Buxtehude. 1600 Kilometer zu Fuß: Jan Ilzig pilgert von München nach Flensburg mit Zwischenstopp in Buxtehude. Zufalls-Begegnung am Gartenzaun.

Eine zerbeulte Trinkflasche hängt an der Funktionsjacke, ein kleiner Kompass daneben, der Rucksack ist mit einem Cape vor Regen geschützt und in der Hand hält er einen großen Wanderstock: Wer Jan Ilzig in diesen Tagen zwischen Fischbek, Buxtehude und Cranz gesehen hat, mag denken, dass da jemand ziemlich ambitioniert für den Jakobsweg trainiert. Tatsächlich ist der 33-jährige Bayer auf langer Wanderschaft.

Wie die Wanderer auf dem 800 Kilometer langen und berühmten Pilgerweg in Nordspanien sucht auch er neben der rein körperlichen Herausforderung bei tagelangen Fußmärschen so etwas wie innere Einkehr. Aber Ilzig hat sich viel vorgenommen: Er wandert von München nach Flensburg, gut 1600 Kilometer zu Fuß, zu größten Teilen auf Wanderwegen.

40-minütiges Gespräch, natürlich bei einem Fußmarsch durch die Innenstadt

Warum und wie er das macht, erzählt er bei einem Zwischenstopp in Buxtehude. Eine Zufalls-Begegnung, ein 40-minütiges Gespräch, natürlich bei einem Fußmarsch durch die Innenstadt bis zur Este, wo er dann wieder allein weitermarschiert. Bis Cranz zur Fähre über die Elbe.

Tatsächlich ist Ilzig nicht ohne Erfahrung vor knapp zwei Monaten losmarschiert. Über die Alpen ist er schon einmal gewandert. Und, ja das auch, den Jakobsweg hat er schon geschafft. Diesmal sollte es aber mehr werden. Ilzig ist studierter Maschinenbau-Ingenieur und arbeitete zuletzt für ein Medizintechnik-Unternehmen. Eigentlich war er eingestellt worden, um Prozesse im Betrieb zu verbessern. „Gut bezahlt, ich hatte aber bald keinen Spaß mehr“, erzählt er. Entscheidungsstrukturen im Unternehmen erwiesen sich als zäh, Hierarchien waren streng. „Alles vorheriges Jahrhundert“, bemerkte der junge Ingenieur. „Ich stand fast vor einem Burnout.“

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Dann keimte die Idee von dieser Wanderung auf. So etwas wie eine verlängerter Jakobsweg schwebte ihm vor. Nur eben im eigenen Land mit Startpunkt zu Hause. Insgesamt gut zwei Monate kalkulierte er ein, ohne sich aber festlegen zu müssen. „Einen neuen Job suche ich später“, sagt er. Hin und wieder wie in Buxtehude übernachtet er bei Freunden, sonst in Pensionen. Schlafsack und Hängematte sind zwar dabei, „aber der Sommer war nicht so dafür“, sagt er.

Rund 4000 Euro wird diese Wanderauszeit ihn am Ende vielleicht kosten, soviel wie man für eine dreiwöchige Fernreise auch ausgeben kann, schätzt er. Am schwierigsten war aber der sprichwörtliche erste Schritt. Wirklich kündigen, wirklich sich auf das Unbestimmte einlassen: Das ist die Hürde am Anfang. Aber noch hat er keine Familie; wann, wenn nicht jetzt, dachte er – und wurde unterwegs vielfach darin bestätigt, weil er immer wieder von älteren Menschen angesprochen wurde, die es bedauerten, dass sie es in jüngeren Jahren nicht selbst gewagt hatten. „Das ist das Dilemma des Alters“, sagt Ilzig, „wenn man jung ist, hat man Zeit und Energie, aber kein Geld. Im mittleren Alter ist Geld und Energie vorhanden, aber keine Zeit. Und dann im Alter hat man Zeit und Geld – aber keine Energie mehr.“

Im Durchschnitt geht er 30 Kilometer am Tag - alles alleine

Ilzig nahm sich also alles drei und marschierte los. Meist auf Wander- oder einsamen Forstwegen geht er; im Schnitt 30 Kilometer am Tag. „Das Problem ist, dass es meist Rundwege sind und man den Anschluss zum nächsten verpassen kann“, sagt er. Bewusst wandert er allein. „Man sieht mehr, hört mehr.“ Wildschweine und viele Rehe begegneten ihm; Tiere, die ein Gespräch zwischen zwei Wanderern vielleicht verscheucht hätten. Aber einsam war er auch nicht. Immer wieder, wie eben jetzt in Buxtehude, sprechen ihn Menschen an. Man kommt ins Gespräch und auch ins Philosophieren. „Ich habe sehr viele, sehr nette Leute unterwegs getroffen“, berichtet der Wanderer.

Und dann die Landschaft: „Erstaunlich, wie sie sich in einem so kleinen Land verändert.“ Die schönsten Abschnitte? Das Allgäu fällt ihm da eine, die Rhön, der Rennsteig in Thüringen und natürlich gerade in den vergangenen Tagen der Heidschnuckenweg durch die Lüneburger Heide von Celle bis nach Fischbek. „Das war wirklich einer der schönsten Abschnitte“, sagt Ilzig.

Der Weg quer durchs eigene Land ist vielfältiger als Jakobsweg

Dann zum Schluss, bevor er wieder weiter geht noch eine letzte Frage an ihn: Wie ist der Vergleich mit dem magischen Jakobsweg? Ilzig überlegt kurz. Ja, schon dort sei eben vieles für Langzeit-Wanderer ausgelegt, es gibt entsprechende Stationen, Schilder und Übernachtungsmöglichkeiten, sagt er. Man kann alleine gehen und trifft abends doch wieder etliche Gleichgesinnte. Aber der Weg quer durchs eigene Land, der sei von der Landschaft einfach deutlich vielfältiger, so Ilzig. „Einfach schön und abwechslungsreich.“ Wenn er wieder in seinen Beruf zurückkehrt ist, will er daher viele dieser schönsten Abschnitte seiner großen Tour noch einmal gehen. In Etappen. Im normalen Urlaub. Im Allgäu, in der Rhön und natürlich auf dem Heidschnuckenweg.