Fehmarn . Zweite Station des Strandreporters: Hier ist die Hipster-Kneipe ein “ehrlicher Laden“, und die Senioren träumen von Jimi Hendrix.
Das ist mal eine Begrüßung: Zwei Wildfremde kommen mir auf Liegefahrrädern entgegen und nicken, als wären sie die coolsten Wesen auf der Welt. Links und rechts glitzert Wasser, feine Bäume stehen mir Spalier, voraus ragen drei Türme ins Himmelblau. Der Südstrand von Fehmarn. Noch fast, wie ich ihn als Kind zuletzt sah. Ich ahne ja nicht, was hier heutzutage los ist. Nichts vom Fluch des Dänen, der Angst vor Schlamm und der Kraft eines Imbiss. Nichts davon, dass ich am nächsten Morgen in Kalifornien frühstücken werde. Aber der Reihe nach.
Alles ist weit, der Strand neigt sich an einigen Stellen leicht dem Meer hin. Es ist voll, aber nirgendwo staut es und hetzt es auf Sand und Promenade. Eine ganz andere, heilsamere Stimmung als am Timmendorfer Strand. Die Gebäude wirken hausbacken, es sind 60er- und 70er-Werke, man kann einige von ihnen getrost etwas abgerockt nennen. Aber für mich bringen sie ein Gefühl zurück, als es nur den Strand gab und Eltern mit Zauberkräften. Der Tourismuschef des Ortes kann nicht wissen, wie befangen ich bin. Ich frage ihn, was Fehmarn denn bitte schön Besseres zu bieten habe als andere Ferienorte.
„Ortskern Burg fast wie eine spanische Stadt“
„Wir sind eine bodenständige Insel“, sagt Oliver Behncke, als hätte er gerochen, woher ich auf die Insel kam. „Man kann zur Ruhe kommen und sich austoben, das sind hier nicht nur Sprüche.“ Eine Sonneninsel, bis zu 2100 Stunden pro Jahr und damit in der Bundesspitze. Eine Sportinsel. Für Radfahrer, vor allem aber für Kitesurfer. „Und der Ortskern Burg ist fast wie eine spanische Stadt“, sagt Behncke. Allerdings eine spanische Stadt mit ewigem und massiven Durchgangsverkehr zur Fähre nach Dänemark, der Touristen und Einheimische im Frust vereint. Und Fehmarn ist auch eine Insel, die noch damit kämpft, sich entlang ihrer 78 Küstenkilometer einerseits zu verändern und andererseits so zu bleiben, wie sie immer war.
Das merke ich zuerst, als ich nach einer Runde im klaren Wasser (kein Badeverbot, flacher Einstieg, sanfter Sandboden, Schulnote zwei im Strandreporter-Test!) Hunger bekomme und einen Text schreiben muss. Entlang der Promenade finde ich zwar einige Eisbuden, aber erst nach viel Mühe ein Restaurant mit Strandkörben zum Einkehren. Auch prangt da diese riesige Baulücke nah neben den drei Hochhäusern.
Gestaltern sind oft die Hände gebunden
„Es passiert nun schon seit acht Jahren nichts“, sagt der Tourismusdirektor. Ein holländischer Investor hatte große Pläne für das ehemalige „Haus des Gastes“, die er nie umsetzte. Nun aber gebe es sehr gute Gespräche mit einem neuen Käufer, Pläne für vier Hotels mit 800 dringend benötigten Betten und Gastronomie. „Das würde ganz Fehmarn einen Schub geben“, sagt Behncke. „Das ist eines der letzten großen Filetstücke, die es in deutschen Ferienorten noch gibt.“ Die Zahl der Besucher ist um 20 Prozent gestiegen, seit Urlaub in Deutschland wieder en vogue ist.
Gleichzeitig sind den Gestaltern oft die Hände gebunden. Das gesamte Areal aus der Feder des verstorbenen dänischen Architekten Arne Jacobsen steht unter Denkmalschutz. Drei Fehmarner erzählen mir an einem Tag die Geschichte, wie eine bereits umgebaute baufällige Betonbrüstung wieder angebracht werden musste. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagen alle drei mit norddeutscher Ungläubigkeit, obwohl sie die schlichte Funktionalität des Baus mögen.
Erste Schritte sind aber getan: Wie in Timmendorf prangt auf dem Wasser nun ein großer „Aqua Park“ mit Rutschen. Und da ist auch eine richtige Strandbar, hier aber nicht mit Majestätsbetten für 90 Euro am Tag, sondern Buddeln vom Tresen. Langsam wehe ein neuer Geist durch Fehmarn, mehr als nur typischer Ostseestrand und Pommes, sagen sie in der Verwaltung.
Australische Gelassenheit
Ich beschließe, die Veränderung ganz im Norden zu suchen, am Naturschutzgebiet Grüner Brink, wo sich dänische Stimmen in den Autoradio-Empfang mischen. Es ist das Revier der Kitesurfer, ein kleiner Strand, weiter Deich, Schafe und das Fährterminal in der Ferne. Inmitten davon ein großes Haus mit Lichterketten, die Beltbude. Der Chef Bastian Biehl (37) empfängt mit wärmstem Lächeln und Surfermatte, sagt: „Bitte schreib jetzt nicht wieder nur über die Burger hier“ und lacht, dass es Hütten wärmen könnte.
Man zieht ihn gern als Beispiel dafür heran, wie trendig Gastronomie auf Fehmarn sein kann. Dem Wirt selbst sind die Momente wichtiger, in denen die Gäste abends bei „Skin Gin“-Cocktails auf den Bänken sitzen und australische Gelassenheit in der Luft liegt. „Ich wollte einfach einen ehrlichen Laden machen.“ Die Verwaltung hat ihm Angebote für zwei weitere Flächen gemacht, er hat abgelehnt und verkauft weiter sehr leckere Currywurst zu sehr fairen Preisen (den Burger können Sie trotzdem probieren, er ist sehr gut). Es ist eines dieser leisen Paradiese, nach denen man auf Inseln immer sucht, die man aber selten findet.
„Kalifornien“ neben „Brasilien“
Bevor die Sonne in die See kippt, fahre ich in den „Wilden Westen“, passiere den Campingplatz Willnau, wo sich das Leben nie verändert. Eine Gruppe von psychedelisch rockenden Ü-70ern arbeitet daran, die Zeit des „Woodstock von Fehmarn“ aufleben zu lassen, mit einem neuen Festival mit vielleicht 5000 Besuchern. Nicht mehr nur einen Gedenkstein für Jimi Hendrix und sein letztes Konzert zu haben, sondern seinen Geist wieder aufleben zu lassen – das wollen sie.
Oliver Behncke sagt, es gebe aber auch Ängste auf der Insel, vor allem davor, was der neue Tunnel am Fehmarnbelt bringen wird. Etwa sechs bis neun Prozent weniger Touristen während der Bauzeit von einem knappen Jahrzehnt, sagen ältere Berechnungen. Erst vor Tagen gab es wieder eine Demonstration. Der Tourismusdirektor sagt, man müsse dem Projekt mit „Respekt begegnen, aber nicht überziehen“.
Zukunftsmusik. Ich lasse die Insel am Abend hinter mir, kehre in einem Gasthof bei Kummerbek ein (wo man auf die Frage nach einer kleinen Stärkung einen Teller mit gestapeltem Schinkenbrot und Spiegeleiern bekommt). Am nächsten Morgen muss ich auf dem Weg zur Nordsee einfach noch mal abbiegen: „Kalifornien“ steht auf dem Ortsschild, ein kleiner Strandabschnitt bei Schönberg, gleich nebenan ist auch „Brasilien“ auf der Karte vermerkt.
Schatzgrube für Naturfreunde
Nachfrage in der Touristenauskunft, wie es dazu kam. „Na ja, die Legende sagt, es hat mit einem Stück Brett angefangen“, so die Dame am Tresen. Im Jahr 1735 – also noch 40 Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung der USA – soll ein Brett mit der Aufschrift „California“ an einer Fischerhütte angespült worden sein. Ein anderer habe sich wenig später „Brasilien“ auf ein Brett gemalt, damit sei die Namensgebung entschieden gewesen. Auch hier sind die Pensionen voll, der Strand nicht so wild und weit wie auf Fehmarn, aber eben ein ruhiges Plätzchen an der See. Mit der Einfachheit wird es für mich bald wieder vorbei sein. Nächster Halt: Westerland.
Fazit: Fehmarnist für Wassersportler, Familien und Naturfreunde eine Schatzgrube. Wer eine große Bandbreite an Geschäften oder Gastronomie braucht, wird weniger glücklich.
Morgen: Auf den Spuren des Mythos Sylt