Welle. Viele Ukrainer kehren in die Heimat zurück. Unternehmer aus dem Landkreis Harburg befürchtet Versorgungsengpässe auch in Deutschland.

Die mittelständische Dallmaco Speditionsgesellschaft mit Sitz in Welle bei Tostedt pflegt als eines ihrer Spezialgebiete ein logistisches Netzwerk in Osteuropa. Sie gehört zu den Unternehmen im Landkreis Harburg, die direkt vom Krieg in der Ukraine betroffen sind.

„Wir fahren zwar seit längerem nicht mehr nach Russland und in die Ukraine“, sagt Firmenchef Wilhelm Dallmann. „Aber wir haben, wie viele andere Speditionen, ukrainisches Personal auf den Fahrzeugen. Wenn die Fahrer in ihr Heimatland zurückkehren, um zu kämpfen oder bei ihren Familien zu sein, sind sie kaum zu ersetzen.“ Der ohnehin vorhandene Fahrermangel habe sich bereits verschärft.

6000 ukrainische Fahrer in die Heimat zurückgekehrt?

Seine Spedition verfügt über 65 Fahrzeuge. Es sind keine eigenen Lkw, sondern sie werden komplett mit Fahrern und inklusive aller Kosten bei Partnerunternehmen im Ausland gechartert, vornehmlich in Polen, Rumänien, Litauen. Bei vielen polnischen Unternehmen sitzen ukrainische Fahrer am Steuer. „Wir haben derzeit 22 ukrainische Fahrer. Fünf von ihnen sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie werden ihr Land jetzt nicht mehr verlassen können. Das heißt: Wir brauchen Ersatz“, sagt Dallmann.

Der Mittelständler ist mit diesem Problem nicht allein. In der Branche kursiert die Zahl von 103.000 ukrainischen Fahrern, die Güter aus Deutschland ins Ausland oder aber hierher transportieren und damit etwa 20 Prozent der gesamten Fahrleistung erbringen. „Wenn wir unsere Quote von knapp einem Viertel der Fahrer auf diese Zahl übertragen, dann fallen 25.000 Fahrer aus.“ Derzeit schätze sein Branchenverband, dass 5000 bis 6000 ukrainische Fahrer nicht mehr im Dienst seien, so Dallmann. Betroffen seien vor allem Fernstrecken. Sie werden meist von ausländischen Speditionen übernommen.

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Deutsche Fahrer und Speditionen seien eher auf kürzeren Fahrten innerhalb Deutschlands oder in Nachbarregionen aktiv: „Sie finden kaum deutsche Fahrer im Ausland. Abends um 22 Uhr müssen Sie die Lkw mit deutschen Kennzeichen suchen.“ Lkw aus osteuropäischen Staaten dominieren dann die Autobahnen. Dabei spielt Polen eine besondere Rolle: Anders als deutsche Speditionen dürfen polnische Unternehmen generell auch Fahrer aus dem EU-Ausland, speziell der Ukraine, beschäftigen. Oftmals liege nur der Firmensitz in Polen, die gesamte Abwicklung werde aus der Ukraine organisiert, sagt Dallmann, der Niederlassungen in Wedel, Hannover und Tuzla (Bosnien) betreibt.

Zum Glück wohnen die Familien auf dem Land

Von Welle aus wird der Einsatz der rumänischen Lkw organisiert. Die Hannoveraner Kollegen sind für die polnischen Geschäftspartner zuständig und damit für die ukrainischen Fahrer. Einer habe bereits seine Frau und seine vierjährige Tochter nach Polen geholt, sagt Dallmann. „Wenn bei den Fahrern Bedarf an Fluchthilfe besteht, unterstützen wir sie mit unseren guten Kontakten nach Polen und Rumänien. Aber bislang ist das nicht der Fall. Zum Glück wohnen die Familien auf dem Land, wo es noch weitgehend ruhig ist.“

Viele Ukrainer, die für Dallmaco fahren, haben sich entschieden, vorerst weiterzumachen. Auch weil sie ihre Familien mit dem Geld, das sie hier verdienen, womöglich besser unterstützen können als wenn sie sich selbst auf den Heimweg machen würden. Sie werden nun vom Hannoveraner Büro unterstützt. Dallmann: „Normalerweise kommen die Fahrer alle acht Wochen für 14 Tage nach Hause. Dort waschen sie dann auch ihre Wäsche. Während der Fahrten leben sie wochenlang aus dem Koffer. Jetzt können sie nicht zu ihren Familien und brauchen hier eine Infrastruktur. Die können wir ihnen bieten. Und auch mal unabhängig vom Dienstplan eine Unterkunft organisieren, wenn ein Fahrer eine Auszeit braucht.“

Unternehmer: Wir helfen unseren Fahrern, wo wir können"

Traditionell sei sein Unternehmen mit dem Fahrpersonal eng verbunden, sagt der Spediteur. In den Büros werden die Landessprachen der Fahrer gesprochen – „die Strecken sind einfach zu lang, um die Fahrer allein zu lassen“. Dallmaco-Mitarbeiter haben Verständnis, wenn die Fahrleistung sinkt, weil ein Familienvater immer wieder versucht, Kontakt in die Heimat herzustellen. Und sie leisten seelischen Beistand. „Wir helfen, wo wir können“, versichert der Chef. „Das ist auch im Interesse der Firma. Schließlich wollen wir unsere Fahrer halten.“

Sein Team rechne damit, dass die Organisation über ukrainische Büros bald nicht mehr funktionieren wird – es sei bereits Hilfe angefordert worden. So hält Dallmaco Tankkarten bereit, streckt Mautgebühren vor und bereitet sich darauf vor, notfalls dafür sorgen zu können, dass die Fahrer ihr Geld bekommen. Von Welle aus lässt sich auch Pannenhilfe organisieren. Zudem hat Dallmann am Firmensitz Ersatzreifen eingelagert, denn er fürchtet, dass sie in Polen und Rumänien sehr bald zur Mangelware werden könnten. Schließlich soll kein Fahrzeug liegen bleiben.

Durch überforderte Logistik bald auch in Deutschland Versorgungslücken

Möglicherweise werden sich allein durch eine überforderte Logistik bald auch in Deutschland Versorgungslücken auftun. Darauf weist das Transport-Barometer hin. Es ergibt sich aus dem Verhältnis von angemeldeter Ladung zu kurzfristig gemeldeten Kapazitäten. Generell gebe es einen Überhang an Ladung, doch es werde alles gefahren, sagt Dallmann. Notfalls mit leichten Verzögerungen. Die aktuelle Situation gleiche der Vorweihnachtszeit: „Wir liegen jetzt bei rund 75 Prozent gemeldete Ladung zu 25 Prozent auf dem Spotmarkt angebotene Kapazitäten.“ Vor 14 Tagen habe das Verhältnis noch 60:40 betragen.

Wenn die Bauwirtschaft im April wieder anziehe, werde das den Ladungsüberhang vergrößern, prognostiziert Dallmann. Noch schwieriger werde es, wenn Firmen und Verbraucher aus Angst vor Engpässen ihre Läger aufstocken, sagt der Logistiker und erinnert an das Hamstern von Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Pandemie: „Wenn jeder Haushalt zwei statt ein Zehn-Rollen-Paket kauft, dann macht das 10.000 zusätzliche Lkw-Ladungen aus.“

Auch bei den baltischen Speditionen fallen viele Lkw-Fahrer durch die russische Invasion aus. Dallmann: „Die großen Speditionen mit mehreren Tausend Lkw haben mit Sicherheit zu etwa zwei Dritteln weißrussische Fahrer. Ich kenne ein litauisches Unternehmen, das 3500 Lkw betreibt. Davon sind 250 jetzt schon ohne Fahrer.“

Niedersachsens Handel mit Russland und Ukraine:

  • Russland stand im Vorjahr (Januar bis November) auf Platz 22 der niedersächsischen Einfuhrstatistik (2019: Platz 24). Der Warenwert der Importe belief sich bis November 2021 auf 1,1 Milliarden Euro. Es wurden Steinkohle und Steinkohlebriketts, Erdöl, Erdgas und Mineralölerzeugnisse geliefert. Aber auch Kupfer und Kupferlegierungen, Vorprodukte aus Aluminium, Schnittholz, Fische, Krebse und Weichtiere, Ölkuchen, chemische Vorerzeugnisse, Blei.
  • Die Ausfuhren aus Niedersachsen belegen im Länderranking relativ stabil den 16. oder 17. Platz. Güter im Wert von 1,5 Milliarden Euro gingen nach Russland, insbesondere Maschinen, Maschinenteile und Fahrzeuge.
  • Die Ukraine verlor als Handelspartner für Niedersachsen an Bedeutung. Bei den Einfuhren rutschte sie 2021 (bis November) auf Platz 37 ab (2019: Platz 31). Aus dem Land kamen Aggregate zur Stromerzeugung und -verteilung, Futter- und Nahrungsmittel (u.a. Mais, Fleischwaren), Eisenerze, Kleidung und Möbel im Gesamtwert von 360 Millionen Euro. Bei den Ausfuhren belegt die Ukraine Platz 40 (2019: Platz 37), mit einem Warenwert von 294 Millionen Euro. Exportiert wurden vor allem Fahrzeuge und Maschinen, dazu Papier und Pappe, Kunststoffe und Kunststoffprodukte.