Hamburg/Berlin. Die drei Familienbetriebe aus Norddeutschland leiden unter den Folgen des Klimawandels. Richter bat die Kläger um Verständnis.
Drei Bauernfamilien und Greenpeace sind vorerst mit dem Versuch gescheitert, die Bundesregierung vor Gericht zu mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz zu zwingen. Das Berliner Verwaltungsgericht wies am Donnerstag ihre Klage ab, ließ aber Berufung zu. Richter Hans-Ulrich Marticke bat die Kläger um Verständnis: „Wir müssen die Handlungsspielräume der Exekutive respektieren“, sagte er.
Die drei Familien, die landwirtschaftliche Betriebe im Norden führen, wollten per Gerichtsentscheid die Regierung zwingen, die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Unterstützt wurden die Familien von der Umwelt-Organisation Greenpeace. Nach neusten Berechnungen von Experten wird Deutschland das vereinbarte Ziel nicht einhalten. Eigentlich sollten im kommenden Jahr die Treibhausgas-Emissionen 40 Prozent geringer sein als 1990.
Richter Marticke sagt, er sehe nicht, dass Maßnahmen der Regierung völlig unzureichend gewesen seien - rund 33 Prozent Minderung würden voraussichtlich erreicht, und die 40 Prozent mit einigen Jahren Verspätung. Zudem habe der jüngste Kabinettsbeschluss zum Klimapaket die alten Beschlüsse „überholt“. Damit falle auch die Grundlage der Klage weg.
Demonstration vor dem Gericht
Begleitet wurde die Verhandlung am heutigen 31. Oktober (der Reformationstag ist dort kein Feiertag) von rund 100 Demonstranten, die vor dem Gerichtsgebäude mit drei Traktoren friedlich mehr Engagement im Kampf gegen die Erderhitzung forderten.
„Mit dem Verfehlen des Klimaziels 2020 verletzt die Bundesregierung ihre Pflicht, die Menschen im Land vor den Auswirkungen der Erderhitzung zu schützen", sagt Anike Peters, Klima-Expertin von Greenpeace. Allerdings gab es bisher kein Gesetz, in dem das Klimaziel festgeschrieben war, nur einen „Klimaschutzplan“. Deswegen hält die Bundesregierung die Klage für unzulässig. Das Gericht schloss sich mit dem Urteil der Auffassung der Bundesregierung an.
Die Kläger argumentierte hingengen, Beschlüsse einer Regierung seien keine bloßen politischen Willensbekundungen, sondern juristisch verbindliche Rechtsakte. Die Familien aus dem Alten Land in Niedersachsen, von der Insel Pellworm in Schleswig-Holstein und aus der Lausitz in Brandenburg sehen sich in ihren Grundrechten verletzt.
Sie erleben die Auswirkung des Klimawandels immer wieder. Temperaturerhöhung, Hagel und extreme Niederschläge, drohende Hochwasser, das mache ihnen zu schaffen. "Die Folgen der Erderhitzung bedrohen unsere Existenz“, sagt Johannes Blohm aus dem Alten Land in Niedersachsen.
Familien Blohm
Seit 1560 gibt es den Hof Blohm im Guderhandviertel im Alten Land. Es ist ein reiner Obsthof und trägt seit 1999 das Bio-Zertifikat. Auf einer Fläche von 21 Hektar werden hauptsächlich Äpfel angebaut. Auch Birnen, Pflaumen und Zwetschen wachsen dort. Bis vor drei Jahren gab auf dem Hof Blohm auch Kirschen. Doch ein Schädlingsbefall im Jahr 2016 habe dazu geführt, dass die Bäume auf einer Fläche von vier Hektar gefällt werden mussten.
Im Frühjahr 2017 sei der Hof extremen Niederschlägen, Hagel und Sturm ausgesetzt gewesen und habe massive Schäden durch Staunässe erlitten. Im Dürresommer 2018 litte der Betrieb zusätzlich unter der extremen Hitze und Trockenheit und habe weitere Einbußen verkraften müssen. 2019 hätten viele Apfelbäume der Blohms ihre Blüten im Frühjahr einfach abgeworfen und trugen somit im Herbst kaum Früchte.
Familie Lütke Schwienhorst
Auch in Brandenburg mache sich die Erderwärmung bemerkbar, wo die Familie Lütke aus Brandenburg einen Milch-Betrieb mit Käserei betreibt. Biolandwirt Heiner Lütke Schwienhorst sagte: „Wegen Dürre und Trockenheit waren unsere Ernten in den letzten zwei Jahren schon jeweils um etwa ein Drittel reduziert. Wir Bauern tragen die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Klimapolitik.“
Der Hof Ogrosen umfasst rund 380 Hektar Acker- und 20 Hektar Weideflächen, die Familie hält rund 120 Milchkühe. 2018 machte dem landwirtschaftlichen Betrieb vor allem die Trockenheit zu schaffen. Von Mai bis Ende September habe die Familie nur etwa die Hälfte des gewöhnlichen Heu- und Getreide-Ertrages einbringen können. 2019 führte die Trockenheit zu einer um etwa 30 Prozent geringeren Ernte. Die Folge: Die Familie Lütke Schwienhorst habe Futter zukaufen müssen, um den Bedarf ihrer Milchkühe zu decken.
Familie Backsen
Im Norden des Landes leidet ein landwirtschaftlicher Betrieb ebenfalls an den Auswirkungen des Klimawandels. Die Familie Backsen betriebt den Bio-Hof „Edenswarf“ auf der Nordseeinsel Pellworm, der seit 1703 in Familienbesitz ist. Auf dem Hof werden 200 Rinder gehalten, zudem baut die Familie Getreide an. „Die Halligen und Inseln in der Nordsee sind zuerst betroffen. Der ansteigende Meeresspiegel macht mir große Sorgen, denn die Deiche können irgendwann nicht mehr erhöht werden“, sagt Silke Backsen.
Familie Backsen beobachte seit Jahren, wie Wetterextreme zunehmen, beispielsweise Starkregen und Sturmfluten. Die Familie fordert: Der jetzt schon messbare Meeresspiegelanstieg muss durch Klimaschutzmaßnahmen eingedämmt werden, damit der Deich um die Insel auch weiterhin ausreicht und langfristig hält.
Wegen der Trockenheit hätten auch die Backsens Futter für ihre Tiere zukaufen müssen. Eigenen Aussagen zufolge erlitt die Familie im Dürresommer 2018 Ernteeinbußen von etwa 40 Prozent.
Klimaziele würden fünf Jahre später erreicht
Schadenersatz wollen die Familien und Greenpeace nicht. „Sie berufen sich auf ihre Grundrechte in der Schutzpflichten-Dimension und sagen: Ihr müsst mehr tun, um uns zu schützen“, erklärte ihre Anwältin.
Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte dazu, es sei „gutes Recht“ von Greenpeace und den Familien, vor Gericht zu ziehen und auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit zu suchen und auch Druck für einen besseren Klimaschutz aufzubauen. Sie brächten damit zum Ausdruck, dass der Klimawandel „erhebliche negative Auswirkungen“ habe.
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Derzeit ist das Klimaschutzprogramm 2030 in Arbeit, mit dem die Koalition sicherstellen will, dass Deutschland wenigstens sein Klimaziel für 2030 schafft - nämlich eine Treibhausgas-Reduktion von 55 Prozent im Vergleich zu 1990. Das auf den Weg gebrachte Klimaschutzgesetz ist laut Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) eine Antwort auf die Versäumnisse der Vergangenheit - es regelt verbindlich, wie viele Treibhausgase einzelne Bereiche wie Verkehr oder Landwirtschaft in welchem Jahr noch ausstoßen dürfen.
Zwar wies das Berliner Verwaltungsgericht die Klage ab, ließ aber Berufung zu.