Timmendorf. Erste Station des Strandreporters: Ein trubeliges, modebewusstes Ostseebad, das stolz auf Promis ist – und genervt von Falschparkern.
Na gut, vergessen wir das ruhige Ankommen. Aus der Ferne dröhnen Bassschläge, vor dem Famila-Markt wuseln die Kunden: Willkommen im Trubel. Menschengruppen latschen in Flip-Flops die Straße hinauf. Rechts haben zwei Autofahrer den Straßenrand zur Parkzone erklärt, geht wohl nicht anders. Links ringt ein Mann einen Plastik-Flamingo zu Boden und drückt die Luft aus ihm heraus. Hunderte packen ein und reisen ab an diesem Nachmittag in Timmendorfer Strand, aber irgendwie bleibt es dennoch voll.
So beginnt also meine Reise als Abendblatt-Strandreporter: am schillerndsten, lebendigsten Ort der guten alten Ostsee. An der Strandallee sitzt das Ray-Ban-bebrillte Publikum, schaut etwa vom Balkon des „Café Wichtig“ auf die vorbeiziehenden Flaneure. Es geht hier auch um das „Sehen und Gesehen werden“, das geben sie beim Stadtmarketing gern zu. Man will jung, trendig, lebendig, edel wirken. Die Zahl der Übernachtungen ist in nur zehn Jahren um 42 Prozent gestiegen. Ich gestehe gleich: Wenn mir je einmal so richtig nach vollen Promenaden und etwas Schickimicki wäre, würde ich gleich nach Nizza fahren. Aber gut, mental den Hemdkragen hoch und rein in das Getümmel. Schauen, was Fakt und was Vorurteil ist.
Zwei Menschen verloren ihr Leben
Natürlich muss die erste Station eines Strandreporters der Strand sein. Und es bringt nichts, mich und Sie am ersten Tag der Reise zu belügen: Er ist an diesem Tage keine Schönheit. Der Wind peitscht schlammige Wellen ans Ufer, er hat große Haufen aus Sand und Algen vor den Strandkörben aufgeworfen. Über den Stationen der DLRG weht die gelbe Flagge. Eine gefährliche Unterströmung sorgt seit Tagen immer wieder für Badeverbote – kann Menschen in Sekundenschnelle wegreißen und um ihr Leben bringen. Einer der Wachhabenden sagt, gleich müsse wieder die rote Flagge gehisst werden. Ob sich die Gäste an das Verbot halten? Er schüttelt den Kopf wie ein enttäuschter Vater. Wie viele sie schon retten mussten? „Eine ganze Menge“, dabei belässt er es. Zwei Menschen verloren am Wochenende in der Ostsee ihr Leben. Mindestens vier weitere mussten wiederbelebt werden.
In Timmendorf sind alle Strandkörbe voll. Viele stürzen sich noch in die Fluten. Auch Eltern mit Kindern, bei nun roter Flagge. Man will einfach nicht einsehen, dass auch eine Hotelbuchung keine Garantie für Strandurlaub mit allen Extras bietet. Am Montag ist die Gemengelage an Gefahren perfekt, als bei Sierksdorf noch hochgefährliches Phosphor am Strand gefunden wird. Es sieht aus wie Bernstein, kann sich aber bei Hautkontakt auf 1300 Grad erhitzen.
Pulsierendes Leben
Ich spaziere am Ufer in Richtung Süden. Und siehe da: Bald steht da einer der Belege dafür, wie sich Timmendorf erneuert. Die „Buddelbar“ ist eines der neueren Etablissements am Strand, die Lounge topmodern, große Majestätsliegen wie himmlische Wolken – kaum 50 Meter von den schwappenden Wellen entfernt.
Der Haken: Ein Mindestverzehr von 90 Euro pro Person und Tag, wenn man sich drauflegen will. Ich besteche den Kellner in der Währung, die in hippen Läden im Jahr 2019 am meisten gilt: Ich verspreche, ein Foto auf Instagram zu posten. Dafür genieße ich die Liege eine Getränkelänge lang. Und es reift eine Erkenntnis heran: Am richtigen Platz und mit genügend Geld lässt sich mühelos vergessen, dass Timmendorf auch bei gutem Wetter nicht den breitesten und feinsten Sandteppich der Welt hat. Die große Stärke des Ortes, sagen Kenner, ist ohnehin das pulsierende Leben hier. Da wartet der Teepavillon auf dem Wasser, ein adretter Mini-Golf-Kurs, der neue Wasserpark mit großen Parcouring-Hindernissen und Rutschen, die zahlreichen Beachvolleyball-Felder, das Großaquarium „Sea Life“. Beachpolo und Beachhockey. Eigentlich müssten sich auch zwei Wochen Badeverbot mühelos überbrücken lassen.
„Qualität statt Quantität"
Gerade steigt das Feuerwehrfest im Ort, bald kommt das Strandkino. Eigentlich ist immer etwas los (siehe Kasten unten). In Sachen Aktivität legt Timmendorfer Strand eine haushohe Messlatte für die weiteren Stationen der Reise. Drei kleine Söhne ziehen ihre Mutter zu der Musik und den Ständen, bis auf einen tragen alle streng gescheitelte Haare und Poloshirts von Ralph Lauren. Aber alle sehen – ganz ehrlich – einfach glücklich aus.
Der Tourismuschef, den ich am Montag treffe, betont, wie leistungsfähig der Ort ist. „Unsere Strategie lautet jetzt, noch mehr auf Qualität statt Quantität zu setzen“, sagt Joachim Nitz. Stolz sind sie darauf, dass prominente Stammgäste wie H.P. Baxxter von Scooter in Timmendorf spielen.
Genug haben sie nur von den Falschparkern, sie verstopfen so arg die Straßen und blockieren Einfahrten; die 4500 Parkplätze auf den ausgewiesenen Flächen sind oft schon morgens restlos besetzt. Die Gemeinde reagiert mit verschärften Kontrollen, will nun abschleppen lassen. „Wir sind froh über jeden Gast, der kommt. Aber wir erwarten, dass er sich an die Regeln hält“, sagt Michel Soltmann, der Chef des Ordnungsamtes. Das sind für Timmendorfer Verhältnisse schon fast ketzerische Töne.
Und auf einmal ist es friedlich
Ich kann nicht anders, als auch die vier Kilometer bis Scharbeutz zurückzulegen, den Ostseeort meiner Kindheit und aller Jahre danach. Auch dort diskutiert man immer noch, wann es zu viel des Guten ist – und wann die Infrastruktur endlich mitwächst. Vor sechs Jahren ist das Hotel „Bayside“ wie ein Ufo an der Promenade gelandet und hat den Ort in die Liga der edleren Badeorte katapultiert. Und doch bleibt alles einen Hauch leiser, weniger glitzernd. Das „Herzbergs“ ist nach wie vor das wohl beste Restaurant in der Lübecker Bucht. Noch ruhiger ist Niendorf, traditionell das Gegenstück zum disneylandhaften Angebot im Ortskern Timmendorf.
Auf dem Weg ins Nachtquartier entdecke ich zufällig, dass auch die bekannteste Perle der Ostsee noch eine weniger überlaufene Seite hat. Unter den sanft geschwungenen Hügeln des Golfplatzes Seeschlösschen glitzert das Wasser wie in einem Krombacher-Werbespot. Die Terrasse des Platzhotels steht auch Nicht-Golfern offen. Kühler Rosé-Wein fließt meine Kehle hinunter, leise Gespräche betuchter Damen („Wie, du warst wirklich noch nicht in Dubai?!“) mischt sich mit den Naturgeräuschen. Und auf einmal ist das proppevolle „Timmendorf“ nur eines: friedlich.
Mein Fazit: Timmendorf ist ideal für Anspruchsvolle und Urlauber, die viel Abwechslung brauchen. Nicht das richtige für Ruhesuchende und Entdecker.
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