) Richtung Karibik vorankam.
Das Tiefdruckgebiet im Norden saugte dabei schließlich auf seinem Kurs dennoch Wind weg. Mitten auf dem Atlantik, Tausende Kilometer weit weg von den Küsten erlebte Bulgrin plötzlich eine totale Flaute. „Das war wie auf einem Dorfteich“, sagt er. Aber auch ein mulmiges Gefühl war dabei: Drei Tage, viel mehr hätte er es mit dem kleinen Motor nicht schaffen können, bis ihm der Sprit ausgeht. Doch es gab auch Zuversicht. Über Satellitentechnik konnte er den Wetterbericht verfolgen. „Und da wusste ich, dass in einigen Tagen der Wind wohl wieder auffrischen wird“, sagt er.
Wellengang bei achterlichem Wind: Ein Ei zu braten, war da schwierig, erzählt er
Beim zweiten Part des Törns hatte er dann den erhofften Passatwind wieder erwischt, der ihn als eine Art Rückenwind beständig vorantrieb. Meist nutzte Bulgrin dabei nur das Vorsegel, das seine Yacht „Ikaika Noa“ durch die Dünung zog. Der achterliche Wind brachte aber auch unangenehme Schiffsbewegungen mit sich, weil die lange Atlantik-Dünung von schräg hinten unter dem Boot durchlief. Ein Schiff „rollt“, heißt es dann bei Seeleuten. Auf der kleinen und schmalen Hallberg Rassy bedeutete das aber, dass sich Bulgrin ständig festhalten musste. Was spezielle Probleme mit sich brachte. Schon ein Ei zu braten, war da schwierig, erzählt er: „Eine Hand für die Pfanne, mit der anderen musste ich mich festhalten, dann fehlte aber die Hand fürs Ei.“
Oft kochte er sich dann einfach etwas in einem Topf, setzte sich auf den Kajütboden und klemmte das Gefäß zwischen den Beinen ein, um zu essen. „Irgendwann dachte ich dann doch, nun ist aber auch genug“, sagt der Jesteburger Segler, der aber ansonsten viel Glück mit seinem Boot hatte. Zwei kleine Schrauben an der Rollreffanlage hatten sich gelöst, einen Wassereimer hat er verloren – viel mehr Schäden konnte er nicht entdecken.
Nach Weihnachten wird seine Freundin mit dem Flugzeug nachkommen
Dafür aber eine große Einsamkeit auf dem Wasser. Mitten auf dem Atlantik erlaubte er sich daher, auch einmal vier Stunden am Stück zu schlafen, um dann wieder Ausschau zu halten. Einen großen Frachter hat er dabei nie zu Gesicht bekommen. Im letzten Teil der Überquerung entdeckte er zwei andere, größere Segelboote aus Frankreich. Mit einem konnte er sogar kurz Funkkontakt aufnehmen. „Nach 20 Tagen allein auf hoher See war das ein echtes Highlight“, sagt er.
Fünf Tage später war dann der ersehnte Augenblick da: Land in Sicht, Wellen, die sich am Palmen-Strand brechen: Grenada, die Gewürzinsel ganz im Süden der Karibik. Von hier aus will Bulgrin in den nächsten Wochen weitere Inseln erkunden und langsam Richtung Norden bis zu den Bahamas tingeln. Nach Weihnachten wird dann auch seine Freundin mit dem Flugzeug nachkommen und ihn dabei begleiten. Im Mai schließlich will der Jesteburger auf nördlichem Kurs erneut den Atlantik queren und über die Azoren zurück nach Deutschland segeln. Wieder allein, wieder nur er, das kleine Boot und der große Ozean.