Hamburg/Lübeck/Sylt. Seit Mittwoch können Fahrgäste das Sonderticket nutzen. Lage an den Bahnhöfen in Hamburg, Lübeck und auf Sylt bleibt übersichtlich.

Gestern hieß es: „Bahn frei für das 9-Euro-Ticket!“ Zum Start blieb ein möglicher Ansturm auf den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr allerdings aus. Am frühen Mittwochmorgen war in Hamburg kein Unterschied festgestellt worden, wie die Sprecherin der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein, Christina Sluga, sagte.

Digital bekamen Nutzerinnen und Nutzen das Ausmaß des Aktionsbeginns aber durchaus zu spüren. Der Kartenverkauf auf hvv.de war wegen des Andrangs zeitweise überlastet. „Womöglich haben sich viele Menschen heute Morgen auch wegen des Regens spontan dazu entschieden, nicht das Fahrrad, sondern die Bahn zu nehmen, und wollten dann ein Ticket kaufen“, mutmaßte Rainer Vohl, Sprecher des Hamburger Verkehrsbunds (HVV).

S-Bahnen und Züge stehen am frühen Morgen im Hauptbahnhof bereit.
S-Bahnen und Züge stehen am frühen Morgen im Hauptbahnhof bereit. © dpa | Christian Charisius

Am Mittwochmorgen ist auch die Lage am Hamburger Hauptbahnhof übersichtlich. Trotz des regnerischen Wetters lassen sich einige Passagiere nicht davon abhalten, eine Fahrradtour zu unternehmen. So auch Andre Kruschewski aus Nieder­sachsen, der mit drei Freunden um 9.30 Uhr in den Regionalzug nach Lübeck steigt. Weil sie mit dem Intercity-Express nach Hamburg gereist sind, profitieren sie zwar nur bedingt vom 9-Euro-Ticket, das Angebot befürworten sie aber trotzdem. „Wegen Corona war ich größtenteils im Homeoffice und bin nur ein-, zweimal pro Woche mit der Bahn gefahren. Deshalb hatte ich mein Abo gekündigt. Mit dem 9-Euro-Ticket werde ich auf jeden Fall öfter fahren. Es ist gut, wenn viele Menschen auf Bus und Bahn umsteigen. Das sollte definitiv so bleiben“, meint Kruschewski.

9-Euro-Ticket: Teil-Rückerstattung für Semestertickets

Am Lübecker Hauptbahnhof, dem Ziel der vier Freunde, hält sich der Andrang am Vormittag ebenfalls in Grenzen. Eine schwer bepackte Studentin macht sich auf den Weg nach Hamburg. Sie möchte in Nürnberg das Rock-im-Park-Festival besuchen. Das 9-Euro-Ticket spiele für sie keine große Rolle, da sie Teile der Strecke mit dem ICE fahre. „Ansonsten nutze ich mein Semesterticket“, fügt sie an. Von den Kosten für das 177,60 Euro teure Ticket werden ihr durch die Aktion immerhin Teile rückerstattet.

„Einige Rentner mit Fahrrädern und auch Schulklassen sind hier angekommen. Insgesamt ist die Lage aber absolut übersichtlich“, erklärt eine Mitarbeiterin des Lübecker Bahnhofsmanagements. Voll werden könnte es stattdessen am Wochenende. Dann soll es im Norden auch sommerliches Wetter geben. „Hier wird bestimmt Chaos herrschen. Wir werden zusätzliches Personal an den Bahnsteigen aufbieten und Passagieren mit Koffern und Fahrrädern helfen.“

Auch Andrang auf Sylt blieb aus

Lübeck ruhig, aber was ist mit Sylt? Ob es einen Ansturm auf die beliebte Nordseeinsel geben werde, war schon im Vorfeld eine der spannendsten Fragen. Der erste Geltungstag des 9-Euro-Tickets beginnt für den RE 6 nach Westerland am Mittwoch ohne großen Andrang: Im Zug, der um 9.36 Uhr in Hamburg gestartet ist, sitzen ab Altona in den Abteilen nur vereinzelt Menschen. Die meisten von ihnen sind mit dem 9-Euro-Ticket unterwegs, dazu gehört auch eine Gruppe der Stadtteilschule Poppenbüttel. Die 15 Schüler und drei Begleitpersonen des 10. Jahrgangs sind auf dem Weg nach St. Peter-Ording – für eine dreitägige Reise, die vor dem 1. Juni so wohl nicht möglich gewesen wäre, wie Lehrer Thorsten Dammann erklärt: „Für Menschen, die nicht so viel Geld haben, ist das 9-Euro-Ticket ein Segen.“

Radtourist Wolfgang Duft – auf dem Weg nach Sylt – freut sich übers Ticket.
Radtourist Wolfgang Duft – auf dem Weg nach Sylt – freut sich übers Ticket. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Ähnlich sieht es auch Katrin Schleth. Die Büroangestellte meint, dass sie ohne das 9-Euro-Ticket wohl gar keinen Urlaub gemacht hätte, dazu wäre sonst einfach kein Geld da gewesen. Sie verweilt mit ihrem drei Jahre alten Sohn für vier Tage in Westerland. Schleth hat sich vor zwei Wochen kurzfristig zu der Reise entschieden, weil die Insel von Altona aus mit dem Kind gut zu erreichen ist.

Sonderticket überzeugt: Bahn statt Auto

Für die Fahrt von Architekt Bernardo Schlösser macht das 9-Euro-Ticket am Mittwoch hingegen keinen Unterschied: Er pendelt alle zwei Monate beruflich nach Sylt, die Fahrt wird von seiner Firma bezahlt. Das Angebot findet er trotzdem „sehr gut und solidarisch, es ist eine tolle Idee“, sagt Schlösser. Er wurde durch die hvv-App auf die Neuerung aufmerksam, als er eigentlich nur ein Busticket kaufen wollte. Ein junges Paar, das mit seiner drei Monate alten Tochter von Altona über Niebüll nach Föhr fährt, hat die Aktion zum Umstieg bewegt: Der Pilot und die Ärztin wollten ursprünglich mit dem Auto in den Urlaub fahren.

Über das 9-Euro-Ticket freuen sich auch Wolfgang Duft und seine Frau. Sie sind mit dem Nachtzug aus Salzburg gekommen und fahren in Etappen über Hamburg und Sylt bis nach Oslo. Eigentlich sind sie mit dem Rad auf der Nordseeküsten-Route Eurovelo 12 unterwegs. „Durch das 9-Euro-Ticket wird die Reise erleichtert, weil man dann schlechtes Wetter mit dem Zug und ohne Reservierung überbrücken kann“, sagt Duft.

9-Euro-Ticket: Anstoß für Versorgungssicherheit

Er hofft, dass durch das Angebot mehr Diskussionen um die Versorgungssicherheit durch den Nahverkehr angestoßen werden. Der Urlauber findet die Kombination aus Rad und Zug wichtig, um Menschen zu einem anderen Freizeitverhalten zu bewegen. Duft wünscht sich dafür aber auch mehr Vernetzung zwischen Zugunternehmen: „Ein Flugticket für eine durchgehende Strecke findet man online in einer Minute. Bei Zügen ist diese länderübergreifende Vernetzung noch nicht da.“

Zwischen Husum und Westerland steigen noch weitere Personen hinzu. Etwa zu drei Vierteln ist der RE 6 besetzt, als er um 12.51 Uhr bei strahlendem Sonnenschein am Endhalt Westerland auf Sylt einfährt. Einen erhöhten Zulauf an Gästen haben die Angestellten im Buch- und Zeitungsshop, der Touristeninformation und dem Corona-Testzentrum am Bahnhof jedoch nicht beobachtet.

9-Euro-Ticket in Hamburg: Alle Fragen und Antworten

  • Wo kann ich das 9-Euro-Ticket kaufen? Die Tickets sind über die Apps, Fahrkartenschalter, Kundenzentren und andere Verkaufsstellen der Deutschen Bahn erhältlich. In Hamburg ist die Fahrkarte über die HVV-App, den HVV-Onlineshop, die Servicestellen, die HVV-Switch-App, an den Fahrkartenautomaten und in allen Bussen zu bekommen. Außerdem gibt es vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) auch eine eigene „9-Euro-Ticket“-App, die auf den gängigen Plattformen runtergeladen werden kann.
  • Für welchen Zeitraum gilt das Ticket? Die Tickets gelten jeweils für Juni, Juli und August – und zwar für den Kalendermonat. Nicht möglich sind Tickets für gleitende 4-Wochen-Zeiträume, also zum Beispiel von Mitte Juli bis Mitte August.
  • Wie weit kommen Hamburger mit dem 9-Euro-Ticket in Deutschland? In unserer interaktiven Karte finden Sie Ziele, die ab Hamburg mit Regionalzügen zu erreichen sind – direkt oder mit höchstens dreimal Umsteigen.
  • Welche Verkehrsmittel kann man mit dem Ticket nutzen? Prinzipiell gilt das 9-Euro-Ticket bundesweit in allen Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und Zügen des Nah- und Regionalverkehrs – egal ob von der Deutschen Bahn oder anderen Anbietern. Nicht genutzt werden kann der Fernverkehr der Deutschen Bahn mit ICE, Intercity und Eurocity. Auch auf einigen Intercity-Abschnitten, auf denen Fahrgäste mit anderen Nahverkehrsfahrkarten sonst zusteigen dürfen, gilt das Ticket nicht. Diese Fernverkehrszüge werden in der Reiseauskunft neben der IC- mit einer Regionalzug-Kennzeichnung ausgewiesen. Dabei stehe der Hinweis „9-EUR-Ticket nicht gültig“. Nach Angaben der Deutschen Bahn laufen zu dem Thema regional noch Gespräche.
  • Kann man das 9-Euro-Ticket mit ICE-Tickets kombinieren? Ja. Wie die Deutsche Bahn mitteilte, kann man damit im Regionalverkehr zu dem Bahnhof fahren, an dem man in einen Fernzug umsteigt. Für die Fahrt im Fernverkehr ist dann aber immer ein separates Ticket notwendig.
  • Was ist mit Fahrrädern? Wer Fahrräder mitnehmen will, muss für diese trotz 9-Euro-Tickets meist ein paar Euro extra zahlen, zudem kann es passieren, dass die Züge so ge- oder gar überfüllt sind, dass ein Rad schlicht nicht mehr mitgenommen wird.
  • Wird trotz der günstigen Tickets weiter kontrolliert? Ja, die Verkehrsunternehmen kontrollieren eigenen Angaben zufolge wie gewohnt weiter. Wer ohne Ticket angetroffen wird, zahlt nach wie vor ein sogenanntes erhöhtes Beförderungsgeld von meist 60 Euro.
  • Warum ist das Ticket nicht gleich kostenlos? Diesen Vorschlag hat es aus den Ländern tatsächlich gegeben. Einfach auf Tickets (und die Kontrolle) zu verzichten, hätte den Aufwand deutlich gesenkt, so die Argumentation. Ein Grund dafür, dass nun doch etwas Geld verlangt wird: Die Nutzung lässt sich auf diese Weise besser analysieren. Wer nutzt auf welchen Strecken Busse und Bahnen, wenn es deutlich günstiger ist – das ist für die Verkehrsbetriebe eine spannende Frage.
  • Werden zusätzliche Züge eingesetzt? Viele Verkehrsunternehmen haben für die drei Monate Verstärkerzüge angekündigt. Die Deutsche Bahn etwa will 50 zusätzliche Züge einsetzen und das Personal verstärken. Mit den Fahrzeugen könnten 250 zusätzliche Fahrten angeboten werden, hieß es. Sie sollen vor allem entlang der Touristenstrecken in Richtung Nord- und Ostsee sowie im Süden eingesetzt werden. Doch angesichts von durchschnittlich rund 22.000 Regionalbahnfahrten jeden Tag sind Fachleute skeptisch, ob das reicht.
  • Welche Ausflüge gibt es in Hamburg und Umgebung? Das finden Sie im neuen Magazin „Ausflüge“ vom Hamburger Abendblatt. Es ist erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle am Großen Burstah 18–32 gleich hinter dem Rathaus, auf abendblatt.de/shop und im Buch- und Zeitschriftenhandel.
  • Fahrpläne ab Hamburg unter www.bahn.de, www.der-metronom.de, www.nordbahn.de, www.hvv.de, www.nah.sh, regional.bahn.de/regionen/meckpomm/fahrplan
  • S-Bahn Hamburg startet Aufruf – so ist die Lage auf Sylt
  • Die meisten Beschäftigen im Bahnhofsumfeld gehen davon aus, dass man die möglichen Effekte des 9-Euro-Tickets erst überPfingsten und in den Sommerferien 2022 bemerken wird. „Das 9-Euro-Ticket wird auf Sylt teilweise zwiespältig gesehen“, sagt ein Mitarbeiter. „Volle Züge wären für die 80 Prozent an Festländern, die auf der Insel arbeiten, eine Herausforderung. Wenn wir beispielsweise morgens nicht mehr mitkommen.“ Ralf Knüttel, Angestellter am Imbiss des Restaurants Sylt Entrée am Bahnhof, würde sich über mehr Zulauf und entsprechenden Umsatz freuen: „Wir hoffen auf mehr, aber wir müssen schauen, was kommt.“

    Was Sie mit dem 9-Euro-Ticket in Hamburg und Umgebung alles machen können finden Sie im Magazin „Ausflüge“ vom Hamburger Abendblatt. Jetzt in der Abendblatt-Geschäftsstelle am Großen Burstah, auf abendblatt.de/shop oder im Buch- und Zeitschriftenhandel.