Sylt. Das Watt ist die große Leidenschaft von Professor Karsten Reise. Seit den 1970er-Jahren untersucht er diesen einzigartigen Lebensraum.
Das Watt sei ein Trick der Natur, der den Menschen erlaubt, das Meer zu Fuß zu besuchen, sagt Karsten Reise. Und es ist die große Leidenschaft des Professors für Küstenforschung aus Sylt. Wenn Reise übers Watt berichtet, hat das etwas Poetisches: „Watt lebt vom tiefen Ein- und Ausatmen des Meeres. Es verbindet Land und Meer“, heißt es dazu in seinem neuen Buch.
In „Das Watt. Erlebt, erforscht und erzählt“ berichtet Karsten Reise von seinem Leben am Watt, als Forscher und als Insulaner. Mit ihm gemeinsam geht es hinaus auf eine Reise in den Schlick, der so faszinierend sein kann. „Mit Ebbe und Flut wechselt das Watt immerfort sein Gesicht und seine Bewohner. Es bleibt sich nie gleich, ist immer wieder ein anderes“, sagt Reise.
Faszination Watt
Darin liege die Faszination dieses besonderen Lebensraums. „Das Watt ist weder Meer noch Land. Es bietet einen Raum zum Leben dazwischen und ist nach allen Seiten offen“, so Reise. Seine Leidenschaft fürs Watt begann als Zehnjähriger, als er erstmals in der Nordsee schwamm. Damals in der flachen Bucht Königshafen in List. Seitdem er acht Jahre alt ist, hat er fast jeden Sommer auf der Insel verbracht, und seit 1974 hat der Flensburger seinen Lebensmittelpunkt in List. Dort wohnt der 75-Jährige heute noch.
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Wer dachte, durchs Watt zu marschieren sei langweilig, der irrt. Der muss das Watt nur einmal mit den Augen von Karsten Reise sehen. Dann hat der Schlick sogar etwas Zauberhaftes. „Für mich war eine Welt zu entdecken, die auf magische Weise mal sichtbar und mal unsichtbar war.“ Mit dem Buch möchte er von einem Watt erzählen, das kaum jemand so kennt wie er.
Das Unscheinbare mit Worten sichtbar machen
„Es reizte mich, das Unscheinbare mit Worten sichtbar zu machen.“ Das Besondere am Sylter Watt: „Das ist reich an Muscheln, im Süden wächst viel Seegras, und bei den Pfuhlschnepfen ist es höchst beliebt. Im Vergleich zum Gelben Meer gibt es nur halb so viele Algen- und Tierarten um Sylt, aber es werden jährlich um ein bis zwei Arten mehr: eingeschleppt mit Austernimporten und als blinde Passagiere aus Übersee mit den immer schnelleren und größeren Schiffen.“
Im Sommer hält es den Wattexperten nicht lange drinnen im Haus. Dann muss er raus in diese Wunderwelt zwischen Land und Meer, vor allem bei Springtide. „Da bin ich oft an jedem zweiten Tag unterwegs. Im Watt bin ich Spezialist für alles, von den Bodenmikroben bis zu Vögeln und Seehunden, wechsele ich dauernd meine Themen.“
Watt-Abc hilft, den Lebensraum zu verstehen
Als Wissenschaftler, der Zoologie, Meereskunde und Küstenforschung an den Universitäten in Göttingen, Hamburg und Kiel lehrte, der am Alfred-Wegener-Institut die Wattenmeerstation Sylt leitete und dort immer noch tätig ist, sieht der Wattforscher diesen Lebensraum aber nicht nur poetisch. Fakten gehören ebenfalls dazu.
Dabei hilft sein Watt-Abc, diesen Lebensraum zu verstehen. Jeder, der eine Wattwanderung gemacht hat, weiß: Auf nur wenigen Zentimetern leben hier Tausende von Lebewesen – rund 10.000 Arten von einzelligen Organismen und Pilzen bis zu höheren Pflanzen und Tieren. Muscheln, Schnecken, Würmer und Fische, Seehunde und Kegelrobben sind alle Bewohner dieser besonderen Landschaft.
Verschiedene Altersgruppen von Wattwürmern
Reise nimmt einen mit auf eine Entdeckungstour durch diese Welt: Man erfährt, dass es verschiedene Altersgruppen von Wattwürmern gibt, die in Kindergärten mit bis zu 1000 leben, als Erwachsene nur noch mit 20 bis 40 Würmern pro Quadratmeter und später als Senioren sind es weniger als zehn.
Das Wattenmeer, ein Gebiet von rund 11.500 Quadratkilometern auf etwa 500 Kilometern Länge vor den Küsten Dänemarks, Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und den Niederlanden ist einzigartig auf der Welt. Denn nirgends gibt es die Kombination von Sänden, Dünen, Salzwiesen und Inseln. Was Watt ist? „Ein Watt ist immer flach zum Meer geneigt und von Gezeiten geprägt. Es ist zerfließendes Land aus Sand und Schlick – permanent in Bewegung“, schreibt er.
Der Professor hat seinen Beruf zum Hobby gemacht
Seit Mitte der 1970er untersucht der international anerkannte und vernetzte Experte das Wattenmeer. Karsten Reise bekommt einfach nicht genug vom Watt und hat seinen Beruf zum Hobby gemacht. Immer noch verfolgt er die Entwicklung vor seiner Haustür. Er ist einer derjenigen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Wattenmeer Unesco-Weltnaturerbe wurde.
Seitdem steht diese Welt aus Schlick und Wasser auf einer Stufe mit dem Grand Canyon in den USA, der Serengeti in Ostafrika oder den Galapagos-Inseln. Es ist ein Stück Wildnis in Europa. „Als Ort, wo sich Himmel und Erde eine Bühne teilen“, so wurde das Wattenmeer auf der Welterbe-Website der Unesco beschrieben. Reise betont: „Im Wattenmeer war der Naturschutz überaus erfolgreich.
Ein nutzloser Schlick, der lange Zeit als vom Meer geraubtes Land gesehen wurde und den es galt als Ackerland zu gewinnen, wurde durch Umwertung kostbare Natur, seit den 1980er-Jahren Nationalpark und in den 2000er-Jahren Weltnaturerbe.“ Es ist aber auch eine Welt, die gefährdet ist. „Es drohen weiterhin Gefahren von außen: mögliche Öltankerhavarien, durch Klimaerwärmung geraten Zugvögel aus dem Takt und durch Nordseefischerei fehlen dem Wattenmeer immer noch die großen Fische.“
Karsten Reise: „Das Watt. Erlebt, erforscht und erzählt“, KJM Buchverlag, 20 Euro, ISBN 978-3-96194-137-7