So klein und entlegen und doch voller Historie: im Ferienidyll Groß Schwansee wird deutsche Geschichte erlebbar.
Früher hatte man hier das Gefühl von „am A. der Welt“. Früher war vor Corona. Jetzt hat sich das Image des kleinen, abgelegenen Ortsteils gewandelt in „am Ende der Welt.“ Und wenig fühlt sich derzeit besser an als am Ende der Welt. Groß Schwansee gehört zur Gemeinde Kalkhorst in Mecklenburg-Vorpommern und besteht grob gesagt aus einer Straße, einem Café, einem Spielplatz, zwei schnuckeligen Wohngebieten und einem Schlossgut, von dem aus eine Allee an die Ostsee führt. So sieht also ein Strand aus, wenn er nicht von Strandkörben und Handtüchern zugedeckt wird. Ein ungewohntes Bild. So unaufgeräumt, so viel Sand, so viel Platz. Keine Kurtaxe übrigens!
In der Ferne erblickt man Travemünde, stets zu erkennen am uneleganten Maritim Hotel. Aushängeschilder können so viel schöner sein, wie das Herrenhaus von Groß Schwansee aus dem Jahr 1745 beispielsweise. Weiß und mächtig und umkreist von einem Park, der jedem offen steht. Das Gut hat nur 63 Zimmer, die jetzt im Sommer fast komplett ausgebucht sind. Die Menschen sehnen sich nach Weitläufigkeit, nach Abgeschiedenheit. „Es hat ein Umdenken bei den Gästen stattgefunden“, sagt Janet Schroeder. Die Direktorin des Hotels erzählt, dass früher manchen die Infrastruktur gefehlt habe. Anders als in größeren Ostsee-Destinationen kann man nicht mal eben so shoppen gehen oder zur Eisdiele.
Tourismus in Groß Schwansee: Viele Gäste buchten wegen Corona um
Hier gibt es im ehemaligen Pferdestall eine Brasserie (unbedingt die in Eierlikör getränkte Schwanseetorte probieren), ein feines Schlossrestaurant, und das war‘s. „Ich habe mit vielen Besuchern gesprochen, die eigentlich in die Türkei oder nach Spanien wollten, wegen Corona umgebucht haben und nun total überrascht sind, wie schön es in ihrer Heimat sein kann“, sagt Schroeder.
Corona habe auch den Einheimischen hier viel beigebracht, wie überfordert das Meer gewesen sei etwa. Wenn der Fischer nun Maischollen aus dem Wasser zieht, dann sind diese größer und fester als zu den Zeiten, in denen ständig Fähren, Kreuzfahrer und andere Boote durch die See wälzten. „Das Wasser ist viel klarer und sauberer geworden“, sagt Schroeder.
Das Meer an dieser Stelle bot nicht immer Gutes. Groß Schwansee stellt sogar eine Gedenkstätte dar, denn ein großes Unglück ereignete sich hier am 3. Mai 1945. Britische Flugzeuge versenkten den einstigen Luxusdampfer „Cap Arkona“ und die „Thielbeck“. Die Schiffe waren zuvor von der SS beschlagnahmt worden, um KZ-Häftlinge zu transportieren.
Mai 1945: „Cap Arkona“ und die „Thielbeck“ wurden versenkt
Rund 6400 der etwa 7000 Menschen verbrannten, ertranken oder wurden erschossen, während sie versuchten, sich in dem nur acht Grad warmen Wasser an Land zu retten. Die Leichen wurden an den Strand angespült. Dass hier nun keine Strandkörbe stehen, fühlt sich richtig an.
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Ab 1951 wurde das Herrenhaus als Schule für die umliegenden Häuser genutzt; zu DDR-Zeiten bewirtschaftete die LPG „Seeblick“ das Gut, und weil Groß Schwansee im Sperrgebiet lag, waren die wenigen dort lebenden Menschen sehr isoliert. Fremde hatte keinen Zutritt.
Heute liegt Groß Schwansee eingebettet in Naturschutzgebiete
Das gilt aktuell auch (noch) für Tagesgäste. Normalerweise radeln viel mehr Urlauber über den schönen Radweg, der direkt an der Küste von Travemünde-Priwall bis Boltenhagen führt. Wer das mal probieren möchte: die Strecke verläuft viel hügeliger als man denkt, ein E-Bike wäre darum keine schlechte Idee.
Auf dem Radweg patrouillierten vor 1989 die DDR-Grenztruppen, der einzig positive Effekt des Sperrgebietes lag darin, dass nichts gebaut wurde. Heute liegt Groß Schwansee eingebettet in Naturschutzgebiete, und es scheint größtenteils aus komplett neuen Häusern zu bestehen.
„Das Thema Entschleunigung wird immer wichtiger“
Ein kleiner Bauboom herrscht in dem beschaulichen Örtchen. „In den letzten drei Jahren entstanden viele Häuser, das schnuckelige Groß Schwansee wächst. Jeder scheint hier nach seinem Rückzugsort zu suchen“, sagt Christina Enkerts von der BAIS GmbH. Diese vermietet einige Ferienhäuser vor Ort, die meisten sind ausgestattet mit Kamin und Sauna und folgen dem „Reetdach meets Skandinavien“-Stil. Die Gärten in den Ferienhaussiedlungen strotzen vor Lavendel, Buschröschen, Disteln, Sonnenhut und Pampagras.
2009 war Groß Schwansee bei der Bundesgartenschau einer von drei Außenstandorten im Kreis Nordwestmecklenburg, und irgendwie herrscht das Gefühl Bundesgartenschau hier noch immer. „Das Thema Entschleunigung wird immer wichtiger“, findet Enkerts, aber von Blumengucken und Ruhesuchen allein wird man ja nicht satt.
Zum Einkaufen mit dem Auto nach Kalkhorst
Wo können die Touristen denn einkaufen? Tja, Knackpunkt. Dafür muss man mit dem Auto nach Kalkhorst fahren, da gibt es einen kleinen Konsum-Supermarkt. Der Weg dahin lohnt sich aber, weil direkt in der Nähe die sehr schöne Kirche und ein Highlight für Kinder liegen. Im minimare Entdeckerpark erlebt man mittelalterliche Städte, Schlösser, Burgverliese, Bauernkaten, Piratenschiffe und Scheiterhaufen im Miniaturformat. Geschichte im XS-Format.
Den besten Pluspunkt für Ruhesuchende zum Schluss: schlechter Handyempfang. Wenn Sie im Urlaub noch nervige Telefonate führen oder aufwendige Präsentationen bearbeiten sollen – in Groß Schwansee sind Sie zwangsläufig davon befreit. Sogar Ihre Kinder werden sich abends mit Ihnen unterhalten. Netflix streamen oder Playstation zocken, das geht dann erst wieder zu Hause. Nach der Entschleunigung.
Weitere Informationen: Groß Schwansee erreichen Sie mit dem Auto über A 1 und A 20 in ca. 90 Minuten, einen Bahnhof gibt es nicht. Zimmer oder Dinner im Schlossgut reservieren Sie unter www.schwansee.de, beim Finden eines Ferienhauses hilft die Boltenhagener Appartement Immobilien Service GmbH, Tel. 03 88 25/37 78 10, www.immobilien-in-boltenhagen.de.
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