Hamburg. Seit Januar 2002 arbeitet Hans-Peter Pillen beim Sylt Shuttle. Die Kunden seien im Lauf der Jahre ungeduldiger geworden, sagt er.
Lassen wir die Autos hier?“, fragt ein Junge mit blauer Jacke und weißem Mund-Nasen-Schutz seinen Vater. „Ne, die kommen mit!“, sagt der, während sie an der Fahrbahn in Niebüll entlanglaufen und noch ein paar Snacks für die Überfahrt holen. Wer mit dem Wagen nach Sylt fahren möchte, muss über den Hindenburgdamm – mit dem Autozug. Seit 1927 verbindet der 11,3 Kilometer lange Damm Sylt mit dem Festland.
120.000 Tonnen Steine wurden damals innerhalb von vier Jahren herangekarrt, um den Damm auf 50 Meter Breite und elf Meter Höhe zu bauen. Seit 1932 werden hier mit der Eisenbahn auch Autos auf die Insel gebracht. Die typisch runde Uhr mit den dicken schwarzen Strichen und dem roten Sekundenzeiger, die zwischen den Fahrspuren steht, verrät schon, dass der Sylt Shuttle zur Deutschen Bahn gehört.
Sylt Shuttle: Überfahrt vom Festland auf die Insel dauert 45 Minuten
Am Terminal riecht es nach Salz und Meer. Zumindest an einem Dienstagmorgen ist es ruhig hier, neben dem Rauschen des Windes hört man nur einzelne Wortfetzen aus dem Autoradio des Nachbarn. Möwen fliegen über die wartenden Autos: den BMW aus Baden-Württemberg, den Porsche aus Sachsen und den Opel aus Sachsen-Anhalt.
An besonders gut besuchten Tagen fahren nach Angaben der Deutschen Bahn bis zu 4000 Autos zwischen Insel und Festland mit dem Sylt Shuttle, Hin- und Rückfahrt zusammengenommen. Eine Überfahrt inklusive Be- und Entladung dauert übrigens ungefähr 45 Minuten, denn insgesamt ist die Strecke zwischen Niebüll und Westerland fast 40 Kilometer lang.
"Ich bin der böse Mann, der die Fahrzeuge aufteilt"
All die Autos und Motorräder sicher von A nach B zu bringen, von Niebüll nach Westerland und zurück, dafür sind Hans-Peter Pillen und seine Kolleginnen und Kollegen zuständig: die „Welcomer“, Einweiser und Kartenverkäufer am Terminal. Nur die Lokführerinnen und Lokführer begleiten den Zug hin und zurück über den Hindenburgdamm. Pillen aber arbeitet stationär mit seinem Team in Westerland am Industrieweg 18a.
„Ich bin der böse Mann, der die Fahrzeuge auf dem Terminal aufteilt auf die Flächen oben und unten. Und dem Golf-Fahrer sagen muss: Ich habe leider keinen Platz auf dem Oberdeck“, sagt der 60-Jährige und lacht. „Infrastrukturkoordinator“ nennt sich sein Job offiziell.
In der Hauptsaison beginnt der Dienst am Sylt Shuttle um 4.30 Uhr
Morgens ist Pillen in der Hauptsaison der Erste, der um 4.30 Uhr den Dienst beginnt: „Dann stehen unsere Gäste schon vor den Schranken.“ Vieles läuft inzwischen automatisch am Terminal des „Sylt Shuttles“. Fährt der Kunde am Kurt-Bachmann-Ring 2 in Niebüll vor, wartet er vor der Schranke – aber nur ein paar Sekunden. Das bei der Buchung hinterlegte Nummernschild wird erkannt, „Gute Fahrt“, sagt eine automatisierte Frauenstimme. Eingeben muss man nichts mehr, wenn man eine Reservierung hat. Rund 75 Prozent der Buchungen in der Saison werden online abgeschlossen, davon etwa 50 Prozent mit Reservierung.
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Auf die menschliche Komponente kann man am Terminal aber nicht verzichten: Beim Warten auf den Zug sieht man Pillens Kollegen – die Männer und Frauen in den orangefarbenen Westen – nur von Weitem, beim Auffahren auf den Zugkommen sie einem dann entgegen. Und winken die Kunden direkt hinter den jeweiligen Vordermann heran, sortieren nach Reservierung und Reihenfolge und kontrollieren die Abstände.
Sylt Shuttle: Das sind die Obergrenzen für Fahrzeughöhe und -gewicht
„Wir sortieren die Fahrzeuge nach Höhe und Gewicht. Die Obergrenzen sind jeweils drei Tonnen Gewicht und 2,70 Meter Höhe auf dem Ober- beziehungsweise 1,65 Meter Höhe auf dem Unterdeck. Das müssen wir ganz schnell einschätzen beim Zuweisen“, sagt Pillen. Alle Fahrzeuge, die mehr als drei Tonnen wiegen, müssen auf dem Lkw-Teil des Zuges mitfahren. So werden die Autos auf den Zug geladen, rüber zur Insel oder wieder aufs Festland gebracht. Lachend fügt Pillen seiner Erklärung hinzu: „Und meist sind wir auch pünktlich.“
Während einer Schicht betreut er 18 Fahrten, bis etwa 13 Uhr ist er im Einsatz. Der Sylt Shuttle hat eine längere Schicht: Er fährt etwa täglich von 5 Uhr morgens bis 21 Uhr abends. Im Sommer verkehrt er im Stundentakt mit einigen Zusatzzügen. Jetzt im Winter hingegen mit einigen Zügen weniger.
Von der Überraschung, einen Rückwärtsgang zu finden
Wenn die Kunden in Westerland ankommen, muss Pillen sich mit ganz unterschiedlichen Themen beschäftigen: mit der toten Autobatterie, die im Wartebereich schlapp gemacht hat. Aber auch mit der alten Dame, die fest überzeugt ist, dass ihr Ford Ka keinen Rückwärtsgang hat und deshalb nicht ordnungsgemäß in den vorletzten Slot auf dem Wagen fahren kann. „Zusammen haben wir dann den Rückwärtsgang gefunden, und sie war total überrascht, dass ihr kleines Auto tatsächlich rückwärtsfahren konnte. Das war schon richtig lustig“, beschreibt Pillen die Begegnung. „Das macht auch meinen Job aus: sich auf ganz viele Leute und Charaktere, kreuz und quer aus der Republik und aus dem Ausland, einzulassen. Das ist spannend und immer wieder toll.“
Für den Oldtimerfan hat sein Beruf aber noch andere Vorteile: „Ich sehe hier Fahrzeuge, die würde ich in meinem Lebtag nirgendwo anders sehen.“ Zum Beispiel einen Ford GT, das Modell, das auch Schauspieler Steve McQueen gefahren habe.
Pillen seit 1976 bei der Deutschen Bahn
Davon gebe es nur noch ganz wenige, erzählt Pillen begeistert: „Der war so laut, da sind mir fast die Ohren abgefallen.“ Ein Gast habe ihm erzählt, dass er in seinem ganz kleinen Auto, einem NSU Spider, aus der Nähe von Ingolstadt bis hoch nach Sylt gefahren sei. Drei Tage habe er gebraucht, auf der Landstraße – und er fand die Tour toll. Die Frau des Fahrers habe das anders gesehen: „Ich fahr heute mit dem Zug nach Hause, da kannst du machen, was du willst“, habe sie gesagt – wenn Pillen das erzählt, muss er freudig lachen. Wie so oft, wenn er über seine Gäste spricht.
Seit Januar 2002 ist er beim Sylt Shuttle. Und seit 1976 bei der Bahn. In den vergangenen Jahren hat er große Veränderungen miterlebt. Nicht nur, weil sich der Sylt Shuttle seit Herbst 2016 die Terminals mit einem weiteren Unternehmen, dem blauen „Autozug Sylt“, teilt. Der wird von einem Tochterunternehmen der US-Eisenbahngesellschaft RDC betrieben. Die Globalisierung macht auch vor dem Hindenburgdamm nicht halt. Neu sind zudem die Spuren für Wagen mit Reservierung und die Webcams, mit denen man online fast minuntengenau sehen kann, wie viele Fahrzeuge auf die Überfahrt warten.
Heute sind die Kunden deutlich ungeduldiger als früher
Auffälliger sei aber die Änderung im Verhalten der Gäste: „Der Sylt Shuttle ist auch ein Spiegel unserer Gesellschaft“, sagt Pillen. „Früher war alles geballt am Sonnabend. Das ganze Kommen und Gehen. Und trotzdem waren die Leute entspannter, sie hatten mehr Zeit. Heute ist das anders. Wenn der Zug nicht fährt – aus welchen Gründen auch immer – oder die Autofahrer eine Stunde im Stau stehen, ist das für sie nicht akzeptabel.“
Auch am Gate werde leider immer weniger geschnackt. Hans-Peter Pillen sitzt oft selbst die Zeit im Nacken. Aber wenn schon die Kunden so auf die Zeit getrimmt sind, versucht zumindest er, den Stress auszublenden. „Das ist genauso ein Nadelöhr wie der Elbtunnel. Wenn es sich da staut, die Technik mal nicht mitmacht, dann ist das so“, sagt Pillen. „Das muss man einfach gelassen nehmen, das gehört auch zu dieser einzigartigen Insel Sylt“, sagt er. Und er versucht, die Kunden daran zu erinnern, die Aussicht bei der Überfahrt wieder zu genießen, die „geile Weite, das Wattenmeer“.
Deutsche Bahn: Einweiser lebt seit 1986 auf Sylt
Hans-Peter Pillen lebt selbst seit 1986 auf Sylt. Ursprünglich kommt er von Nordstrand bei Husum, dort hat er auch seine Ausbildung gemacht. „Wenn man so mit der Region verwachsen ist, dann geht man nicht so gern ganz woanders hin“, sagt Pillen. Sein Sylt ist das Sylt im Herbst und Frühjahr: Die Leere, die freien Ecken, die man für sich alleine entdecken kann. „Wenn man am Strand ist und so ein richtig schöner, kräftiger Wind aus westlicher Richtung über den Strand pfeift, man eigentlich gar kein Peeling mehr braucht, weil der Sand das erledigt – das ist total cool. Da kann man seine Seele baumeln lassen“, findet der Eisenbahner.
Für ihn endet das „Seele baumeln lassen“ dann mit dem Nordstränder Getränk Pharisäer und einer Friesentorte. Er findet: „Mehr geht nicht.“