Seevetal/Neu Wulmstorf. Männliche Eintagsküken von Legehennen-Rassen dürfen nicht mehr getötet werden. Doch zur Mast taugen sie kaum.
Gelbe, flauschige Küken, die, kaum geschlüpft, in den Schredder kommen – dieses bekannte Bild der Geschlechterselektion von Eintagsküken in Legehennen-Brütereien gehört der Vergangenheit an. Abgesehen von der Tatsache, dass die Kleinen in der Regel nicht geschreddert, sondern mit CO2 erstickt wurden, ist das Töten des männlichen Nachwuchses seit dem Jahreswechsel verboten. Das hat Folgen für die Hennenhalter im Landkreis Harburg. Und für den Wildpark Schwarze Berge.
Allein 55.000 Legehennen leben auf dem Geflügelhof Schönecke in Neu Wulmstorf. Im Normalfall in Freiland- oder Bodenhaltung. Durch die Geflügelpest herrscht derzeit Stallpflicht im Landkreis Harburg, so dass alle Tiere Dächer über den Köpfen haben. Henner Schönecke bezieht nach wie vor nur die weiblichen Kükennachwuchs von der Brüterei, den Geflügelzuchtbetrieben Gudendorf-Ankum (Landkreis Osnabrück). „Wir bezahlen den Mäster dafür, dass er die Hähne aufzieht“, sagt Schönecke, der zugleich Vorsitzender des Bundesverbands Deutsches Ei (BDE) ist.
Zwei Zuchtziele: Legeleistung oder Fleischansatz
Schönecke schätzt, dass in Deutschland etwa drei Viertel des männlichen Nachwuchses ausgebrütet und als „Bruderhähne“ aufgezogen werden, in Niedersachsen meist in Enten- oder Mastgeflügelställen. Die kleinen Hähne sind jedoch Verlustbringer, denn Legehühner-Rassen sind auf das Eierlegen optimiert und nicht auf guten Fleischansatz. Diese Eigenschaften seien nicht miteinander vereinbar, so Schönecke: „Sie können nicht gleichzeitig einen Marathonläufer und einen Bodybuilder züchten.“
Während ein Masthähnchen – je nach geplanter Verwendung – nach vier bis sechs Wochen sein Schlachtgewicht von 1,6 bis gut 2,5 Kilogramm erreicht, leben die Bruderhähne zwölf Wochen und mehr, bis sie ausreichend Fleisch angesetzt haben. Selbst dann bringen sie weniger Gewicht und haben dennoch die doppelte Futtermenge aufgepickt. Sie haben keine ausgeprägte Hähnchenbrust, dafür stärkere Schenkel. Schönecke: „Das Fleisch wird meist zu Fertigprodukten und Tierfutter verarbeitet.“
Beim vierten Viertel des Legehennennachwuchses wird bereits im Ei das Geschlecht des werdenden Kükens bestimmt. Dafür gibt es zwei grundlegende Methoden: Die erste durchleuchtet die Eier und kann an den ersten ausgebildeten Federn des Embryos das Geschlecht erkennen. Das funktioniert nur bei den braunen Rassen, denn dort haben die Mädchen ein hellbraunes Federkleid, die Jungs tragen gelb. Bei der zweiten Methode wird mit einer hauchdünnen Nadel eine winzige Probe aus der embryonalen Harnblase genommen und im Labor untersucht.
Die zweite Methode kann ab dem achten oder neunten Bruttag eingesetzt werden, die Durchleuchtung erst später. Aus ethischen Gründen werden diese sogenannten In-Ovo-Technologien von 2024 an aber nur noch erlaubt sein, wenn sie spätestens am sechsten Bruttag ansetzen. Denn es ist möglich, dass die Embryos etwa in diesem Brutstadium schmerzempfindlich werden. „Es ist völlig unklar, ob bis 2024 Techniken zur Verfügung stehen, die diese Bedingung erfüllen“, urteilt Schönecke.
Bauckhof gehört zu den Pionieren der Bruderhahnmast
Carsten Bauck, Chef der drei Demeter-Betriebe unter dem Namen Bauckhof, hält generell nichts von diesem Ansatz, bezeichnet ihn als „verschleierte Abtreibung“, bei der die männlichen Tiere nur zu einem früheren Zeitpunkt als bisher getötet werden. So sieht es die gesamte Bio-Branche, die ausschließlich auf Bruderhähne setzt. Bauck gehört zu den Pionieren der Bruderhahnmast. „Wir haben 2008 angefangen, damit zu experimentieren. Damals hatten wir begriffen, dass da etwas schief läuft und wollten vor allem ein politisches Zeichen setzen.“ 2012 gründete Bauck zusammen mit Partnerbetrieben die Bruderhahn-Initiative. Sie hat ihren Sitz in Seevetal und heißt inzwischen Brudertier-Initiative Deutschland e.V., kurz BID.
„Die Bruderhahnaufzucht funktioniert“, sagt Carsten Bauck, der das Geflügel auf seinem Ursprungsbetrieb in Klein Süstedt bei Uelzen laufen lässt. „Man kann die Lebewesen aufziehen. Aber wirtschaftlich ist das nicht.“ Er schlägt auf seine Bio-Eier vier Eurocent für das Leben der Hähnchen auf – „wir legen damit die Ineffizienz des Hahnes auf die Effizienz der Hennen um“. Die Bio-Kundschaft sei bereit, den Aufpreis zu zahlen, sagt der Bauckhof-Chef. Es mache ihn froh, „dass zumindest im Öko-Bereich inzwischen klar ist, dass zu jeder Henne ein Hahn gehört“.
Am besten schmeckt der kleine Hahn als Coq au Vin
Bei der Vermarktung der Bruderhahn-Produkte ist noch Luft nach oben. Der kleine Kerl entspricht halt nicht dem Bild eines properen Masthahns. Doch der Bruderhahn als komplettes Tier sei ein Rohdiamant, versichert Bauck: „Am besten schmeckt er als Coq au vin in Rotwein geschmort. Wird er dagegen einfach nur in die Bratröhre geschoben, wird sein Fleisch zäh. Viele Leute wollen Hähnchenfleisch nur noch als Brust verarbeiten, es in die Pfanne legen und zweimal umdrehen.“ Immerhin habe sich seine Bruderhahn-Salami zu einem Topseller entwickelt, so Bauck.
BID-Sprecherin Lisa Minkmar weist auf ein weiteres Vermarktungsproblem hin: die hohe Vegetarierrate unter den Bio-Kunden. „Viele Vegetarier essen zwar noch Eier, wollen aber auf keinen Fall Hähnchenfleisch“, sagt sie. „Die Vermarktung von Frischfleisch und Teilstücken könnte noch besser werden.“ Obwohl züchterisch schwer umsetzbar, hält die BID das Zweinutzungshuhn also Rassen, die sowohl Eier als auch Fleisch liefern, als einzig gangbare Lösung. Die Initiative hat zusammen mit den Ökoverbänden Bioland und Demeter dazu die ÖTZ (Ökologische Tierzucht) als gemeinnützige GmbH gegründet.
Zweinutzungshennen legen kleinere Eier
„Die ÖTZ hat bereits gute Erfolge erzielt und ist mit einer fleischbetonten und einer legebetonten Rasse am Start“, sagt Minkmar. „Momentan rennen die Halter ihr die Türen ein.“ Allerdings legen die Zweinutzungshennen weniger und kleinere Eier als die hochgezüchteten Legehennen. Das macht die Eier deutlich teurer. Carsten Bauck stellt allmählich auf das Zweinutzungshuhn um. „Ein Bio-Ei müsste ein Euro kosten, im konventionellen Bereich 60 Cent. Das klingt nach einer schieren Unverschämtheit, ist aber ein angemessener Preis für ein hochwertiges Lebensmittel.“
Auch deutsche Großbrütereien entwickeln Zweinutzungshühner. Die Lohmann Deutschland Junghennen GmbH bietet die Zuchtlinie „Lohmann Dual“ seit mehreren Jahren an. Zu dem Unternehmen gehören die Geflügelzuchtbetriebe Gudendorf-Ankum, die den Hof Schönecke mit Nachwuchs beliefern. Geschäftsführer Tobias Ferling verweist auf die widersprüchliche Aufgabenstellung, die auch hier eine legebetonte Linie hervor gebracht hat. „Bisher ist die Nachfrage jedoch überschaubar, da die Wirtschaftlichkeit weder beim Fleisch noch bei der Eiererzeugung gegeben ist“, sagt er. „Wir arbeiten dennoch weiterhin an optimierten Zweinutzungshühnern. Die genetisch negative Korrelation von Fleischansatz und Legeleistung lässt sich züchterisch jedoch nicht auflösen.“
Brütereien leiden unter deutschem Alleingang
Bislang ist die Tötung von Eintagsküken nur in Deutschland verboten. Das mache es den hiesigen Brütereien schwer, sagt Ferling: „Dieser deutsche Alleingang hat uns im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen klaren Standortnachteil beschert, insbesondere aus Kostensicht. Diese Mehrkosten müssen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und letztendlich auch vom Verbraucher getragen werden, wenn Brütereien und die Legehennenhaltung mit den im europäischen Vergleich höchsten Tierwohlstandards in Deutschland erhalten werden sollen. Ansonsten ist mittelfristig die Produktion in Deutschland gefährdet.“
Auch den Zoos bereitet das Tötungsverbot Probleme. Schließlich dienen die Eintagshähnchen vielerorts als Tierfutter. Der Tierpark Hagenbeck möchte sich zu dem emotionalen Thema nicht äußern, sondern verweist auf eine Stellungnahme des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ). Das generelle Töten von Küken ohne jede Ausnahme zu verbieten, widerspreche dem Tierschutzgesetz „mit Blick auf die Versorgung von Fleischfressern, die nicht mit Salat gefüttert werden können“, heißt es dort. Und es widerspreche dem Grundsatz der Gleichheit aller Tierarten. „Was macht ein Küken wertvoller als Nacktmäuse oder Kälber?“, fragt VdZ-Präsident Prof. Jörg Junhold provokativ.
Wildpark importiert Eintagsküken aus Holland
Auch Manuel Martens, Chef der Tierpflege im Wildpark Schwarze Berge, hält das Kükentötungsverbot für falsch. Die Eintagsküken sind eine Hauptnahrung im Wildpark, werden von Greifvögeln, Eulen, Füchsen, Waschbären, Ottern gefressen – 4000 Kilo pro Jahr. Die Küken wurden – und werden immer noch – tiefgefroren angeliefert, jetzt allerdings aus Holland. Die Umstellung auf Mäuse statt Küken wäre sehr teuer. Martens: „Für zehn Kilo Küken zahle ich zwölf Euro; sie gab es im Überangebot. Zehn Kilo Mäuse kosten 200 Euro; sie müssen extra gezüchtet werden.“
Der Tierpfleger hätte statt des Verbots lieber strengere Vorschriften zum tierschutzgerechten Tötungsprozess gehabt. Und zieht ein Vergleich zur Schweinemast: „Beim Schwein wird, wie bei den Legehennen-Küken, auch nicht alles zur menschlichen Ernährung verwertet. Trotzdem verbieten wir nicht gleich die Schweinehaltung.“
Anders als die Wildparktiere können Menschen auf Fleisch verzichten. Biobauer Bauck lobt die Flexitarier, die nur sonntags Fleisch essen. Bestenfalls ein Coq au Vin vom Bruderhahn.