Hamburg. Haltepunkt der neuen Trasse wäre sechs Kilometer entfernt. Wie Ex-Bürgermeister Ole von Beust helfen soll.

Seine Besucher im Konferenzraum bittet Bürgermeister Robert Wagner gern, auf der Seite vis-à-vis der Fototapete Platz zu nehmen. Goldgelber Sand, kräuselnde Wellen, Strandkörbe in Reih und Glied – Timmendorfer Strand zeigt sich auf dem Bild von seiner schönsten Seite. Die jüngste Erfolgsbilanz hat der parteilose Verwaltungschef auf den Tisch gelegt: Erstmals knackte die Gemeinde im Jahr 2018 die Grenze von 1,6 Millionen Übernachtungen (1.664.526) – gegenüber 2009 ein Plus von sagenhaften 42,4 Prozent.

Warum Wagner beim Abendblatt-Termin dennoch angespannt wirkt, erklärt die Karte, die er ebenfalls auf dem Tisch ausgebreitet hat. Sie zeigt den Trassenverlauf, der in etwa zehn Jahren Realität werden könnte.

Halt in Ratekau

Die Bahn würde dann in Ratekau halten. Der Bahnhof hieße zwar Timmendorfer Strand/Ratekau, was aber nichts daran ändern würde, dass der neue Haltepunkt rund sechs Kilometer entfernt wäre. Kaum zumutbar für Fußgänger, die derzeit nur rund 20 Minuten für den Weg vom Bahnhof zum Strand brauchen.

Für Wagner eine bittere Vision: „Für uns ist die Bahntrasse eine Lebensader. Da geht es auch um unsere Einwohner, die einen Facharzt in Lübeck aufsuchen wollen. Oder um unsere Hotelfachkräfte, die von weither kommen und sich kein Auto leisten können.“ Und doch ist der Bürgermeister weit davon entfernt, der Bahn irgendeine Buhmann-Rolle zuzuschreiben. Denn auf der anderen Seite ist Wagner dem Staatskonzern überaus dankbar.

Grund ist die Fehmarnbeltquerung

Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, muss man in die Planungen für die Fehmarnbeltquerung eintauchen, einem der größten europäischen Verkehrsprojekte. Durch einen Tunnel unter der Ostsee sollen Fern- und Güterzüge direkt nach Dänemark rauschen. Bei der Anbindung nach Lübeck wollte die Bahn ursprünglich die Bäderbahn-Bestandsstrecke ausbauen. Güterzüge mitten durch die Urlauberregion der Lübecker Bucht? „Dieser Lärm hätte uns touristisch das Genick gebrochen“, sagt Wagner. Gemeinsam mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung erreichte der Ostsee-Tourismus, dass die Bahn stattdessen eine neue Strecke parallel zur Autobahn 1 baut. Der Nachteil: Die alten Haltepunkte Timmendorfer Strand und Scharbeutz fallen weg, erst ab Haffkrug soll die Bäderbahn wieder über Sierksdorf nach Neustadt rollen.

Seit Monaten ringen Experten wie Bürger nun um die beste Lösung. Die Aktivgruppe Handel und Gewerbe, die den Verlust von Millionen-Einnahmen gerade bei Tagesgästen fürchtet, plädiert wie der Fahrgastverband Pro Bahn für den Erhalt der Strecke. Doch die Bahn hat wenig Interesse, eine weitere, zudem durch Bahnübergänge kostspielige Trasse zu betreiben.

Warnung vor Güterzügen

Bei einem Ortstermin warnte Bernd Buchholz (FDP), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein, auch vor dem Risiko, dass bei einem Erhalt der Bäderbahn dort am Ende doch Güterzüge rollen könnten.

Manche Kommunalpolitiker favorisieren Neuhof als zweiten Haltepunkt. Dieser würde näher als Ratekau liegen – denkbar für die Bahn. Aber auch Neuhof wäre fußläufig für die meisten Bahnreisenden zu weit. Zudem müssten dann Fördermittel auf zwei Haltepunkte verteilt werden, es wäre also kaum möglich, den neuen Bahnhof Ratekau wie jetzt geplant mit einem Millionen-Aufwand attraktiv zu gestalten, inklusive Touristen-Information und WC-Anlage.

Bürgermeister Wagner verfolgt daher einen andere Vision: Ratekau ja – aber mit einer perfekten Anbindung an Timmendorfer Strand – und eben nicht wie derzeit angedacht mit Doppeldecker-Bussen. „Wir reden an warmen Wochenendtagen von 100 bis 200 Fahrgästen pro Zugankunft, die hier ein- und aussteigen, viele mit Gepäck und aufgeblasenen Luftmatratzen. Das wäre logistisch eine Herausforderung.“

Lärm durch Busse?

Zudem könnte ein Shuttle-Verkehr den Wohlfühlfaktor im Ort gefährden: „Unsere Gäste, die sich hier erholen wollen, wären ebenso die Einheimischen nicht begeistert, wenn zu Stoßzeiten große Busse im Konvoi im Halbstundentakt über Strandallee und Strandstraße rollen würden.“

Der agile Verwaltungschef plädiert wie Buchholz für „eine innovative Lösung“: „Ich denke etwa an den Skytrain am Düsseldorfer Flughafen oder die Wuppertaler Schwebebahn.“ Die könnte sogar zu einem touristischen Magneten werden – im Idealfall eine Hightech-Version des Rasenden Rolands, der schnaufenden Bäderbahn auf Rügen.

Für Sierksdorf und Neustadt keine Änderung

Für dieses Ziel hat Wagner nun einen prominenten Mitstreiter engagiert: Ole von Beust, der mit Weggefährten wie dem früheren Staatsrat Nikolas Hill eine Beratungsagentur betreibt. Wagner braucht Expertise und Netzwerke, um etwa Fördertöpfe für neue Mobilitätskonzepte anzuzapfen. Zudem kann er sich kaum auf große Unterstützung der benachbarten Urlaubsorte verlassen. Der neue Bahnhof in Scharbeutz wäre nur einen Kilometer vom alten Haltepunkt entfernt, für Sierksdorf mit dem Vergnügungsgiganten Hansa-Park und Neustadt würde sich nichts ändern.

Und die Zeit drängt, auch wenn es angesichts der rechtlichen Hakeleien noch viele Jahre bis zur Fehmarnbeltquerung dauern kann. Fakten werden schon in der Planung geschaffen. Es wäre für Wagner ein Alptraum, wenn die gewünschte Anbindung am Ende an einer neuen Straße scheitert.

Immerhin weiß Wagner den Zeitgeist auf seiner Seite – öffentlicher Nahverkehr wird auch im Tourismus immer wichtiger. Schon deshalb, sagt er, wäre es nicht zu verstehen, wenn man eine funktionierende Verbindung ohne adäquaten Ersatz einfach abschneiden würde.

Info: Feste Fehmarnbeltquerung

Herzstück der geplanten Festen Fehmarnbeltquegung ist ein Tunnel zwischen den Inseln Fehmarn (Deutschland) und Lolland (Dänemark). Das Bauwerk könnte mit den Hinterland-Anbindungen die Fahrzeit zwischen Hamburg und Kopenhagen von viereinhalb Stunden auf zwei Stunden und 40 Minuten verkürzen.

Kritiker sehen Gefahren für das Ökosystem der Ostsee durch Baggerarbeiten sowie das Risiko einer Umweltkatastrophe, falls ein Öltanker in der Bauphase gegen ein Tunnelelement fahren würde. Zudem seien die Verkehrsprognosen unrealistisch. Gegen das Milliarden-Projekt laufen viele Einwendungen und Klagen.