Hittfeld. René Kautz fand schon Saurierknochen in Norddeutschland. Hittfelder Gestein enthält viele sehr gut erhaltene Krabben.
Wenn René Kautz zu seinem wöchentlichen Sonntagsspaziergang aufbricht, schultert er einen schweren Rucksack, gefüllt mit Hammer und Sammelbehältern, er zieht Handschuhe und Bundeswehrstiefel an und streift seine Schutzbrille über. Der 42-Jährige zieht bei jedem Wetter los, bei Regen schützt er sich zusätzlich mit einem schwarzen Ölhut.
So vorbereitet taucht er ein in frühere Unterwasserwelten, deren Millionen Jahre alte Hinterlassenschaften für geschulte Beobachter noch heute in ganz Norddeutschland zu entdecken sind. René Kautz ist Fossiliensammler, bei seinen Touren sucht er unter anderem nach in Gestein eingeschlossenen Krabben, Muscheln, Saurierknochen und Haizähnen. Sein Revier sind Steilküsten, Äcker und Kiesgruben.
Fund zählt zu den Geschieben, auf die sich der Hobby-Paläontologe spezialisiert hat
Auf einem dieser Ausflüge macht der Lüneburger im Jahr 2020 bei Hittfeld in der niedersächsischen Gemeinde Seevetal einen ganz besonderen Fund: Er entdeckt eine neue Gesteinsart, die er Hittfelder Gestein nennt und die offenbar nur in dieser Gegend vorkommt. Sie zählt zu den Geschieben, auf die sich der Hobby-Paläontologe spezialisiert hat.
„Geschiebe sammeln bedeutet, die Hinterlassenschaften der Gletscher zu untersuchen“, erklärt René Kautz. Über ganz Norddeutschland verteilten die schiebenden Gletscher einst das Gestein mitsamt seinem Inhalt – ein Schatz für heutige Sammler. „Nirgendwo auf der Welt kann man so breit sammeln wie hier, die zeitliche Bandbreite der Gesteine ist immens“, sagt der Geschiebeexperte. Seine jüngsten Funde, wie zum Beispiel Mammutreste aus der Eiszeit, sind etwa 60.000 Jahre alt. Andere, wie die sogenannten kambrischen Spurenfossilien, bringen es auf 500 Millionen Jahre.
Im Hittfelder Geschiebe weckt zunächst eine gut erhaltene Krabbe seine Neugier
Im Hittfelder Geschiebe weckt zunächst eine gut erhaltene Krabbe im Gestein seine Neugier, die Schalentiere gelten als Besonderheit in ähnlichen Geschiebearten. Dann findet er noch eine, und eine weitere. „Das war recht verrückt: Fast in jedem interessant aussehenden Stein war eine Krabbe“, erzählt René Kautz. „Ich konnte mein Glück kaum fassen.“ Zumal die Fossilien sehr gut erhalten sind. Er beschließt, der Sache genauer nachzugehen.
Innerhalb von sechs Monaten besucht er 25 Mal das Gebiet, den genauen Fundort will er nicht verraten. Und er wird fündig: In den teilweise etwa kopfgroße Stücken des Hittfelder Gesteins kommen neben zahlreichen Krabben auch Schnecken, Muscheln, eine äußerst seltene Krebsschere, ein Röhrenwurm, eine Koralle, der Wirbel eines Wals sowie ein knapp fünf Zentimeter langer Knochen, der vermutlich von einem Krokodil stammt, zum Vorschein.
Fossilien haben sich vermutlich an einer Flussmündung abgelagert
„Die Fossilien haben sich vermutlich an einer Flussmündung abgelagert und wurden innerhalb kürzester Zeit ins Sediment eingeschlossen, darauf deutet die enorme Dichte der kaum beschädigten Fossilien hin“, sagt der Geschiebesammler. Er vermutet, dass an dieser Stelle die sogenannte Sülzdorfer Schicht aus 180 Meter Tiefe durch einen Salzstock nach oben gedrückt wurde. Für ihn ein Beleg für die Einzigartigkeit seiner Entdeckung. „Durch das ungewöhnlich gut erhaltene Chaos in der Matrix lässt sich das Hittfelder Gestein gut vom ähnlichen Sternberger Gestein abgrenzen.“
Die Seltenheit, der besondere Fossilieninhalt und damit die Neuartigkeit des Geschiebes machen das Gestein für René Kautz interessant. Denn eigentlich sei das Hittfelder Gestein zu jung für ihn, sagt der Freizeit-Paläontologe, dem seine Begeisterung für dieses eher ungewöhnliche Hobby schnell und deutlich anzumerken ist.
Seit seiner Kindheit ist er fasziniert von Sauriern
Seit seiner Kindheit ist er fasziniert von Sauriern, noch heute hält er bei seinen Touren stets Ausschau nach den seltenen Überresten dieser ausgestorbenen Reptilien. Ein aufreibendes, weil kaum aussichtsreiches Unterfangen, wie er selbst einräumt. Doch einen Erfolg kann er bereits vorweisen: einen 18 Zentimeter langen Saurierknochen. Viele Tausend Stunden Arbeit hat er dafür investiert.
Als Student hatte René Kautz sein Hobby aus Kindheitstagen wieder richtig aufgenommen. Damals war er oft fünfmal pro Woche zum Sammeln unterwegs. Heute ist er im Management eines Düsseldorfer Investmenthauses im Bereich erneuerbare Energien tätig und beruflich stark eingespannt. Um sein aufwendiges Hobby weiterhin pflegen zu können, hat er mit seiner Frau eine Vereinbarung getroffen. Drei bis vier Stunden pro Woche geht er nun auf Fossiliensuche, in der Regel sonntags. „Das macht meine Familie mit, und ich bin auch ganz glücklich mit dieser Lösung. Andere gehen dafür ins Fitnessstudio.“
Einmal im Jahr beobachtet Kautz Schlangen und Krokodile
Sein Hobby kostet nicht nur Zeit, der Sammler hat auch schon viel Geld dafür ausgegeben. Auf mindestens 15.000 Euro schätzt er seine Ausgaben der vergangenen Jahre. Allein das Präparieren eines Steins durch einen Fachmann, der sorgfältig das Fossil aus einem Stück Geschiebe herausarbeitet, kann bis zu 1000 Euro kosten. Die besonderen Stücke seiner Sammlung bewahrt René Kautz in einem alten Holzschrank in der Familienwohnung auf. „Der quillt allerdings schon über“, räumt er ein.
Für all die anderen unbearbeiteten Funde hat er extra einen Schuppen vors Haus gebaut, ein weiterer Lagerschuppen ist ebenfalls bereits gefüllt. Sein zweijähriger Sohn zeigt für das besondere Hobby noch kein Interessen. Doch der Sechsjährige teile seine Leidenschaft offenbar, sagt der Vater. „Ich freue mich immer, wenn er Hosentaschen voller Steine zu Hause ausleert.“
Auch wenn René Kautz viele Zeugnisse der Vergangenheit aufbewahrt, interessiert er sich mindestens ebenso für die Gegenwart. Einmal im Jahr geht der Lüneburger auf Exkursion, die von seinen sonntäglichen Touren durch Norddeutschland nicht weiter entfernt sein könnten. „Ich laufe dann irgendwo durch den Dschungel und beobachte Krokodile und Schlangen.“
„Es ist immer spannend, so tief wie möglich in die Natur einzutauchen“
Sein nächstes Ziel ist Sri Lanka, auch dort hofft er auf Begegnungen mit lebenden Reptilien.
Für die Zukunft hofft der Fossiliensammler, weitere Teile von Sauriern zu finden. „Und komplett erhaltene Seesterne wären toll.“ Zwei dieser besonders filigranen Tiere, die nur äußerst selten die eiszeitlichen Bewegungen ohne Schäden überstanden haben, zählen bereits zu seiner Sammlung. Dafür wird René Kautz sich weiterhin fast jeden Sonntag bei Wind und Wetter durch uraltes Gestein arbeiten, nach Krabben und Krokodilknochen suchen und bei Bedarf auch mal den Vorschlaghammer aus seinem schweren Rucksack ziehen. Ein ergebnisloser Tag entmutigt ihn nicht, betont er. „Es ist immer spannend, so tief wie möglich in die Natur einzutauchen, das bringt mir auch die notwendige Erdung. Im schlechtesten Fall war es eben ein toller Spaziergang.“