Lüneburg. Besucher sollen Geschichte mit VR-Brillen hautnah erleben. Heimatmuseen werden dank „Virtual Reality“ vernetzt.
Ein Augenzwinkern genügt, schon wechselt die Szenerie: Mit einem Mal befindet man sich inmitten einer Steinzeitfamilie, sitzt als Voyeur direkt im Geschehen. Dann steht man plötzlich in der Elbtalaue am Ufer, blickt auf das vorbeiziehende Wasser, genießt den Ausblick auf dem Dach einer Ziegelei, oder schwimmt einen Moment später neben den Hechten im Becken mit.
Dass man bei all seinen Erkundungen stets trockene Füße behält, garantiert das Transportmittel – mit der VR-Brille, die im Museum Lüneburg vorgestellt wurde, gelingen Zeitreisen und Ortswechsel innerhalb weniger Sekunden, ganz ohne körperliche Beeinträchtigung. Mit einer Ausnahme vielleicht. Auf besagtem Ziegeleidach wird der Museumsbesucher augenblicklich zum Drohnenpassagier und schwebt sodann durch schwindelerregende Höhen. Auf den Preis für die fantastische Sicht weist eine Erzählstimme aber rechtzeitig hin: Wem in Jahrmarktgeschäften schnell schwindelig werde – so in etwa der Wortlaut – sei gewarnt.
Nichts für schreckhafte Besucher
Für sehr schreckhafte und zu Schwindel neigende Besucher ist das neue Museumserlebnis via Brille also vielleicht gewöhnungsbedürftig. Andersherum ist ein bisschen Wagnis von den Machern des interaktiven 360-Grad-Erlebnisses auch erwünscht. Denn die VR-Brille soll Heimatgeschichte spannender machen.
Insgesamt 13 Museen haben bei dem vom Museum Lüneburg initiierten Projekt „Virtual Reality – Digitaler Wandel in mittleren und kleinen Museen“ mitgemacht. Drei Jahre lang konzipierten, fotografierten, filmten und schrieben rund 20 Mitarbeiter für das VR-Erlebnis, das diese Woche in Lüneburg präsentiert wurde. Für finanzielle Unterstützung sorgte der Europäische Sozialfonds. Das anberaumte Ziel: die gemeinsame Stärkung der Institution Heimatmuseum.
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„Für uns allein wäre die Verwirklichung des Projekts unmöglich gewesen. Viele Fachkompetenzen waren gefragt – deshalb sind wir es im Verbund angegangen“, sagt Heike Düselder, Leiterin des Museums Lüneburg, die zugleich auch die Projektleitung übernommen hat. Zu den Archäologen und Experten aus den umliegenden Museen holte sie außerdem vier Mitarbeiter von der Wuppertaler Firma Twinc, die sich auf innovatives Lernen mithilfe von VR spezialisiert hat, mit ins Boot.
„Mit diesem Projekt können die Museen zukunftsfähig werden“
Im Rahmen von insgesamt zehn Workshops wurden dann Schritt für Schritt Konzept und Film erarbeitet. Die Erwartungen der Museumsmacher an das neue Medium seien anfangs komplett unterschiedlich gewesen, berichtet Düselder. Dementsprechend habe viel Austausch stattfinden müssen – aber dieser sei erwünscht und Teil des Vorhabens gewesen. Das Netzwerk soll weiterhin bestehen bleiben. Corona habe die Arbeit allerdings nicht immer leicht gemacht. „Jetzt bin ich stolz, dass dieses Projekt auf die Beine gestellt werden konnte“, sagt die Museumsleiterin. „Es besteht schon länger die Sorge, dass Heimatmuseen aussterben. Mit diesem Projekt können die Museen zukunftsfähig werden.“
In Lüneburg stehen Interessierten ab sofort zwei Brillen an zwei Sitzplätzen zur Verfügung. Die Zeitreisen werden von Museumspersonal angeleitet, das analoge Museum droht also nicht, unwichtig zu werden. Zumal sich in Vitrinen Gegenstände wiederfinden lassen, die einem in der virtuellen Realität begegnet sind. In den beteiligten Museen, etwa dem Deutschen Ameisen-Erlebnis-Zentrum, dem Winsener Museum im Marstall oder dem Elbschifffahrtsmuseum Lauenburg soll es schon bald, im Laufe des Frühjahrs, jeweils eine Brille für Besucher geben. Zirka eine Dreiviertelstunde dauert das ganze Erlebnis, sofern man so lange durchhält. Kleines Manko: Die virtuelle Realität ist ein wenig unscharf.
Zusammenspiel von Mensch und Natur
Übergeordnetes Thema ist das Zusammenspiel von Mensch und Natur. Wer die Brille aufsetzt, findet sich zunächst in einer Comicwelt wieder, gestaltet von der Illustratorin Corinna Gräfingholt. Von hier aus entscheidet der Museumsbesucher selbst, welchen Bereich er entdecken möchte. Sechs stehen zur Auswahl: Schönheit, Bedrohung, Arbeit, Rohstoff, Forschung und Verantwortung. Und in jedem Bereich lässt es sich wiederum durch verschiedene Epochen springen. Alle Museen sind mit Themen und Exponaten vertreten.
Während der Altsteinzeit lebt der Mensch noch im Einklang mit der Natur. Dann erlebt er Naturkatastrophen, in der Jungsteinzeit wird er schließlich sesshaft – und beginnt, in die Natur einzugreifen. Er fällt Bäume und nutzt andere Rohstoffe. Hier kommt das Archäologische Zentrum Hitzacker ins Spiel: Im Bereich Arbeit präsentiert es unter anderem Werkzeuge aus der Bronzezeit für Ernte und zum Feuermachen. Aber auch das Hochwasser in Hitzacker von 2013 wird im VR-Erlebnis thematisiert.
Während im 19 Jahrhundert die Schönheit der Natur in den Vordergrund gestellt wird, die Natur als Erholungsort, stellen die Museen für die aktuelle Zeit folgende Frage ins Zentrum: Wie geht die Menschheit mit der nun bewussten Verantwortung um?