Hamburg. Auf Beschluss der EU-Minister sollen 39 Prozent weniger Hering gefangen werden. Verband klagt: „Damit können wir nicht leben“.

Ihre Marathon-Sitzungen sind legendär: Jedes Jahr treffen sich die Fischereiminister der EU-Länder, um in lang anhaltenden Diskussionen die Fangquoten fürs kommende Jahr festzulegen. Gestern einigten sie sich auf die Mengen, die 2018 in der Ostsee gefischt werden dürfen. Ergebnis: Schleswig-Holsteins Fischer sehen harte Zeiten auf sich zukommen. Sie dürfen im kommenden Jahr nämlich fast 40 Prozent weniger Heringe fangen als 2017. Warum das so ist, wie die Umweltschützer die Lage sehen und was die Fangquoten eigentlich sollen, beantwortet das Abendblatt im Folgenden.

Warum gibt es überhaupt Fangquoten
für Fische?

Mit den Fanquoten, die jedes Jahr neu festgesetzt werden, regulieren die Fischereiminister der EU zweierlei: Zum einen verhindern sie Auseinandersetzungen zwischen den an der Fischerei beteiligten Nationen, indem jedes Land von vornherein weiß, wie viel es innerhalb eines Jahres aus dem Meeresbestand entnehmen darf. Zum anderen kämpft die EU gegen eine Überfischung an. So haben die Staaten der Gemeinschaft beschlossen, in allen Gewässern bis 2020 einen gesunden Bestand herzustellen. Darunter versteht man, dass im Meer so viele Fische nachwachsen können, wie man ihm entnimmt. Dazu müssen die Bestände ausreichend groß sein, was über die Quote reguliert wird.

Was wurde von der EU
jetzt beschlossen?

In der westlichen Ostsee sinken die erlaubten Hering-Fangmengen im Jahr 2018 um 39 Prozent. Die Fangquote für den Dorsch bleibt unverändert. In der zentralen Ostsee – die für Küstenfischer zu weit weg ist – werden die erlaubten Fangmengen für Hering um 20 Prozent erhöht und für Sprotten in der gesamten Ostsee um ein Prozent. Einschränkungen in der gesamten Ostsee gibt es auch für Schollen (minus zehn Prozent) und Lachs (minus fünf Prozent).

Warum sind die Bestände in den
Ostseegebieten unterschiedlich?

„Es gibt einige wenige Überschneidungen, aber im Allgemeinen bleiben die Bestände für sich“, sagt Stella Nemecky, Fischereiexpertin beim WWF. Dem Heringsbestand im zentralen Ostsee­becken gehe es ganz gut, in der westlichen Ostsee sei er wegen Überfischung stark zurückgegangen.

Was sagen die Umweltschützer
zu den Beschlüssen der EU?

Der WWF bezeichnet die Kürzung der Heringsfischerei in der westlichen Ostsee als „Hoffnungsschimmer“, fordert aber eigentlich mehr: „Die Situation der deutschen Brotfische in der westlichen Ostsee ist besorgniserregend. Bei den hauptsächlich von Deutschland und Dänemark bewirtschafteten Beständen von Dorsch und Hering haben die Minister die Bestandserholung bisher nicht in den Griff bekommen.“ Die diesjährige Entscheidung sei zwar ein guter Schritt, werde aber das Ziel der Fischereipolitik, bis 2020 gesunde Bestände zu erreichen, trotzdem verfehlen, sagte Nemecky. Zudem gingen die EU-Minister beim Schutz des Dorsches nicht weit genug. „Zum Erhalt des Dorsches müssten dringend Begleitmaßnahmen wie Einschränkungen für Freizeitfischer durchgesetzt werden, die dann auch zu kontrollieren seien“, sagte die Fischereiexpertin.

Wie reagieren die Fischer
auf die neuen Fangquoten?

Der Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischer fordert wegen der Kürzungen eine Erweiterung des Nothilfeprogramms. Das in diesem Jahr begonnene Hilfsprogramm für die Dorsch­fischer müsse auf die Heringsfischerei ausgeweitet werden. „Mit den jetzt verabschiedeten Gesamtfangmengen können wir nicht leben“, sagte der Vorsitzende des Verbands, Dirk Sander. Er rechnet damit, dass viele Betriebe aufgeben müssen, und fordert daher Ausgleichszahlungen vom Bund für die befristete Stilllegung von Fischereifahrzeugen. Dazu muss man wissen, dass die kleinen Küstenfischer vor allem vom Herings- und Dorschfang leben.

Wie steht es um den Aal, für den
es noch keine Bestimmung gibt?

„Der Aal ist vom Aussterben bedroht, und zwar so stark, dass praktisch jeder gefangene Fisch die Situation verschlechtert“, sagt Umweltexpertin Nemecky. Über die schwierige Lage sind sich die EU-Mitgliedstaaten bewusst, eine einheitliche Linie zum Schutz des Aales gibt es aber noch nicht. Zwar hatte die EU-Kommission ein Fangverbot in der Ostsee gefordert, allerdings konnten sich die Fischereiminister bei ihrer 20-stündigen Verhandlung dazu nicht durchringen. Stattdessen soll beim nächsten Treffen im Dezember, wenn es um die Fangquoten für die Nordsee und den Atlantik geht, nach einer gesamteuropäischen Lösung zum Schutz des Aales gesucht werden.

Wird der Hering jetzt eigentlich
im Laden teurer?

Vermutlich nicht. „Der Hering aus der Ostsee wird zwar geringer, aber in der Nordsee gibt es einen viel größeren Bestand, der die fehlenden Mengen ersetzt“, sagt Claus Ubl vom Deutschen Fischerei-Verband. Allerdings sind die Preise nicht völlig von den Fangquoten unabhängig. „Hat sich beispielsweise ein Bestand erholt, achten die Minister darauf, die Fangmengen nicht zu hoch zu setzen, um einen Preisverfall zu vermeiden“, so WWF-Expertin Nemecky.

Wie rechtfertigt der zuständige
Bundesminister die Beschlüsse?

Die notwendigen Quotenkürzungen seien schmerzlich für die deutschen Ostseefischer, sagte Bundes-Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU). „Aber nur gute Bestände sichern langfristig die wirtschaftliche Perspektive der Ostseefischerei. Mit der heutigen Entscheidung leisten wir einen Beitrag zur weiteren Erholung der Bestände und zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Ostsee.“ Rückenwind bekam Schmidt von Schleswig-Holsteins Fischereiminister Robert Habeck (Grüne): „Die Festlegung der zulässigen Fangmengen richtet sich eng an den wissenschaftlichen Empfehlungen aus. Dieser Kurs ist richtig.“