Winsen. Für den Onlineversandhandel beginnt das Geschäft des Jahres. Blick hinter die Kulissen des Amazon-Logistikzentrums.

Reihenweise Busse fahren an einem vorbei, wenn man am Liefereingang des Logistikzentrums von Amazon in Winsen parkt. Es sind Shuttle, die der US-amerikanische Onlineversandhändler von Harburg aus direkt zu sich anbietet, da es mit der Bahn von Hamburg in Richtung Lüneburg und Uelzen mal wieder Probleme gibt. Wahrscheinlich gibt es nicht besonders viele Arbeitgeber, die sich aufgrund von Problemen mit dem Zugverkehr in Deutschland Alternativen für ihre Arbeitnehmer ausdenken.

Amazon bietet im Rahmen der seit mehreren Jahren stattfindenden „Amazon Tours“ Führungen durch seine Logistikzentren an. Auch Winsen macht diesen Oktober und November mit. Zumindest, wenn man nach etwas Lauferei und Sucherei auf dem riesigen Gelände endlich den Haupteingang findet.

Hinein kommt man nur über deckenhohe Drehkreuze, wie im Schwimmbad

Im Eingangsbereich befindet sich fast gar nichts, außer ein paar Stühlen, Türen und Mitarbeiter-Eingängen. Zuerst fallen einem die vielen Sicherheitsvorkehrungen auf. Weiter in das Logistikzentrum hinein kommt man nur über deckenhohe Drehkreuze, wie man sie aus Schwimmbädern kennt.

Regelmäßig kommen und gehen Mitarbeiter, die die Drehkreuze mit ihren Ausweisen aktivieren. Erst wenn man sie passiert hat, gibt es so etwas wie einen Informationsschalter – und noch mehr Sicherheitsbereiche. Diesmal mit Körperscannern und kleinen Kartons, in die man seine Wertsachen legt. Genau wie am Flughafen. Auch jeder, der das Gebäude verlassen will, muss einmal dort hindurch.

Mitarbeitende über 40 Jahre scheint es nicht viele zu geben. Zumindest sieht man sie kaum. Auch später bei der Führung durch das Zentrum fallen einem die vielen vor allem jungen Menschen auf.

Es gibt Gebetsräume und eine Kantine mit Tischkickern und Spielekonsolen

6000 neue Arbeitsplätze hat Amazon in Deutschland im Jahr 2022 geschaffen. Um Mitarbeiter zu finden, bemüht sich das 1994 gegründete Unternehmen bewusst um das Bild eines modernen, sozialen Arbeitgebers, dem Werte wie Diversität und Inklusion wichtig sind. Tatsächlich gibt es auch im Winsener Zentrum Gebetsräume und eine Kantine mit Kickertischen und Spielekonsolen. Allein in Winsen arbeiten Menschen aus 120 verschiedenen Nationen. Mit einem Stundenlohn von 13 Euro brutto liegt Amazon dabei über dem neuen Mindestlohn.

Alle Schilder und Hinweise sind auf Deutsch und Englisch vorhanden. Zum Text gibt es immer auch Piktogramme und Bilder, mit Farben und Pfeilen wird alles verständlich dargestellt. Der Tourguide erklärt, dass Amazon sich sehr an der US-amerikanischen Kultur orientiere und es deswegen viele erklärende Bilder gibt. Dann verteilt er Headsets, Warnwesten und Besucherausweise.

Unter den Regalen wuseln haufenweise viereckige, orangefarbene Roboter herum

Das Besondere am Logistikzentrum in Winsen ist die Robotertechnologie. Im Gegensatz zu anderen Zentren kommen die Regale zu den Mitarbeitern und nicht andersherum. Das funktioniert so, dass es riesige Flächen gibt, auf denen ausschließlich Regale auf hohen Pfosten stehen – unter ihnen wuseln haufenweise viereckige, orangefarbene Roboter herum.

Diese bekommen vom System gesagt, welches Regal sie holen sollen, fahren darunter, heben das Regal an und bringen es zum richtigen Schalter. Beobachtet man diese Prozesse, ist es fast unmöglich, nicht beeindruckt zu sein.

Mit Hilfe von QR-Codes am Boden wissen die Roboter immer, wo sie sich gerade befinden und wo sie hinfahren müssen. Es gibt sogar so etwas wie Vorfahrtsregeln, denn oft stehen die Roboter Schlange, um zu den richtigen Mitarbeitern zu kommen. Trotzdem komme es nie zu Unfällen, erklärt uns die Tour-Führung. Im Logistikzentrum werden jedoch nicht nur Waren aus Regalen geholt und verpackt, sie müssen auch vorrätig sein.

Dazu stehen an vielen kleinen Schaltern Mitarbeiter und packen große Pakete aus, scannen die Ware ein und legen sie in schwarze Kisten. In allen Bereichen verläuft die Arbeit routiniert und zügig. „Es gibt hier keine Akkordarbeit“, sagt unser Tourguide. „Jeder arbeitet in seinem möglichen Tempo. Am Ende ist es ein Teamziel, das alle erreichen wollen.“

Bis zu 250.000 Artikel werden pro Tag in Winsen eingelagert

Die großen Lkw fahren zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Bis dahin sollten sie gefüllt sein. Dieses Ziel versuchen rund 1900 Mitarbeiter in drei Schichten zu erreichen. Bis zu 250.000 Artikel werden pro Tag eingelagert. Diese werden in die rund 30.000 Regale einsortiert – zehn bis zwölf Millionen Artikel liegen in den riesigen Hallen in Winsen, von denen im Durchschnitt 100.000 Pakete pro Tag das Zentrum verlassen.

Stolz teilt der Tourguide mit, dass der Rekord bei 450.000 Paketen liege – im vergangenen Jahr, am 21. Dezember 2021, drei Tage vor Heiligabend. „Wenn Sie nicht bestellen, können wir auch keinen neuen Rekord aufstellen“, sagt er dazu.

Das System, wie es immer genannt wird, hilft einem, wo es nur geht

Alles hängt von funktionierenden Systemen ab. Beim Einsortieren in die Regale wird von einer Kamera gefilmt, in welches Fach das gescannte Produkt sortiert wird. So weiß das System später, welches Fach beleuchtet werden muss, damit es schneller geht, das Produkt auf Bestellung wieder herauszuholen. Beobachtet man die Prozesse, ist alles von der Technik abhängig. Sie macht die Aufgaben wesentlich einfacher und das Arbeiten somit effizienter. Das System, wie es immer nur genannt wird, hilft einem, wo es nur geht.

Allerdings heißt es auch: „Wenn Dublin ein Problem hat, haben wir auch ein Problem.“ Gesteuert werden die Roboter von Dublin aus. Eine weitere Automatisierung der Prozesse ist nicht geplant: So, wie es jetzt abläuft, sei es gut. Aber: Bis 2030 sollen alle Prozesse des Logistikzentrums Winsen klimaneutral ausführbar sein, bis 2040 sogar konzernweit.

Ein hehres Ziel: Die von Amazon verursachten Treibhausgas-Emissionen sind 2021 auf ein neues Rekordhoch von 71,54 Millionen Tonnen gestiegen – gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Steigerung um 18 Prozent. Das geht aus dem Anfang August von Amazon selbst veröffentlichten Nachhaltigkeitsreport hervor.

Eine Zahl, die auf unserer Tour von niemandem thematisiert wurde. Zum Vergleich: 2021 beliefen sich die Treibhausgas-Emissionen des gesamten Straßenverkehrs in Deutschland auf etwas mehr als 145 Millionen Tonnen.