Lüneburg. Die Initiative Radentscheid sammelt Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Ihr Ziel: mehr Platz für Zweiräder und mehr Sicherheit
Radwege, die im Nichts enden, schmale Buckelpisten zwischen Fußgängerweg und Parkstreifen, Kreuzungen mit unklarer Verkehrsführung und Autofahrer, die mit geringem Abstand überholen – Ärgernisse dieser Art machen es Fahrradfahrern in Lüneburg schwer, sich sicher und bequem durch die Stadt zu bewegen. Die Bürgerinitiative Radentscheid Lüneburg will das nun ändern. Ihr Ziel: Radfahrern soll künftig mehr Platz im Straßenverkehr eingeräumt werden.
„In Lüneburg sind viele Radwege zu schmal und entsprechen nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbreite“, sagt Alexandra Augustin, eine der Sprecherinnen der Initiative. „Gleichzeitig aber nimmt die Zahl der breiten Lastenräder und der schnellen E-Bikes zu – der ohnehin schon zu enge Raum wird so noch unsicherer.“ Das führe dazu, das die Angst vor Unfällen viele Menschen vom Umstieg aufs Fahrrad abhalte.
Initiative hat eine Liste von Forderungen aufgestellt
Die Initiative hat eine Liste von Forderungen aufgestellt, über deren Umsetzung – läuft alles nach Plan – die Lüneburger in einem Bürgerentscheid abstimmen sollen. Sie setzen sich für mehr Sicherheit und Komfort, Klimaschutz und eine nachhaltige Verkehrswende in der Hansestadt ein. Um eine Abstimmung zu erreichen, müssen die Fahrradaktivisten in den kommenden sechs Monaten knapp 6000 Unterschriften von Einwohnern der Stadt sammeln. Dies entspricht zehn Prozent der Wahlberechtigten. Ist das Bürgerbegehren erfolgreich, kommt es zum Bürgerentscheid – oder die Initiative einigt sich mit der Stadt auf einen Kompromiss bei der Umsetzung ihrer Forderungen.
„Wir fordern eine massive Verbesserung der Radinfrastruktur, um das Radfahren sicherer zu machen“, sagt Ronald Orth. Der Psychologe hat den Radentscheid Lüneburg 2020 gegründet und tritt ebenfalls als Sprecher der Gruppe auf. Zum harten Kern der Initiative zählen rund 20 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters. Sie alle wollen in Zukunft entspannter und sicherer mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs sein. „Wir brauchen in Lüneburg zum Beispiel viel breitere Radwege und eine klare Trennung von Rad- und Autofahrstreifen. Die gestrichelten Linien reichen da nicht“, sagt Ronald Orth. Gerade im Bereich dieser Schutzstreifen fühlten sich viele Radfahrer unsicher, da Autofahrer die Linien überfahren dürfen und häufig den vorgeschriebenen Abstand von 1,50 Meter nicht einhielten.
Als Vorbild dienen Städte wie Kopenhagen und Paris
Um zu demonstrieren, wie ein sicherer Radweg aussehen könnte, hat der 55-Jährige mit seinen Mitstreitern Anfang Juni – mit Genehmigung von Stadt und Polizei – einen Pop-up-Radweg errichtet. Für rund eineinhalb Stunden konnten Radfahrer auf dem dafür gesperrten rechten Fahrstreifen der Lindenstraße im Roten Feld ausprobieren, wie sich so viel Platz beim Radeln anfühlt. Als Vorbild dienten der Initiative Städte wie Groningen und Houten in den Niederlanden, Bocholt im Münsterland sowie Paris und Kopenhagen. „Wir gucken, wo es den Mut gibt, neue Wege zu gehen“, erklärt Ronald Orth.
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Auch Lüneburg sei schon auf einem sehr guten Weg gewesen, die Mobilitätswende vorbildlich zu gestalten. In den 90er Jahren wurde ein großer Bereich der Innenstadt für Autos gesperrt, die Fußgängerzone trägt heute maßgeblich zur Attraktivität der Hansestadt bei. „Damals sind viele gute Sachen geschehen. Aber seitdem hat die Stadt viel zu lange geschlafen und hinkt heute hinterher“, sagt Ronald Orth.
Beim Klimatest des ADFC, der die Radfahrqualität in deutschen Städten bewertet, erhielt Lüneburg nur die Note 4 und landete damit im Mittelfeld. Deshalb müsse möglichst schnell etwas geschehen. In den vergangenen Jahren hat sich die Stadt bereits auf den Weg gemacht, die Radinfrastruktur zu verbessern. Das Angebot an Leihrädern wurde erweitert und neue Abstellplätze, auch für Lastenräder, errichtet. Radwege wurden ausgebessert und teilweise neu gebaut. Auch ein erster Abschnitt des beschlossenen Fahrradstraßenrings, der künftig einmal um die Innenstadt führen soll, ist bereits als Fahrradstraße umgestaltet worden.
Bürgerinitiative fordert ein Gesamtkonzept für Lüneburg
Doch die engagierten Fahrradfahrer setzen auf den großen Wurf. „Einzelmaßnahmen nützen nichts“, sagt Ronald Orth. „Es muss ein Gesamtkonzept umgesetzt werden, mit einem durchgängigen Routennetz. Fahrradfahrer brauchen in der Stadt ein Gefühl von Durchgängigkeit.“ Denkbar sei, auf dem Stadtring ein Einbahnstraßensystem einzurichten. Dann könnte einer der bisherigen Autofahrstreifen – wie bei der Pop-up-Aktion – für Fahrradfahrer reserviert sein.
Bei ihrem Einsatz für eine fahrradfreundliche Stadt musste die Initiative auch Rückschläge einstecken. Den ersten Antrag für ein Bürgerbegehren zog sie im März zurück. Ein von der Stadt beauftragter Gutachter war überraschend zum Ergebnis gekommen, dass die von der Initiative formulierten Ziele nicht zulässig seien. Vor einigen Tagen reichte Ronald Orth den überarbeiteten Antrag bei der Stadt ein. Er ist überzeugt, mit dem Radentscheid den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, um eine nachhaltige Verkehrswende zu bewirken. In mehreren Städten haben vergleichbare Initiativen bereits Erfolge erzielt. „Diese Ansatz zeigt doch, dass die Basis eine Rechtsverbindlichkeit schaffen kann.“
Gibt der Verwaltungsausschuss am Donnerstag grünes Licht, können die Fahrradaktivisten beginnen, die Unterschriften für das Bürgerbegehren zu sammeln. Sie werden in der Stadt unterwegs sein, vor Supermärkten und bei Veranstaltungen. Auch in Geschäften sollen die Listen ausliegen. Weitere Infos zum Radentscheid, der unter dem Dach des bundesweit aktiven Vereins Changing Cities organisiert ist, gibt es auf www.radentscheid-lueneburg.de.