Hamburg. Vor 30 Jahren entschieden Politiker, Schlick in Bovenau zu verklappen. Doch die Bürger wehrten sich beharrlich – mit Erfolg.

Vor wenigen Tagen erst berichtete das Abendblatt darüber, dass die aktuellen Baggerarbeiten zur Vertiefung und Verbreiterung der Elbe abgeschlossen sind. Anfang Mai sollen laut Wirtschaftsbehörde die neuen Maximaltiefgänge des Flusses freigegeben werden. Allerdings hat Hamburg noch Pro­bleme damit, die großen Mengen Schlick loszuwerden, die dabei angefallen sind. Wiederholt sich da die Geschichte?

Auch vor 30 Jahren wurde schon gebaggert. Auch damals wusste man nicht so recht, wohin mit den Sedimenten. Eine Gemeinde im Kreis Rendsburg-Eckernförde schien davon ganz besonders betroffen zu sein: Bovenau. Was dann passierte, erinnert an die rebellischen Gallier aus den Asterix-Comics.

Der Aufkleber macht klar: keine Durchfahrt für den
Der Aufkleber macht klar: keine Durchfahrt für den © nn | NN

Ganz Schleswig-Holstein hört auf seine Landesregierung. Ganz Schleswig-Holstein? Nein! Ein von unbeugsamen Bürgerinnen und Bürgern bewohntes Dorf am Nord-Ostsee-Kanal zwischen Kiel und Rendsburg hörte in den 1990er-Jahren nicht auf, Widerstand gegen die Kieler Regierung zu leisten, und am Ende konnte es sich durchsetzen.

Was war passiert? 1984 schlossen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine Rahmenvereinbarung. Man wollte sich gegenseitig bei Entsorgungsproblemen helfen. Im Klartext hieß das: Hamburg wollte die Elbe ausbaggern, und die benachbarten Bundesländer sollten einen Teil des giftigen Schlicks entsorgen. Die Menge sollte gedrittelt werden. Hamburg selbst wollte seinen Matsch nach Francop bringen.

Freiluft­deponie für 6 Millionen Kubikmeter Hafenschlick

In Schleswig-Holstein traf es Bovenau, nachdem zuvor mehrere Gemeinden im Gespräch gewesen waren. Im Ortsteil Osterrade sollte eine Freiluft­deponie für 6 Millionen Kubikmeter Hafenschlick entstehen. Suppenfans dürften das markante namensgebende Gutshaus vom Logo der Unox-Suppen kennen. Das nördlichste Bundesland sollte nicht leer ausgehen. Hamburg bot an, im Gegenzug die U 1 bis Norderstedt auszubauen. Aber davon hatten natürlich die Bovenauer herzlich wenig.

„Wir sind damals 1991 ins Umweltministerium eingeladen worden“, erinnert sich Johannes Jacobs, der seit 30 Jahren Gemeindevertreter in Bovenau ist. Zusammen mit dem damaligen Bürgermeister Thomas Henningsen fuhr er nach Kiel. Umweltminister Berndt Heydemann begrüßte beide, die Überbringung der schlechten Nachrichten überließ er seinem damaligen Staats­sekretär Peer Steinbrück, dem späteren SPD-Kanzlerkandidaten.

Feuriger Protest: Aktionskünstler unterstützten die Demonstration der  Bovenauer Bürger.
Feuriger Protest: Aktionskünstler unterstützten die Demonstration der Bovenauer Bürger. © picture-alliance / dpa | Wulf_Pfeiffer

„Norddeutscher Verbund gegen die Deponierung von Hamburger Hafenschlick“

„Lot uns den Schiet mol nemm“, sagte Henningsen laut Jacobs auf der Rückfahrt nach Bovenau. Er wollte dafür Geld losschlagen und ein Schwimmbad bauen. Aber Jacobs gefiel das nicht. Er gründete ein Jahr später eine Bürgerinitiative und wurde ihr Vorsitzender. Auch die Nachbargemeinden blieben nicht untätig. Bürgerinitiativen entstanden ebenfalls in Sehestedt, Bredenbek, Krummwisch und Groß Königsförde. Auch in Niedersachsen fanden die Bürger das Ansinnen nicht witzig.

Es entstand ein „Norddeutscher Verbund gegen die Deponierung von Hamburger Hafenschlick“. Sprecher der Schleswig-Holsteiner Initiativen wurde Jürgen Liebsch, der von 1994 bis 2018 Bürgermeister in Bovenau war und heute in Spanien lebt. Die Bürger gruben angesichts der geplanten Deponie wie beim Tauziehen die Hacken ein. Zu einer Protestveranstaltung in Bovenau kamen mehr als 500 Männer und Frauen.

Lesen Sie auch

Mehr als 2000 erschienen zu einer entsprechenden Demonstration in Brunsbüttel. Und in Bovenaus Nachbarort Sehestedt wurde ein Anti-Schlick-Fest gefeiert, man hielt eine Mahnwache vor dem Kieler Umweltministerium ab. Eine Begehung des geplanten Deponiestandortes wurde durch massive Proteste verhindert, die Kanalfähre in Sehestedt wurde besetzt. Insgesamt fanden allein bis 1993 rund 130 Veranstaltungen zu diesem Thema statt. Bei den Einwohnerversammlungen und Gemeindevertretersitzungen ging es teilweise hoch her. Aber die Landesregierung blieb hart. „Der Standort Bovenau erreicht im Standortvergleich die größte Eignung zu der Errichtung einer Baggergut-Deponie“, heißt es in einer Presseerklärung von 1993.

Pläne gestoppt: 1999 konnten die Bovenauer jubeln

Das Dorfmuseum Sehestedt erinnerte in einer Ausstellung an diese Zeit. Ein Foto zeigt Mitglieder mehrerer Bürgerinitiativen vor der Kanalfähre in Sehestedt. Sie tragen ein gelbes Plakat mit der Aufschrift: „Wi wöllt den Hamburger Giftschlick ni hemm!“

Ein Schwimmbagger beim Vertiefen der Elbe.
Ein Schwimmbagger beim Vertiefen der Elbe. © Klaus Bodig | Klaus Bodig

Zwei Jahre später drehte sich der Wind. Das Amt für Strom- und Hafenbau entdeckte, dass die Schmutzfracht der Elbe sich deutlich verringert hatte. Sie führt zur Verschlickung der Elbe und war der eigentliche Grund für die Ausbaggerung. 1999 stellten die Fachleute fest, dass die mit der Wiedervereinigung verbundenen Milliarden-Investitionen zu einer deutlichen Verbesserung der Wasserqualität und des Elb­sediments geführt hatten.

Der Kieler Umweltminister Rainder Steenblock schrieb: „Ein Bedarf für eine Deponie in Bovenau ist nicht gegeben. Aus diesen Gründen werde ich mich verstärkt für eine einseitige Kündigung der alten Rahmenvereinbarung von 1984 einsetzen, die mit ihren Vorstellungen abfallwirtschaftliches Mittelalter widerspiegelt und daher keine Rechtfertigung mehr besitzt.“

1999 endeten die Auseinandersetzungen positiv für die Bovenauer, die keinen Schlickberg mehr aufzutürmen hatten. Die Römer, äh, Kieler mussten ihre Belagerung abbrechen und sich in ihr Lager zurückziehen. „Niemand hatte damit gerechnet, dass die Entscheidung sich noch einmal so umkehren würde“, erinnert sich Liebsch.

Der Senat bekommt das Thema Schlick nach wie vor nicht richtig in den Griff

Er verweist auf den „verbitterten Kampf“ der Bürgerinnen und Bürger, aber auch auf ihre Hartnäckigkeit und ihren Ideenreichtum. „Es verging kaum ein Tag, an dem nicht an der Organisation des Widerstandes gearbeitet wurde.

Für unsere Region war die Auseinandersetzung ein wichtiger Meilenstein, um auch in anderen interkommunalen Angelegenheiten die Zusammenarbeit auszubauen. Zu hoffen ist, dass mit dem 2001 in Betrieb gegangenen Windpark Osterrade eine Deponie dort nie wieder diskutiert werden wird.“

Und heute? Der Senat bekommt das Thema Schlick nach wie vor nicht richtig in den Griff. Es fehlen Lagerstellen, die Kosten der Entsorgung steigen, Genehmigungen fehlen. Norbert Hackbusch von der Links-Fraktion: „Der Fluss reagiert mit einer kräftigen Verschlickung des Hafens, die nur unter großen Anstrengungen und mit hohen finanziellen Mitteln entsorgt werden kann.“ Fortsetzung folgt ...