Harburg. Einzigartige Anlage im Harburger Binnenhafen soll Informationen liefern zu Potenzial für Proteinproduktion auf dem Meer.
Landwirtschaft im Harburger Binnenhafen? Nur mit viel Kreativität lässt sich ausmalen, wie das funktionieren könnte. Diese Kreativität hatte ein Team junger Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Es entwarf einen Reaktor, der proteinreiche Algen produziert – nicht an Land.
Sondern auf einer Wasserfläche im Ziegelwiesenkanal, direkt hinter dem neuen Gebäude des Hamburg Innovation Port (HIP) an der Blohmstraße. Das Projekt ist eines von drei Hamburger Einzelanträgen, die von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert werden und sich bundesweit unter 264 Bewerbern durchgesetzt haben.
Katharina Fegebank: Innovationen in der Lehre auf digitalem Weg
„In diesem Projekt koppeln wir Innovationen in der Lehre auf digitalem Weg mit der Forschung vor Ort“, sagte Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) am Kairand des Ziegelwiesenkanals. „Gerade die vergangenen Monate haben uns gezeigt, dass wir Digitalisierung engagiert gestalten müssen, im Sinne der Studierenden.“ Dabei gelte es, die Möglichkeit des Internets zu nutzen, sehr viele Interessierte aus unterschiedlichen Fachgebieten und Orten zusammenzubringen, um gemeinsam Lösungen für dringende Zukunftsprobleme zu entwickeln. „Je mehr Perspektiven eingebracht werden, desto kreativer kann die Antwort sein.“
Das soll nun auch im Projekt des Algenreaktors geschehen. Das sechs mal sechs Meter große schwimmende Konstrukt soll die Basis bilden für eine viel größere Entwicklung: der technischen Algenproduktion auf dem Meer. „Der größte Teil der Erdoberfläche ist mit Wasser bedeckt. Deshalb wird die Landwirtschaft der Zukunft auch die Meeresflächen nutzen müssen“, sagt Leonard Francke, der zusammen mit seinen Kollegen Sarah Löhn und Dr. Nils Wieczorek den Algenreaktor entworfen hat. Das Team möchte ihn in den kommenden drei Jahren so weit entwickeln, dass die Technik in einem größeren Maßstab eingesetzt werden kann. Francke sieht auch technische Vorteile in der Produktion auf der Wasseroberfläche: „Algenreaktoren an Land müssen temperiert werden, das kostet Energie. Bei unserer Anlage sorgt das umgebende Wasser dafür, dass keine allzu großen Temperaturschwankungen auftreten.“
Ideal sei eine Temperatur von 30 Grad, so Francke. Neben Sonnenlicht benötigen die Algen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphat, die bestenfalls aus aufbereitetem Abwasser gewonnen werden können. Weiterhin wird Kohlendioxid (CO2) zum Wachsen gebraucht, das generell aus eingeleiteten Abgasen stammen könne. Die Alge ist ein Harburger Gewächs, zur Vermehrung ausgewählt wegen ihrer besonderen Eigenschaften. „Sie hat einen Proteinanteil von 50 Prozent und übertrifft damit sogar Soja. Deshalb könnte sie für die Nahrungs- und die Futtermittelindustrie interessant sein.“ Die Ernte ist denkbar einfach: Die Algen werden ohnehin durch die sechs Zentimeter dicken, transparenten Röhren gepumpt. Man muss die Algensuppe nur umleiten und die Biomasse abfiltern.
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Leonard Francke entnimmt ein Probenfläschchen Algenmasse aus der Anlage. Die Flüssigkeit ist intensiv grün. Das Projektteam vom Bereich Abfallressourcenwirtschaft des TU-Instituts für Umwelttechnik will Alge und Reaktor in den kommenden Jahren diversen Stresstests aussetzen, etwa das Röhrensystem in verschiedene Wassertiefen absenken. „Wir werden die Röhren auch mal aus dem Wasser hochfahren, um zu sehen, wie die Algen auf Hitzestress reagieren“, sagt Francke. Im Winter müsse die Algenproduktion wegen Lichtmangels allerdings ruhen. Aber das sei in der Landwirtschaft auch nicht anders. Er hoffe, dass aus der Binnenhafen-Alge eines Tages ein marktreifes Produkt werde.
Algenzucht und Wissenstransfer ist wegweisend bei diesem Projekt
Nicht nur die Algenzucht, auch die Verbreitung des im Projekt entstehenden Wissens ist wegweisend. So befand es die Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Der Algenreaktor ist das Herzstück des mit zwei Millionen Euro prämierten Verbundvorhabens „Open T-Shape for Sustainable Development“, das die TUHH zusammen mit der HafenCity Universität (HCU) und der HOOU (Hamburg Open Online University) betreibt.
Das Verbundprojekt gibt Studierenden aller Fachbereiche in Hamburger Hochschulen die Möglichkeit, sich über Themen wie Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit weiterzubilden und das erworbene Wissen ins eigene Studium einzubringen. „Die TUHH und die HCU werden verschiedene Module anbieten“, sagte Sönke Knutzen, Professor am Institut für technische Bildung und Hochschuldidaktik der TUHH und Initiator des Verbundprojekts. Jedes wird zwei Leistungspunkte wert sein und zu den 180 Leistungspunkten eines Bachelor-Studiums beitragen. Wir wollen versuchen, möglichst viele Module auch aus anderen Hochschulen zu bekommen.“
Die Lernangebote werden auch der interessierten Öffentlichkeit auf der Bildungsplattform hoou.de zur Verfügung stehen. Es geht aber auch analog, denn der Kai hinter dem HIP-Gebäude ist öffentlich zugänglich. „Hier kommen Bauarbeiter in der Mittagspause, Jogger und Spaziergänger vorbei“, sagt Leonard Francke. „Wenn einer von uns gerade am Algenreaktor ist, erklären wir gern unser Projekt.“