Landkreis Stade. Warum das Stader Sperrwerk im Mai nicht geschlossen wurde, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Was das für die Opfer bedeutet.

Warum das Lühesperrwerk im Landkreis Stade bei einem Hochwasser im Mai nicht rechtzeitig geschlossen worden ist, wird wohl nie mit vollkommener Sicherheit aufgeklärt werden. Das Ermittlungsverfahren der Wasserschutzpolizei und Staatsanwaltschaft wurde in der vergangenen Woche eingestellt, erfuhr das Hamburger Abendblatt von der Staatsanwaltschaft Stade. Es konnte nicht nachgewiesen werden, ob menschliches Versagen oder ein technischer Defekt Schuld für die Überflutungen war. Was feststeht: An diesem Punkt hängen Schadensersatzforderungen an das Land Niedersachsen in Millionenhöhe.

Ein Rückblick: In der Nacht vom 27. auf den 28. Mai dieses Jahres blieben die Tore des Sperrwerks, das die Lühe und die Elbe trennt, zu lange geöffnet. In der Folge drückte ein leichtes Hochwasser in den Fluss Lühe und überschwemmte mehrere Keller, einen Hof und einen Campingplatz. Die Schäden liegen nach Schätzungen bei bis zu einer Million Euro. Geschlossen wurde das Sperrwerk in der Nacht erst, als der zuständige Wärter von einem Anwohner angerufen wurde.

Das Sperrwerk ist nicht rund um die Uhr besetzt

Anne Rickmeyer, Direktorin des zuständigen Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) stellte am Donnerstag im Stader Kreistag dar: Die Technik sei vermutlich Schuld. Denn das Sperrwerk ist nicht rund um die Uhr besetzt. Die Sperrwerkswärter sind zu Hause und verlassen sich bei einem kleinen Hochwasser auf ein einzelnes technisches System. „Das System hat bisher immer einwandfrei funktioniert”, sagte Rickmeyer.

Die komplexe Alarmkette arbeitet in mehreren Schritten. Bei einem Hochwasser melden zunächst Pegel, dass der Wasserstand über bestimmte Grenzwerte steigt. Dieser Alarm löst dann eine automatische Telefonkette aus. Bis dahin funktionierte die Technik auch in der Hochwasser-Nacht nachweislich.

Laut des zuständigen Mitarbeiters des NLWKN bekam er auf seinem Handy keine automatisierten Anrufe, die ihn darüber informierten, dass die Tore geschlossen werden müssen. Doch das Alarmsystem im Sperrwerk verzeichnete dreimal, dass der jeweilige Alarm mit einem Tastendruck quittiert worden sei. Damit brach die Anrufkette ab, weil für die Technik die Anrufe bestätigt worden waren.

Das Verfahren wurde wegen des Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt

Die nun abgeschlossenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnten weder nachweisen, dass er die Anrufe bekam, noch dass er sie nicht bekam. Aufgrund der Rufweiterleitungen und des Alters des genutzten Mobiltelefons sei das nicht nachzuvollziehen, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren wurde deswegen wegen des Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Die Einstellung des Verfahrens in der vergangenen Woche war Anne Rickmeyer anscheinend nicht bekannt, als sie am Donnerstag bei ihren Ausführungen darauf verwies: „Das Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Stade ist noch nicht abgeschlossen.“ Auch ohne das Ergebnis dieser Ermittlungen zu kennen, begann beim NLWKN die Suche nach der Ursache. „Bei Tests konnten wir feststellen, dass Alarme als quittiert verzeichnet wurden, obwohl niemand die Anrufe bestätigte“, erklärte Anne Rickmeyer.

Warum ist eine kritische Infrastruktur so einfach zu blockieren?

Die Software, welche die Alarmkette steuert, habe anscheinend Störsignale im Mobilfunknetz als Tastentöne erkannt. Ob die Software diesen Fehler schon immer hatte, konnte nicht geklärt werden. Dass eine kritische Infrastruktur in Zeiten digitaler Angriffe so einfach zu blockieren sei, verwunderte viele Abgeordnete des Kreistags.

Die Behörde hat nach eigenen Angaben mehrere Maßnahmen ergriffen, damit das System nicht mehr versagt. So wurden Weiterleitungen auf private Handys untersagt, die Bestätigung in einen Code geändert und die Software angepasst. Außerdem wurden die Mitarbeiter per Dienstanweisung dazu verpflichtet, sich nicht nur auf das Alarmsystem zu verlassen, sondern bei Hochwassern auch selbstständig die Pegelstände zu prüfen.

Bisher läuft noch die Ausschreibung nach einem externen Gutachter

Die Hochwasser-Opfer warten währenddessen seit sechs Monaten auf Schadenersatzzahlungen. Den etwa 60 Betroffenen versprach der ehemalige Umweltminister Olaf Lies (SPD) kurz vor der niedersächsischen Landtagswahl, im Rahmen von Billigkeitsleistungen kurzfristig zu helfen. Billigkeitsleistungen bedeuten, dass das Land Niedersachsen die Schäden freiwillig ausgleichen möchte.

Der nächstmögliche Zeitpunkt dafür ist der Nachtragshaushalt im Sommer 2023. Aber nur dann, wenn ein Gutachter die Schäden geprüft und die Behörde die Billigkeitsrichtlinie erstellt habe, erklärte Anne Rickmeyer. Sie setzte sich aber gemeinsam mit Olaf Lies und dem neuen Umweltminister Christian Meyer (Die Grünen) für eine schnelle Lösung ein.

Bisher läuft noch die Ausschreibung nach einem externen Gutachter. Der Job sei nicht beliebt, heißt es aus der Behörde. Für die Betroffenen bedeutet es: Sie müssen weiter warten.