Wenzendorf. Neue Straßen, schicke Dorfmitte, weniger Überschwemmungen: Wie sich eine Gemeinde mit EU-Geld aufpolieren kann.
Es riecht noch nach Holz und Kunststoff, nach Putz und Stein. Die Luft im neuen Wenzendorfer Gemeindehaus im Landkreis Harburg erinnert an die eines Möbelhauses. Schick und geräumig ist der Klinkerbau, den die Dorfgemeinschaft vor wenigen Wochen festlich eingeweiht hat.
Möglich gemacht wurden dieses und viele weitere Projekte im Ort durch EU-Gelder in Millionenhöhe. Wie sich zeigt, hat Wenzendorf besonders erfolgreich um Mittel aus Brüssel geworben. Und so können jetzt regelmäßig Yoga-Schüler ihre Matten in einem 143 Quadratmeter großen und lichtdurchfluteten Veranstaltungsraum im Gemeindehaus ausrollen. Politiker kommen für Sitzungen zusammen. Auf dem angeschlossenen Sportplatz wird gebolzt oder Volleyball gespielt. Künftig sollen auch kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Dinge, für die es zuvor keinen geeigneten Platz im Dorf gab. „Ohne Fördermittel hätten wir uns das Projekt in dieser Dimension nicht leisten können“, sagt Manfred Cohrs, Bürgermeister der Gemeinde mit knapp 1400 Einwohnern und fünf Ortsteilen.
Dorferneuerung braucht die tatkräftige Unterstützung der Einwohner
Das Gebäude ist der krönende Abschluss einer zehnjährigen Förderperiode in Wenzendorf. Dass der Neubau neben der Funktion als Gemeindebüro vor allem als Dorfgemeinschaftshaus dient, hatten die Einwohner maßgeblich mitbestimmt. Denn nach einer feierlichen Aufnahme in das sogenannte Dorferneuerungsprogramm des Landes Niedersachsen im Jahr 2010 erarbeiteten viele Freiwillige gemeinsam mit dem Bürgermeister und der Verwaltung den konkreten 386-seitigen Plan für die Dorferneuerung.
Rund 90 Personen waren daran beteiligt. „Das ist erstaunlich für so eine kleine Gemeinde“, so Cohrs. „Die Arbeit der Helfer war für den Erfolg der Dorferneuerung maßgeblich.“
Seit 2012 fließen die Gelder aus dem sogenannten ZILE-Programm (Zuwendungen zur integrierten ländlichen Entwicklung) nach Wenzendorf. Mit dem Jahr 2022 endet bald der offizielle Förderzeitraum. 9 Millionen Euro hat die Kommune seitdem insgesamt investiert. Wichtig zu wissen ist: Die Fördergelder für die ländliche Entwicklung sind stets an eine Co-Finanzierung gebunden. Das heißt, dass die Kommune auch selbst in die Kasse greifen muss und für bewilligte Projekte rund die Hälfte vom Staat bekommt. Unter anderem von der EU, die die Gelder in Form von Agrarsubventionen an die Mitgliedsländer ausschüttet.
9 Millionen Euro investiert, 3,5 Millionen kamen per Förderung
Rund 3,6 Millionen Euro Fördergelder sind Wenzendorf über die Jahre bewilligt worden. Viel Geld für eine kleine Gemeinde. Auf die Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt wie Buchholz umgerechnet wären das um die 100 Millionen Euro. Das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium bestätigt auf Abendblatt-Nachfrage: „Wenzendorf hat eine für einen Einzelort mit 1400 Einwohnern sehr hohe Mittelausstattung im landesweiten Vergleich.“ Im Landkreis Harburg haben nach Ministeriums-Angaben acht Gemeinden beziehungsweise Dorfregionen seit 2012 Förderung für die ländliche Entwicklung zugesprochen bekommen. Die Höhe der bewilligten Mittel insgesamt: knapp 14,5 Millionen Euro. Mehr Zuwendungen als Wenzendorf holte lediglich die Winsener Marsch ein, wie die Grafik rechts zeigt.
Straßenentwässerung und Co: Diese Projekte hat Wenzendorf umgesetzt
Das Ergebnis des Geldsegens in Wenzendorf: Sechs erfolgreich umgesetzte öffentliche Vorhaben und 17 private Projekte. Einer der größten Posten war das Gemeindehaus mit 730.000 Euro. Die Gesamtkosten lagen inklusive einem höheren Eigenanteil bei 1,7 Millionen Euro. Das meiste Geld floss aber in die Modernisierung des Wenzendorfer Ortsteils Wennersdorf. Dort wurde für 2,4 Millionen Euro im Prinzip der gesamte Ort mit neuen Straßen, Fußwegen, Bushaltestellen und moderner LED-Beleuchtung ausgestattet.
Ein wichtiger Schritt, der zudem mit Fördergeldern angepackt werden konnte, war der Bau von Straßenabläufen. Bei starken Regenfällen habe ganz Wenzendorf mit Überschwemmungen zu kämpfen gehabt, wie Bürgermeister Cohrs berichtet. „Die Straßenentwässerung ist im ländlichen Raum eine Herausforderung“, sagt er. Die letzten Umbauarbeiten laufen gerade im Ortsteil Dierstorf in der Straße „Am Schäferstieg“. Ein wichtiger Baustein für die Entwässerung waren zudem vergrößerte Regenrückhaltebecken, die auch großen Niederschlagsmengen standhalten.
Schwerpunkte: Tipps für den erfolgreichen Förderantrag
Die Oberflächenentwässerung sei als Förderthema zuletzt besonders angesagt gewesen, verrät Manfred Cohrs. Genauso wie ortsübergreifende Konzepte. Seit 2013 werden sogar ausschließlich Dorfregionen und keine Einzelorte mehr in die Programme aufgenommen
.„Wer einen Förderantrag stellt, sollte sich gut überlegen, wie er die Leute in Lüneburg überzeugt“, so Cohrs. Die Schwerpunkte hätten sich im Laufe der Jahre mehrfach geändert. In Lüneburg sitzt das Amt für regionale Landesentwicklung (ARL). Dort beantragen Kommunen aus dem Landkreis Harburg die Aufnahme in Förderprogramme zur Entwicklung des ländlichen Raumes.
Das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium weist darauf hin, dass mit der neuen EU-Förderperiode ab 2023 weniger Mittel zur Verfügung stehen als zuvor. Die Folge: Die Bandbreite der Fördermaßnahmen wird reduziert, ein stärkerer Fokus gesetzt. Die drei künftigen Förderschwerpunkte: Grundversorgung der örtlichen Bevölkerung, Innenentwicklung der Dörfer und Bekämpfung von Leerständen.
Manfred Cohrs ist im Umgang mit Vorschriften und Formalitäten vertraut
Im Hinterkopf sollten Antragsteller laut Wenzendorfs Bürgermeister auch haben, dass die Mittel zwar auch für die allgemeine ländliche Infrastruktur gewährt werden, ursprünglich aber aus einem Agrar-Topf stammen. Jeder Bezug zur Landwirtschaft helfe. Die konkreten Förderrichtlinien sind öffentlich im Netz einsehbar.
Manfred Cohrs ist im Hauptberuf Jurist und im Umgang mit Vorschriften und Formalitäten vertraut. Doch er sagt: „Jeder ehrenamtliche Bürgermeister kann das, ein erfolgreicher Antrag ist kein Ding der Unmöglichkeit.“ Gute Vorbereitung und kompetente Hilfe bei der Formulierung des sogenannten Dorfentwicklungsplans seien aber unerlässlich. „Den richtigen Planer an seiner Seite zu haben, hilft sehr“, so Cohrs. Wenzendorf arbeitete beispielsweise mit dem Braunschweiger Planungsbüro Volker Warnecke zusammen. Das Konzept ist auf der Seite der Gemeinde über www.hollenstedt.de einsehbar.
Vorteilhaft sind zudem volle Kassen, denn wer teure Projekte zur Hälfte co-finanzieren muss, braucht Geld. Cohrs: „Wir konnten dank hoher Steuereinnahmen alles ohne Schulden umsetzen, es geht aber auch über Kredite.“ Auf Nachfrage bestätigt das Landwirtschaftministerium schriftlich: „Grundsätzlich stellen alle Förderprogramme, die einen eigenen Beitrag erwarten, finanzstarke Kommunen besser.“ Aber: Für klamme Kommunen existiere ein erhöhter Fördersatz von 80 Prozent, der teilweise auf 90 Prozent angehoben werden könne.
Geduld ist gefragt: Dorferneuerung erst 20 Jahre nach Erstantrag fertig
Unbedingt mitbringen muss der Antragsteller: Geduld und Ausdauer. Cohrs – seit 2001 Bürgermeister in Wenzendorf – stellte seinen Antrag im Jahr 2004, die ersten Gelder flossen acht Jahre später. Der Förderzeitraum war zunächst bis 2018 begrenzt und wurde mehrfach verlängert. Voraussetzung dafür sind vielversprechende Projekte im Köcher.
Interessant für die Einwohner und Engagierte: Einmal aufgenommen, können auch Privatpersonen Unterstützung für Projekte im Sinne der Dorferneuerung in Lüneburg beantragen. So wird in Wenzendorf aktuell das historische Arpshof-Hauptgebäude in Dierstorf mithilfe von Fördermitteln neu aufgebaut. Auch der Museumsbauernhof Wennerstorf erhielt Gelder für eigene Vorhaben. Die Kommune muss private Projekte absegnen. Cohrs: „Wir haben uns über jeden Vorschlag gefreut und alle nach Lüneburg weitergegeben. Von 18 Projekten haben 17 eine Zusage bekommen.“