Über die Autobahn 7 nördlich von Hamburg spannen sich bald zwei massige Wildquerungen. Sie sind Teil eines einzigartigen Projekts.
Es wäre auch zu schön gewesen. Aber nein, er kann nichts entdecken. Björn Schulz liegt im Gras und durchwühlt mit den Fingern einen wilden Thymian. Der wächst auf einer Erhebung, die aussieht wie ein Maulwurfshaufen. Noch einmal drückt er die grünen Stiele auseinander, ob er nicht doch einen dieser seltenen Käfer findet. Nichts. „Schade“, sagt er, „hoffentlich ist der jetzt nicht ganz verschwunden.“
Björn Schulz hatte sich gewünscht, wenigstens ein Exemplar mal zeigen zu können. Jetzt ist er ernsthaft besorgt. Sorgen und Hoffen gehören zu seinem Job. Schulz versucht ein bisschen Welt zu retten. Artensterben ist sein Thema, Arten retten seine Mission. In seinem Beruf zeigt die Uhr meist kurz vor zwölf, häufig ist sie auch schon drüber. Hier und jetzt ist er mittendrin in seiner Mission, bei dem wilden Thymian auf einer Lichtung nahe Bad Bramstedt im Süden Schleswig-Holsteins. Eineinhalb Kilometer östlich liegt die Autobahn 7. Das Rauschen dringt schon herüber. Dies, sagt Schulz, sei der einzige Ort in ganz Norddeutschland, wo der Thymianblattkäfer vor Kurzem noch krabbelte. Er selbst hatte auch mal welche entdeckt und sich bannig gefreut. Aber nun?
Vielleicht letzte Chance für vom Aussterben bedrohte Tiere
Schulz leitet für die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein ein Projekt, das in Deutschland seinesgleichen sucht. Im Fachjargon heißt es „Wiedervernetzung von Lebensräumen“. Es soll für Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind, die vielleicht letzte Chance sein. Von diesen Arten gibt es unzählige.
Es klingt paradox, aber ausgerechnet der Ausbau der A 7, der gerade in vollem Gange ist, kann für dieses Vorhaben sehr hilfreich sein. Als vor mehr als 40 Jahren die wichtigste Straßenverbindung zwischen Nord- und Mitteleuropa wie eine Schneise durchs Land geschlagen wurde, blieb viel Natur auf der Strecke. Nicht nur wegen der Flächenversiegelung. Auch, weil die Autobahn den Effekt einer fast unüberwindlichen Grenzmauer hat.
Heute ist das anders. Heute verlangen Naturschutzgesetze, beim Fernstraßenbau alles zu tun, um Schäden und Beeinträchtigungen für die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Notfalls müssen Ausgleiche geschaffen werden. Grün- oder Wildbrücken gehören dazu. Mehr als 70 stehen schon in Deutschland, 15 sind im Bau, 70 weitere geplant.
Wer die A 7 nördlich von Hamburg bereist und nicht gerade mit dem Smartphone beschäftigt ist, dem können die beiden ungewöhnlich massigen Betonbauwerke nicht entgehen. Mit einer Durchfahrtlänge von gut 60 Metern wirken sie wie Tunnel. Eine dieser Brücken bei der Raststätte Brokenlande ist schon in Betrieb, die zweite bei der Anschlussstelle Bad Bramstedt steht zur Hälfte, an der anderen Hälfte wird gerade gebaut. Fünf Millionen Euro kostet jede dieser Querungen. Nicht übermäßig viel, wenn man bedenkt, dass der gesamte A-7-Ausbau in Schleswig-Holstein knapp 350 Millionen Euro verschlingen wird.
Aus der Naturlandschaft wurde eine Nutzlandschaft
Dass die Grünbrücken entstehen, um Autofahrern Zusammenstöße mit Hirschen, Rehen und Wildschweinen zu ersparen, ist das eine. Das andere, weniger offensichtlich, ist die Arbeit von Leuten wie Björn Schulz: eine großflächige Umgestaltung – oder besser Rückgestaltung – von natürlichen Lebensräumen auf beiden Seiten der Strecke. Damit auch Kreuzotter und Knoblauchkröte, Haselmaus oder eben der Thymianblattkäfer sich erholen und sich wieder ausbreiten können. Barrierefrei, sozusagen.
Bisher habe man in Deutschland solche Grünbrücken immer dort hingestellt, wo man glaubte, dass es Sinn macht, sagt Schulz. Damit war die Arbeit erledigt. „Hier schaffen wir zum ersten Mal im großen Maßstab eine Wiedervernetzung von Lebensräumen, um einen funktionierenden Biotopverbund wiederherzustellen.“ Vor allem der Bund, aber auch Land und EU geben das Geld dafür. Man wolle hier erstmals beweisen, fügt Schulz mit Nachdruck hinzu, dass es funktioniert. Sogar in Japan hat er sein Projekt schon vorgestellt.
Björn Schulz ist ein drahtiger Typ, 47 Jahre alt, die Haare werden lichter. Ihm liegt viel daran, in Zusammenhängen zu denken und diese auch zu erläutern. Unaufgeregt und trotzdem voller Leidenschaft. Studiert hat er Landwirtschaft, promoviert wurde er in Agrarökologie. Er geht auf die Jagd, und zu Hause in Bordesholm hat er ein paar Gallowayrinder auf der Weide stehen.
Der Thymianblattkäfer ist ein höchst sensibler Geselle
Seinen Alltag bestimmt die Frage: Was ist noch zu retten? Hochmoorperlmutterfalter und Lungenenzian-Ameisenbläuling, Hasel- und Waldbirkenmaus, Fischotter, alle stark gefährdet. Wenn ihnen nicht bald geholfen wird, sind sie womöglich verloren, wie schon so viele vor ihnen. Auch wenn Björn Schulz betont, dass es bei seiner Arbeit nicht um einzelne Arten, sondern um den Erhalt der Vielfalt geht: Der Thymianblattkäfer spielt für ihn doch eine besondere Rolle. Eine „Indikator-Art“, nennt er ihn. Man könnte auch sagen: eine Schlüsselfigur. An seinem Beispiel lässt sich erklären, warum seit Jahrzehnten so viele heimische Arten von der Bildfläche verschwinden. An ihm wollen Schulz und seine Mitstreiter aber irgendwann auch messen, ob sich ihre Mühen gelohnt haben. Denn dieser Käfer mit seinen bunt schillernden Streifen auf dem Rücken ist ein höchst sensibler Geselle; ohne Thymian auf einem kleinen Hügel kommt er nicht aus. „Wenn wir es hinbekommen, diesen Käfer zu erhalten, werden wir es bei den meisten nicht so anspruchsvollen Arten auch schaffen“, sagt Schulz.
Der Thymianblattkäfer war früher hier sehr verbreitet. Damals, als auch Wisente im Süden Schleswig-Holsteins noch heimisch waren. Wildrudel, später auch Nutztiere wie Rinder und Schafe weideten in einer Kulturlandschaft. Sie hielten Gräser und Kräuter kurz, trugen mit den Hufen Pflanzensamen umher und ließen sie anderswo wieder fallen für neues Wachstum. Es gab Sandboden, Heideflächen und kleine Hochmoore – alles nährstoffarm und voller Tierleben. Auch der Thymian gedieht hier prächtig, und mit ihm der Thymianblattkäfer. Weil der nicht fliegen kann, ist er auf seine Beinchen angewiesen, doch mehr als ein paar Meter im Jahr bewegt er sich nicht.
Früher, als die Natur noch das war, was man intakt nennt, lief der Käfer von einem Thymianhügel zum anderen; sie lagen nicht weit auseinander. So wie der Feuerfalter überall seinen Kleinen Sauerampfer fand und die Haselmaus genügend Mischwald mit reichem Buschbestand. Aber seit der Mensch vor 80, 90 Jahren begann, die Landschaft nach seinen Bedürfnissen umzuformen, haben sich alteingesessene Pflanzen wie Kornrade, Scharfkraut oder eben auch Thymian vom Acker gemacht. Nährstoffe in immer größeren Mengen wurden auf Felder und Wiesen gebracht, durch Bauern und Regen. Arten- und blütenreiche Ackerränder wurden umgepflügt. Alles, um mehr Erträge zu erwirtschaften. Und dann kam auch noch Glyphosat.
Was heute Waldbesitzern und Landwirten das Einkommen sichert, sind häufig Monokulturen, zum Beispiel aus Fichten wie im Segeberger Forst und aus Mais für die Biogasanlagen. „Zwei Drittel der Fläche Schleswig-Holsteins werden landwirtschaftlich genutzt“, sagt Björn Schulz. „Wo Mais steht, dort lebt fast nichts anderes mehr!“ Und wo kein Thymian wachsen kann, finden auch seine sechsbeinigen Bewohner keine Heimat mehr.
Schätzungsweise 150 Arten sterben aus – pro Tag
Aber bemerkt es überhaupt jemand, wenn eine Art von der Erde verschwindet, die außer Biologen keiner kennt? Und wozu braucht die Welt den Thymianblattkäfer? Björn Schulz schüttelt den Kopf: „Die Frage darf man gar nicht stellen!“ Man wisse von vielen Arten noch gar nicht, welche Funktion sie im System Natur haben. Aber, da ist er sicher, wenn ein Zahnrädchen wegbreche, gehe irgendwann die ganze Uhr nicht mehr. „Selbst Mücken dürfen nicht aussterben, auch wenn wir sie lästig finden“, sagt Schulz.
Bis heute weiß die Forschung nicht, wie viele Tier- und Pflanzenarten auf der Erde leben oder lebten. Sind es drei oder zehn oder 100 Millionen? Bei der Berechnung des Artenschwunds ist man schon etwas weiter. Der Münchner Zoologe Michael Schrödl schätzt, dass bis zu 150 Arten aussterben – an jedem einzelnen Tag. Mehr als 50.000 im Jahr. Viele Menschen hierzulande haben dabei zuerst Exoten wie Orang-Utan, Spitzmaulnashorn oder Eisbär vor Augen. Die Erkenntnis, dass der tägliche Artentod auch vor der eigenen Haustür gestorben wird, beginnt erst zu reifen.
Von 4000 Käferarten, die im Vorgarten von Hamburg einmal heimisch waren, sind 700 bereits ausgestorben oder stehen kurz davor, mindestens jede zweite Art ist hochgradig bedroht. 40 Prozent aller Großschmetterlingsarten sind verschwunden oder mindestens als stark gefährdet eingestuft. Gleiches gilt für Amphibien und Reptilien.
Noch nie starben so viele Tiere und Pflanzen in so kurzer Zeit
Dass Tier- und Pflanzenarten sterben, gehörte zur Erdgeschichte immer dazu. Doch nie waren es so viele in so kurzer Zeit. Die Roten Listen sind kaum auf dem aktuellen Stand zu halten. Berichte über einen dramatischen Rückgang an Insekten schrecken auf. Zoologie-Professor Schrödl nennt den Artenschwund die „am übelsten überschrittene und leider auch die einzige irreversible planetarische Grenze“. Beim Aussterben gelte: „Futsch ist fuscht, mit unabsehbaren Konsequenzen für uns alle.“ Im Fall der Bienen ist man ziemlich sicher: keine Bestäuber, keine Früchte!
Weil die Welt zu retten immer nur im Konkreten funktioniert, haben Björn Schulz und seine Mitarbeiter die Schneise mit den – vielleicht – letzten Thymianblattkäfern Norddeutschlands für eine bessere Zukunft hergerichtet. Sie war vor langer Zeit für ein Überlandleitung angelegt worden, Bäume und Sträucher dürfen nur am Rande stehen. Die nährstoffreiche Oberschicht, etwa 30 Zentimeter dick, hat man mit Maschinen abgetragen und seitlich zu einem Wall aufgeschüttet. Zutage kam heller sandiger Boden. Ein Zustand, wie er vor vielen Jahrzehnten hier noch anzutreffen war. Blühende Gräser, Kräuter und Heide bekommen wieder eine Chance, und wie es aussieht, nutzen sie sie. Hier und da sind Kuhlen zu erkennen, vermutlich haben Hirsche sich dort gewälzt und gescharrt. Das ist wichtig, damit der Boden locker bleibt.
Schulz fährt zu einer anderen Stelle, die er naturnah hat umgestalten lassen. Ein breiter Waldweg führt dorthin, links und rechts Fichten in Reih und Glied, von Menschenhand ausgerichtet. Der Blick reicht nicht weit, schon stößt er sich am undurchdringlichen Dickicht. Spaziergänger mögen solch einen Wald idyllisch finden. „Aus Sicht des Naturschutzes ist er aber ziemlich wertlos“, raunt Schulz im Vorüberfahren.
Rechter Hand öffnet sich eine kahle Fläche. Bis zur A 7 sind es jetzt nur noch rund 600 Meter. Das Sirren der Lkw-Reifen lässt sich schon heraushören. Schulz hält an. Auch hier standen bis vor Kurzem noch Fichten, man hat sie gerodet, ungefähr einen halben Hektar. Und auch hier wurde der nährstoffreiche Boden wegplaniert, bis der ursprüngliche Sand zum Vorschein kam. „Es gab besorgte Naturfreunde, die vermuteten, dass wir einen Parkplatz anlegen wollten“, schmunzelt Schulz.
Früher, vor der intensiven Bewirtschaftung des Landes, war hier ein großes Moor. Kaum Nährstoffe, dafür Pflanzen und Insekten in Hülle und Fülle – das Schindermoor. Mit Moor war aber damals kein Geld zu machen, mit Holz schon. Man hat, um Fichten aufforsten zu können, den Boden tief aufgebrochen und dabei die natürliche Stauschicht durchlässig gemacht. So konnte das Moorwasser ablaufen. „Das war, als hätte man einen Stöpsel gezogen“, sagt Schulz. Er erwähnt auch, wie schwierig es nun ist, zu reparieren, was damals angerichtet worden sei. Auf dem freigelegten Sandboden ist der Schnitt von gemähter Heide verteilt. Wenn es gut läuft, fassen die Samen irgendwann Fuß, damit neue Heide wächst. Das kann drei bis fünf Jahre dauern.
Sogar die Vereinten Nationen zeichneten das Projekt aus
Jenseits des gerodeten Areals ist noch ein kleiner Rest vom Schindermoor erhalten. Nicht mehr ganz gesund, was Schulz an den Birken erkennt, die hier und da aus dem Sumpf ragen. Aber das Wollgras, welches vorwiegend in Mooren vorkommt, scheint sich wohlzufühlen; zahllose weiße Büschel winken im Ostwind. Und Hunderte Libellen, blauschillernde Azurjungfern, schießen dicht überm Wasser hin und her. Björn Schulz wirkt ganz zufrieden mit diesem Ort.
Vor zehn Jahren hat er mit der Wiedervernetzung von Lebensräumen begonnen. Damals baute der Bund in Kiebitzholm bei Negernbötel, zwischen Bad Segeberg und Kiel, eine Grünbrücke über die neue Autobahn 21. Es war die erste in Schleswig-Holstein. Seither arbeitet die Stiftung Naturschutz mit Förstern und Jägern, dem Wildpark Eekholt und dem Landesbetrieb Straßenbau gemeinsam daran, Schützen und Nutzen in Einklang zu bringen. Was bei so unterschiedlichen Aufgaben und Interessen nicht einfach ist; eine Fernstraße bleibt eine Fernstraße. Die Universität Kiel liefert wissenschaftliche Expertise zu dem Projekt. 2014 wurden es von den Vereinten Nationen ausgezeichnet.
Wenn man den Ökologen glauben darf, geht es ganz gut voran bei der Brücke in Kiebitzholm und deren ökologischer Hinterlandanbindung. Hirsche, Rehe und andere Säuger wechselten regelmäßig die Seiten, gefährdete Schmetterlinge, Lurche und Kröten hätten sich wieder angesiedelt, die Vielfalt an Brutvogel- und Fledermausarten sei deutlich gewachsen. Sogar die Haselmaus habe sich über die Brücke hinweg verbreitet.
Die A 21 markiert in etwa die östliche, die A 7 die westliche Flanke des Kerngebiets für die Pionierarbeit. Rund 23 Kilometer misst es in der Breite, gut 20 Kilometer erstreckt es sich von Neumünster im Norden zur geplanten Autobahn 20 im Süden. Das ergibt knapp 500 Quadratkilometer, zwei Drittel der Fläche Hamburgs.
Die Brücke verbindet wieder uralte Wildwanderrouten
In diesem Areal entstehen nicht nur wieder artengerechte Lebensräume, sogenannte Trittsteine. Auch werden sie in regionenübergreifenden Korridoren so verbunden, dass selbst die nicht so mobilen Arten eine Chance haben, ihren nächsten Trittstein zu erreichen. Und so auch den wichtigen Gen-Austausch wieder in Schwung zu bringen.
Kann man der Natur zurückgeben, was sie einst besaß?
Björn Schulz sagt, da dürfe man sich nichts vormachen. „Was uns allenfalls gelingen kann, ist eine schlechte Kopie.“ Selbst das ist im südlichen Schleswig-Holstein besonders ambitioniert. Aber auch besonders segensreich, wenn es klappt. Das nördlichste Bundesland ist auffallend schlank. Dass durch diesen Flaschenhals obendrein zwei Autobahnen und mehrere Bundesstraßen verlaufen, zerstückelt Lebenräume bis ins Kleinste. Jahrhundertealte Wanderrouten von Wildtieren sind gleich mehrfach unterbrochen. Nun werden sie mit viel Aufwand wieder verknüpft.
An der westlichen Flanke seines Projektgebiets hat sich Netzwerker Björn Schulz vom Schindermoor aus bis kurz vor die Autobahn 7 vorgearbeitet. Eine kleine Heidefläche noch, ein paar Reihen Fichten – dann schiebt sich ein mächtiger Torso aus Beton ins Bild: die Grünbrücke von Bad Bramstedt aus dem Blickwinkel der Natur. Zum Waldrand hin öffnet sie sich wie ein Trichter an der Oberseite. Das soll es den Tieren erleichtern, den Weg hinüber zu finden. Ein Wildzaun, der sich von Bordesholm bis Hamburg zieht, versperrt ihnen jeden anderen Übergang. Am Rand der Böschung fängt eine automatische Wildkamera immer mal wieder Rehe und Damhirsche ein. Es scheint, als warteten sie schon.
Bis 2019 müssen sie sich wohl noch gedulden. Die Brücke reicht erst bis zur Autobahnmitte, für die zweite Hälfte stehen die Fundamente. Wenn die Lücke geschlossen ist, wird die 1,20 Meter dicke Betondecke mit 70 Zentimetern Sand und Erde bedeckt, werden darauf Sträucher und Bäume gepflanzt, Magerrasen mit vielen Blüten ausgesät, Steine und Baumstümpfe verteilt. Irgendwann sollen sich sieben Meter über der Fahrbahn möglichst viele Arten heimisch fühlen und gefahrlos auf die andere Seite laufen, kriechen oder krabbeln können. Während Tag für Tag 65.000 Autos drunter durchrollen.
Braun gebrannt, hager, Pferdeschwanz und Jesuslatschen: Zu Ralf Hoinkis (45) fällt einem unweigerlich der Begriff Naturbursche ein. Dass Motorradfahren eines seiner Hobbys ist, darauf würde man nicht sofort kommen. Der promovierte Geowissenschaftler mit bayerischem Akzent steuert auf eine Lichtung östlich der A 7 zu. Er ist in dem Projekt Wiedervernetzung für die Amphibien zuständig. Also für Kreuz- und Knoblauchkröte, Wasser- und Moorfrosch oder auch den Kammmolch. Sie alle zählen zu den am meisten gefährdeten Arten in Schleswig-Holstein. Hoinkis’ Firma Amphi Consult Germany mit Sitz im Wendland versucht im Auftrag der Stiftung von Björn Schulz, das zu ändern.
„Wir kamen bisher auch ohne Knoblauchkröte gut aus“
Auch er muss viel Überzeugungsarbeit leisten. „Wir sind ja auf die Kooperation mit Landwirten angewiesen“, sagt er, „aber der eine oder andere fragt dann schon einmal, ob der ganze Aufwand nötig sei, man sei bisher auch ohne Knoblauchkröte ausgekommen.“ Und auch Hoinkis wird nicht müde, die Sache mit dem großen Räderwerk der Natur zu erläutern und dass man die Folgen noch gar nicht absehen könne, wenn das eine oder andere Rädchen plötzlich herausbricht.
Er streift die Latschen ab, steigt in eine Wathose und mit dieser in einen Teich. Den hat er im vergangenen Herbst wieder „funktionsfähig“ gemacht, wie er es nennt. Das A und O für das Überleben von Fröschen ist die Wasserqualität. Und die habe, sagt der Wissenschaftler, in den letzten Jahrzehnten arg gelitten. Zu viele Nährstoffe durch Dünger und Regen – das immer wiederkehrende Problem. Es lässt sich an diesem Gewässer sehr gut darstellen. Wo Hoinkis steht, ist das Wasser schon wieder klar, man erkennt den Boden und jede Pflanze darauf. Aber direkt nebenan, in einem kleinen abgetrennten Bereich, ist es fast undurchdringlich schwarz. Überfluss an Nährstoffen. Sie stammen aus einer angrenzenden Wiese, die noch bis vor Kurzem intensiv bewirtschaftet wurde.
Auch Form, Anlage und Umfeld eines Teichs bestimmen, ob er lebenswert ist – oder eben nicht. „Dieser war überwuchert von Schilf und von Sträuchern beschattet“, erklärt Hoinkis. Dem Auge des Spaziergängers mag das gefallen, wenn es schön üppig grünt. Aber in diesem Fall hat es für die Artenvielfalt böse Folgen: Gewässer verlanden, der Laich- und Lebensraum wird immer kleiner. Bis er nicht mehr ausreicht. Irgendwann sind die Amphibien weg.
Hoinkis hat einen Teil des Schilfs und die Sträucher entfernen lassen, die sandigen Ufer wurden abgeschrägt und so ausgerichtet, dass selbst die Abendsonne im Flachwasser noch ein bisschen wohlige Wärme erzeugt. Auch Amphibien mögen es komfortabel. Ihr Winterquartier finden sie jetzt gleich nebenan in einem Hügel, der aus Baumstümpfen, Sand und Grasbewuchs angelegt worden ist. Auf diese Weise hat Ralf Hoinkis etliche Teiche renaturiert, manche auch neu angelegt.
Irgendwann werden Biologen anrücken und schauen, ob seine Arbeit Früchte trägt. Sie werden zählen, welche Arten sich an den Teichen tummeln und wie viele Exemplare jeder Art. Für den nachtaktiven Kammmolch zum Beispiel setzen sie Fangreusen aus, die Rotbauchunke erkennen die Experten am wohlklingenden Ton. Sie sind sogar in der Lage, die Zahl der Tiere zu schätzen, die sie rufen hören.
Nur wenige Landeigentümer unterstützen die Arbeit
Schon jetzt geht es in dem Teich sehr lebendig zu. Augenpaare linsen über die Wasseroberfläche, was sich da wohl tut, ob Gefahr droht und es angeraten ist, abzutauchen. Von allen Seiten hört man etwas ins Wasser hüpfen. Und im Rücken des Mannes mit der Wathose meldet sich jemand lautstark zu Wort. Es ist ein Grünfrosch, und es klingt wie Schimpfen: Raus aus dem Teich, das ist meiner!
Wenn im nächsten Jahr der A-7-Ausbau abgeschlossen ist, läuft hier auch die Förderung des Bundes für die Artenrettung erst einmal aus. Die Arbeit von Projektleiter Björn Schulz ist dann keineswegs beendet. Er sagt: „Zehn bis 20 Jahre braucht es, um eine Tierart von der Roten Liste 1 auf die Rote Liste 2 zu bringen“. Status 1 heißt „vom Aussterben bedroht“, Status 2 „stark gefährdet“. Bis jetzt verfügt die Stiftung Naturschutz erst über zwei Prozent der Landesfläche. „Aber wie sollen wir auf zwei Prozent der Fläche 100 Prozent der Arten retten?“, fragt Schulz. Er sagt, 15 Prozent müssten es schon sein.
Ob und wann dieses Ziel zu erreichen ist, hängt sehr von Waldbesitzern und Landwirten ab. Wie viele sind bereit, zu verkaufen, zu verpachten oder gemeinsam mit der Stiftung eine artengerechte Umgestaltung zuzulassen? Schulz verwendet viel Zeit darauf, mit Eigentümern zu reden und ihnen klarzumachen, wie wichtig das für alle ist. „Es gibt ein paar ältere Bauern, die inzwischen umdenken und bereitwillig Land abgeben. Manche vererben es uns sogar, wenn sie keine Nachkommen haben.“
Das aber sind Einzelfälle. Der allgemeine Trend sieht anders aus. Viele Höfe rüsten auf, arbeiten mit immer größeren Maschinen und versuchen, mehr Land zu bekommen, um rentabler zu wirtschaften. Die Hektarpreise steigen, auch wegen der Nachfrage durch Biogasanlagen. Da kann Schulz’ Stiftung häufig nicht mehr mitbieten.
Bald ist genug Platz für großzügige Uferstreifen
Ein Kerl wie ein Baum, gutmütiges Gesicht, kraftvolle Stimme. Klaus Gerdes verkörpert das, was man sich unter einem echten Holsteiner vorstellt. Und er ist Bürgermeister von Schmalfeld. Das Gebiet der Gemeinde mit ihren rund 1900 Einwohnern reicht im Westen fast bis an die A 7 heran. Gerdes hat sich am Ufer der Schmalfelder Au aufgebaut, kurz vor der Stelle, an der das Flüsschen die Autobahn unterquert. Zwei Kräne ragen in den Himmel, für neue Brückenfundamente sind die Verschalungen schon montiert.
Gerdes ist froh über das, was hier gerade geschieht. Früher war die Unterführung 24 Meter breit, jetzt nutzt man den Autobahnausbau dazu, sie auf 42 Meter zu erweitern. „Bisher“, sagt er, „führte der Fluss zwischen steilen Betonufern durch, und auf jeder Seite war ein Weg.“ Die Wege werden erneuert, sie sind beliebt bei Spaziergängern, man erreicht bequem die andere Seite der Autobahn. Und wenn alles gut geht, gibt es auch eine neue Fußgängerbrücke über den Fluss; die alte wurde vor Jahren abgerissen.
Wichtiger noch: Bald ist auch Platz genug für großzügige Uferstreifen mit sanfter Neigung, auf denen Gras und andere Pflanzen wachsen. Das hilft zum Beispiel Schmetterlingen und Heuschrecken, die Barriere A 7 zu passieren, aber vor allem haben die Artenschützer den bedrohten Fischotter im Blick. Denn der läuft, wie sie sagen, nicht gern unter dunklen Brücken, und schon gar nicht auf Beton. Eher nutzt er ein Loch im Wildzaun und versucht, über die Fahrbahn auf die andere Seite zu gelangen. Seine Chancen, heil anzukommen, stehen meist nicht gut.
Bürgermeister Gerdes hat noch weiteren Grund, sich zu freuen: Schmalfeld vermachte dem Stiftungsprojekt kürzlich einen Waldweg, der durch einen Privatforst führt, ein paar Steinwürfe weiter nördlich. Fußgänger hatten ihn benutzt, häufig auch Motocross-Sportler, manchmal Autofahrer als Abkürzung. Jetzt ist er für die Öffentlichkeit gesperrt, mit aufgeschütteten Wällen hat man die Kopfseiten dichtgemacht. Der nährstoffreiche Waldboden ist abgetragen, der tiefer liegende Sand kam zum Vorschein, bester Grund für Heidekraut und andere blütenreiche Arten. Ganz nach dem Geschmack von Projektleiter Björn Schulz.
... und immer wieder Mais für die Biogasanlagen
Ein bisschen stolz darauf ist Gerdes schon. „Die Stiftung hat uns ihr Projekt vorgestellt, und wir im Gemeinderat waren beeindruckt davon“, sagt er. Niemand habe etwas dagegen gehabt, auf den Weg zu verzichten. Selbst Landwirte nicht, die ihn ab und zu nutzten: „Denn föhrt wi eben annersrüm.“ Endlich, sagt Gerdes, konnte man der Natur mal etwas zurückgeben, „sonst nehmen wir ihr ja ständig etwas weg“, für Neubaugebiete, Gewerbe oder Wanderwege.
Der Mann von der Wählergemeinschaft führt seit zehn Jahren die Gemeinde, kürzlich wurde er für eine weitere Amtszeit gewählt. Solche Einsichten, wie mit der Natur umgegangen werde, habe er nicht immer gehabt, gibt er zu. Vor 65 Jahren als Bauernsohn geboren, ist er auf und mit dem Land aufgewachsen, hat es dann Jahrzehnte lang selbst bestellt. Hat er etwas davon mitbekommen, dass Tier- und Pflanzenarten von der Bildfläche verschwinden? „Als aktiver Landwirt habe ich mich um meinen Betrieb gekümmert“, sagt er, „ich habe auf den Ertrag geachtet.“ Über größere Zusammenhänge nachzudenken sei gar keine Zeit gewesen.
Aber seit er öffentliche Verantwortung trage, mache er sich viele Gedanken über die Natur als Ganzes. Und über das, was sie bedroht. „Als unsere Biogasanlage entstanden war, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Was wir da gemacht haben, mit dieser Monokultur Mais ...“, sagt er. So dürfe es nicht weitergehen. Die Landwirtschaft sei, der Not gehorchend, viel einseitiger geworden. Doch der Bauer glaube eben nicht, was er nicht sehe. „Erst wenn es ihm ans Portemonnaie geht, merkt er, dass sein Boden keinen Humus mehr hat.“
Bürgermeister Gerdes hat allerdings wenig Hoffnung, dass die nachfolgende Generation etwas ändere. „Ich erlebe da noch kein Umdenken“, sagt er, die Jungen machten es genauso wie seine Generation. „Deren Gesprächsthemen sind ganz andere, als die Natur zu erhalten.“
Keine wirklich guten Nachrichten für Artenschützer wie Björn Schulz.