Heide. Zwei aggressive Keiler verbreiten stundenlang Angst und Schrecken, verletzen Menschen, zerlegen Läden. Einer von ihnen wird erlegt.
Blutige Bisse und Schmerzensschreie in Heide: Zwei Wildschweine gefährden am Freitag an Deutschlands größtem Marktplatz die Menschen. Wenige Stunden vor dem Start der traditionellen Dithmarscher Wildwochen – einem kulinarischen Highlight der Region – versetzen die Schwarzkittel die beschauliche Kleinstadt in den Ausnahmezustand. Weil die panischen Tiere Läden stürmen und Menschen verletzen, sperrt die Polizei am Morgen die Innenstadt ab und fordert die Bevölkerung auf, die Gebäude nicht zu verlassen. Zwei Stunden dauert es, dann beendet der Schuss eines Jägers den Spuk.
„Wildschweine sind im Grunde friedliche Tiere“, sagt Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung. „Nur in Extremfällen kann die Begegnung mit einem Wildschwein gefährlich sein.“ Das sei zum Beispiel der Fall, wenn ein Keiler verletzt werde. Dann verhalte er sich sehr aggressiv, sagte der Biologe. „Das sind einzelne, verletzte Tiere, und die greifen immer wieder an.“ Mit ihren messerscharfen Eckzähnen und dem massigen Körper können Keiler es locker mit einem Menschen aufnehmen.
Erhebliche Sachschäden
Es ist gegen neun Uhr am Morgen, als die beiden Wildschweine das erste Mal in der Heider Innenstadt gesehen werden. Die Tiere seien möglicherweise bei der Maisernte aus einem Feld aufgescheucht worden, vermutet ein Jäger. Video-Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, wie ein Tier das Geschäft eines Optiker stürmt. „Der Keiler drückt sich durch eine geschlossene Glastür, verletzt eine Seniorin und richtet in dem Geschäft erhebliche Sachschäden an“, sagt Polizeisprecherin Merle Neufeld. Anschließend versetzt das Tier nach Angaben des NDR in einem Bäckerladen die Kunden in Angst und Schrecken. Eine Verkäuferin berichtet dem Radiosender, eines der Wildschweine habe einen Gast geradezu „aus dem Laden geprügelt“.
Endstation für den Keiler ist letztendlich eine Sparkassenfiliale. Auf dem Weg dorthin greift er eine Passantin an, drückt sich dann durch die gläserne Eingangstür ins Bankgebäude. In dem hell erleuchteten Kassenraum rennt das Tier zwischen Schreibtischen hin und her, stößt einen mannshohen Aufsteller um. Panik bei den Angestellten und den Bankkunden. Einige Kundenberater flüchten in ihre kleinen Büroräume. Während sie aus Fenstern ins Freie klettern, sind Kunden und Filialleiter mit dem Keiler alleine. Der Filialleiter wird am Bein verletzt, sagt Heides Bürgermeister Ulf Stecher (CDU). Ein anderer Mann verliert bei einem Biss einen Teil seines Fingers.
Jäger erschießt das Tier
Immer wieder rennt der wild gewordene Keiler kurz aus dem Gebäude hinaus, bevor es den Menschen im Gebäude gelingt, die Türen von innen zu verbarrikadieren. Per Drehleiter und über Fenster werden sie aus dem Gebäude geholt. Die Polizei verstellt dem Keiler mit zwei quergestellten Streifenwagen die Flucht. Das Tier kriecht unter eines der Fahrzeuge. Ein Jäger erschießt das Tier, um weitere Gefährdungen und Schäden zu verhindern. Die Polizei hat zu großkalibrige Waffen, ein Schuss aus diesen Waffen hätte weitere Schäden zur Folge haben können. „Einfangen kann man es nicht“, ist zu hören. Das zweite Wildschwein verschwindet schließlich aus der Stadt. „Das war eine ganz außergewöhnliche Situation“, sagt Bürgermeister Stecher nach aufregenden Stunden. „Zum Glück hat der erste Schuss gesessen.“ Stecher ist als Augenzeuge dabei, als der Jäger Uwe Ingwersen das Tier tötet.
Schwarzwild ist in Dithmarschen eher selten
Der Keiler werde trotz der Dithmarscher Wildwochen nicht auf der Speisekarte eines Restaurants landen, sagt ein Polizeisprecher. Das Fleisch sei wegen des Stresses des Tieres kein Genuss. Laut Landesjagdverband hat sich die Wildschwein-Population in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren stark vergrößert. Hinweise auf eine Wildschwein-Plage gebe es bislang aber nicht. Der nördliche Teil Dithmarschens sei nicht gerade dafür bekannt, dass dort Schwarzwild sein Unwesen treibt. „Ich hätte niemals gedacht, dass wir einmal eine solche Gefahrenlage haben würden“, sagte Bürgermeister Stecher. Die Polizei warnte die Bewohner, sich Wildschweinen nicht zu nähern, wenn diese in die Stadt kommen. Solche Vorfälle sollten stets der Polizei gemeldet werden, hieß es.
Die Waldbewohner seien wahrscheinlich wegen der ungewohnten Umgebung in Panik geraten, sagte ein Polizeisprecher. Das andere Wildschwein war gegen 11 Uhr noch am Ortsrand gesehen worden, anschließend gab es keine Meldungen mehr über seinen Verbleib. „Das Tier hält sich wohl wieder außerhalb des Stadtgebiets auf“, sagte der Sprecher um 12.40 Uhr. Das Problem der stark angewachsenen Wildschwein-Populationen besteht auch an anderen Orten im Norden. Im Harburger Umland war zuletzt von einer regelrechten Plage die Rede. Hier locken milde Winter und reichhaltige Nahrung die Tiere immer näher an die Wohngebiete heran.