Westerland. Eine Zugreise auf Hamburgs beliebteste Nordsee-Urlaubsinsel ist derzeit alles andere als erholsam: Ein Erfahrungsbericht.

Zumindest auf den „Verspätungsalarm“ ist Verlass. Auf dem Smartphone ist er aufgepoppt, unterstützt von einem akustischen Si­gnal. „Für Ihre gebuchte Verbindung haben sich Abweichungen ergeben“, teilt die Bahn bei der Reise nach Sylt mit. Irgendwie kommt das nicht so furchtbar überraschend angesichts der Situation auf der Strecke in den vergangenen Tagen, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Immerhin ist wunderschönes Wetter an diesem Freitag, die Sonne brennt, und vor allem Hamburger sind traditionell reif für die Insel. Zur Not eben auch mit ein wenig Verzögerungen.

Seit Tagen ist die Geduld der Hanseaten arg strapaziert worden. Wegen einer „Großstörung“, wie die Bahn es nennt, waren bis zu 14 Züge pro Tag von und nach Westerland ausgefallen. Und die, die fuhren, hatten zum Teil erhebliche Verspätung. So sind manche der Reisenden an diesem Freitag auf Schlimmes gefasst. „Mal sehen, wann wir ankommen. Ändern können wir ja eh nichts“, sagt eine Dame im Zug, der laut Fahrplan um 11.35 Uhr in Westerland ankommen soll. „Wir schleichen uns so langsam ran“, stellt ein Fahrgast kurz vorm Ziel fest. Es ist, als habe sich der eine oder andere anlässlich der Chaos-Meldungen der vergangenen Tage gewissermaßen präventiv mit erstaunlichem Langmut gewappnet.

SPD will den Bahnpendlern helfen

Und er war damit definitiv im Vorteil. Denn die Verbindung von Altona nach Sylt ist immer noch gestört; die Reisenden müssen erst nach Elmshorn gelangen, um dann in den Zug nach Westerland umsteigen zu können. Einer von denen, die darunter zu leiden haben, ist Hans Melderis. Der Internist aus Hamburg fährt häufiger nach Sylt. „Üblicherweise ist die Verbindung im Sommer in Ordnung, aber jetzt ist es nervig“, sagt der 72-Jährige. Gegen 7 Uhr ist er in Hausbruch aus dem Haus gegangen und hat die S-Bahn nach Altona genommen. „Da habe ich feststellen müssen, dass der Zug um 8.20 Uhr ausgefallen ist.“

Dann erfährt Melderis, wie er zügig nach Elmshorn und von da weiter nach Westerland kommt. „Ich hatte gerade noch eine Minute Zeit, um schnell in den Zug von Altona nach Wrist zu springen, der auch in Elmshorn hält.“ Dort wartet er auf den Anschluss nach Westerland. Aber auch hier gibt es Verzögerungen. Für einen Zug, der nach Kiel gehen und wie die Bahn nach Westerland von Gleis 1 abfahren soll, sind 15 Minuten Verspätung angekündigt. Bei der elektronischen Anzeige am Bahnsteig wechselt es von Kiel auf Westerland, dann wieder zurück nach Kiel. Irritationen bei den Wartenden: Welcher Zug rollt denn nun als nächster ein? Und fährt die Bahn nach Sylt überhaupt? Eine kleine Menschentraube bildet sich um einen Bahnmitarbeiter am Gleis, alle wollen dasselbe wissen. Der Zugbegleiter beantwortet die Fragen geduldig. Erst kommt der Zug nach Kiel, dann der nach Westerland. Fünf Minuten später als geplant fährt er los.

Ausflug wird zur Geduldsprobe

Peter W. aus Barmbek hat am Morgen im Internet geguckt, „ob es aktuelle Meldungen über die Verbindung nach Westerland gibt“, erzählt der 50-Jährige, der mit seiner Frau Caroline für einen Kurztrip nach Sylt gestartet ist. „Es gab aber nur die allgemeine Information, dass es zu Beeinträchtigungen kommt; darüber hinaus stand dort nichts.“ In Altona habe es dann an einer Anzeigetafel geheißen, „dass man die Nordbahn nach Elmshorn nehmen muss, die aber früher fährt“.

Am vergangenen Wochenende war ein Ausflug nach Sylt für den Hamburger bereits zur Geduldsprobe geraten. „Der Zug sollte 18.52 Uhr ab Westerland gehen. Am Bahnhof hieß es plötzlich, die Abfahrt verspäte sich um 60 Minuten.“ Peter W. nahm die nächste mögliche Verbindung um 19.22 Uhr. Entgegen einer Ansage habe dann ein Anschlusszug von Itzehoe nach Elmshorn nicht gewartet. „Und nun standen etwa 150 Menschen auf dem Bahnsteig und wussten nicht, wie sie weiterkommen sollten.“ Schließlich habe der verspätete Zug aus Westerland außerplanmäßig auch in Itzehoe gehalten. „Wir waren drei Stunden nach der geplanten Zeit zu Hause“, kritisiert Peter W. „Ich finde die Informationspolitik katastrophal.“

Verzögerung als Erfolgsmeldung präsentiert

Stephanie Heidinger ist von Berlin auf die Nordseeinsel unterwegs. Eigentlich habe sie bis Altona durchfahren und dort in ihren Zug nach Sylt umsteigen wollen, erzählt die 20-Jährige. „Aber der Zug fuhr nur bis Hauptbahnhof, dann musste ich die S-Bahn nehmen.“ In Altona sah die Berlinerin, dass für den Zug, der in der Gegenrichtung unterwegs war, von der Insel nach Hamburg, an der Anzeigetafel am Bahnsteig eine Verspätung von 30 Minuten angekündigt war. „Und gleichzeitig hieß es, dass er ausfällt. Das war nun wirklich irritierend!“ Heidinger ging zum Schalter. „Dort sagte man mir, ich sollte um 7.55 Uhr bis Elmshorn fahren. Und dann wechselte auf unserem Bahnsteig immer die Anzeige von Kiel auf Westerland und zurück. Aber jetzt habe ich es ja wohl geschafft.“

Der Hamburger Hans Melderis auf dem
Weg nach Sylt
Der Hamburger Hans Melderis auf dem Weg nach Sylt © Bettina Mittelacher

Die 20-Jährige hat recht - mit einigen Einschränkungen. Erst macht der Zug ordentlich Tempo. Und so kann sogar noch eine Verzögerung als Erfolgsmeldung präsentiert werden: „Liebe Fahrgäste, ein Hinweis für Sie: Wir fahren nur noch mit zwei Minuten Verspätung“, heißt es kurz hinter Heide. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer. In Husum, wo die Bahn um 10.30 Uhr weiterfahren sollte, wird über den „Verspätungsalarm“ eine Verzögerung von sechs Minuten angekündigt. Tatsächlich setzt sich der Zug mit 19 Minuten Verspätung in Bewegung. Um 12.05 Uhr, 30 Minuten nach Fahrplan, kommt die Bahn in Westerland an.

Für die Rückfahrt um 14.22 Uhr können die Reisenden bis nach Altona durchfahren, verkündet die Bahn. Doch dann gibt es ein Türproblem, der Zug startet mit 25 Minuten Verspätung. Weitere Minuten kommen hinzu. Die letzte Durchsage gleicht einer Kapitulation: Der Zug fährt doch nur bis Elmshorn.