Lühe. Nach der Überflutung in der Gemeinde Lühe bleibt die Schuldfrage ungeklärt. Daten fehlen, die Kommunikationstechnik war veraltet

Wer muss die Verantwortung für das während eines Hochwassers geöffnete Sperrwerkstor in der Samtgemeinde Lühe übernehmen? Diese Frage ist nach dem Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen so umstritten wie nie. Ein Mobiltelefon hätte die Antwort liefern können, doch wichtige Daten sind auf dem Gerät nicht vorhanden.

Es geht um 71 Betroffene, deren Keller und Grundstücke im Mai unter Wasser standen, weil das Sperrwerkstor an der Elbe während eines Hochwassers nicht rechtzeitig geschlossen worden war (das Abendblatt berichtete). Es entstand ein Sachschaden von etwa einer Million Euro. Eigentlich hätte der zuständige Sperrwerkswärter einen automatisierten Anruf bekommen müssen, der ihn vor dem Hochwasser warnte. Nach seiner Aussage bekam er ihn nicht. Nach Daten der Sperrwerkstechnik ging der Anruf auf dem Telefon ein – und wurde mit einem Tastenton bestätigt. Wie das Abendblatt aus Ermittlerkreisen erfuhr, fehlen auf dem Handy die Daten für genau diesen Zeitraum.

Wieso diese Daten nicht vorhanden sind, ist nicht mehr zu ermitteln

Ein Anruf eines Anwohners, der den Wärter schlussendlich über die Überflutungen informierte, ist dagegen verzeichnet. Wieso diese Daten nicht vorhanden sind, sei nicht zu ermitteln gewesen. Auch Einzelverbindungsnachweise seien aufgrund von Rufumleitungen und Sondernummern nicht auswertbar gewesen. Da die Schuldfrage ohne die Daten nicht zu ermitteln war, stellte die Staatsanwaltschaft Stade ihre Untersuchungen ein.

Die Frage nach der Verantwortung bleibt dagegen. Die zuständige Behörde, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und damit das niedersächsische Umweltministerium, schieben die Verantwortung auf eine fehlerhafte Alarmierungssoftware. Die Softwarefirma verweist auf Störgeräusche im Mobilfunknetz und die Mobilfunkanbieter weisen jede Schuld von sich.

Für Timo Gerke, Bürgermeister der Samtgemeinde Lühe, sind diese technischen Schuldzuweisungen im Endeffekt unerheblich: „Es ist ein Herausreden.“ Die Verantwortung müsse das zuständige NLWKN übernehmen. Es betreibe schließlich das Sperrwerk und sei damit auch für die verbaute Technik verantwortlich.

Das sah Anne Rickmeyer, als Direktorin des NLWKN zuständig für mehr als ein Dutzend Sperrwerke in Niedersachsen, am Donnerstag vor dem Stader Kreistag gänzlich anders: „Unsere Rechtsauffassung ist eindeutig: Aufgrund der uns vorliegenden Erkenntnisse deutet alles auf ein technisches Versagen hin, sodass wir als NLWKN nicht zum Schadensersatz verpflichtet sind.” Sie und das ihr übergeordnete Umweltministerium versteckten sich in der Schuldfrage am Donnerstag fälschlicherweise noch hinter laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Obwohl das Verfahren da schon eingestellt ist, heißt es auch am Freitag aus dem Umweltministerium: „Es hat sich nichts geändert.“ Schäden, die nicht von Versicherungen übernommen wurden, sollen freiwillig vom Land Niedersachsen abgedeckt werden. Im Gegensatz zu manchen Privathaushalten hat das Umweltministerium übrigens keine Versicherung.

In der Zwischenzeit laufen im Hintergrund Gespräche zwischen Lokalpolitikern aus Stade und Landespolitikern in Hannover. Stades Landrat Kai Seefried (CDU) versicherte: „Wir stehen an der Seite der Betroffenen.“ Am Freitag bemühte er sich um einen Telefontermin mit NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer. Er wolle Aufklärung über die Informationslage. Schließlich habe die sich seit den Erläuterungen Rickmeyers am Donnerstag grundsätzlich geändert. Eine Antwort bekam er nach Abendblatt-Informationen bisher nicht. Seit dem Versagen des Sperrwerks macht sich Timo Gerke (parteilos) bei jeder Hochwassermeldung auf den Weg zum Lühesperrwerk. Er hat kein Vertrauen mehr in die Technik des Sperrwerks. „Ich schaue, ob die Tore wirklich geschlossen sind“, sagte Gerke dem Abendblatt. Es sei aber gut, dass die Behörde jetzt Maßnahmen getroffen habe, um den Fehler zukünftig zu vermeiden. Vielleicht könne das Vertrauen langsam wieder wachsen.