Hamburg/Rostock. Auch dem Dorsch erschweren steigende Temperaturen das Leben – und Freizeitfischer. Beratung über Fangquoten im Oktober.

Überdüngung, Fischerei, steigende Temperaturen, unterschiedliche Mischungen von Süß- und Salzwasser – mit seinen speziellen ökologischen Bedingungen ist die Ostsee nicht gerade ein Meer, in dem sich viele Arten wohlfühlen. „Es gibt nur eine sehr kleine Anzahl von Meeresfischen, die überleben und sich vermehren können und dann von der Fischerei genutzt werden. Nur sehr wenige Arten machen mehr als 90 Prozent der Fänge aus: Das sind neben Dorsch und Hering vor allem die Sprotten, der größte Fischbestand in der Ostsee. Hinzu kommen die Plattfische, wie Scholle, Flunder, Kliesche, Stein- und Glattbutt“, sagt Dr. Christopher Zimmermann, Direktor des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock.

Den meisten Beständen gehe es ausgezeichnet, sagt der Fischereibiologe: Sie hätten in den vergangenen Jahren zugenommen, seien auf hohem Niveau stabil und würden nachhaltig bewirtschaftet. „Das gilt für fast alle Plattfische, die Heringe und die Sprotten. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen, die besonders die deutsche Fischerei treffen: die Herings- und Dorschbestände in der westlichen Ostsee“, sagt Zimmermann.

Bei den Heringen liegt das Pro­blem wahrscheinlich in der steigenden Temperatur. Die Fische erhalten offensichtlich im Winterquartier im Öresund zwischen Schweden und Dänemark ein Signal durch steigende Temperaturen, wann es Zeit ist, sich zum Ablaichen auf den Weg in das flache Küstengewässer in den Greifswalder Bodden zu machen. Dort legen sie ihre Eier ab, die normalerweise drei Wochen brauchen, um sich zu entwickeln.

Einzellige Algen treten lichtgesteuert auf

Eine weitere Woche haben sie noch einen Nahrungsvorrat im Dottersack. Dann ernähren sie sich von Larven kleiner Krebse, die sich nur entwickeln, wenn es genügend einzellige Algen gibt, sogenanntes Phythoplankton. Dieses Phytoplankton tritt lichtgesteuert auf, ist also nicht von der Temperatur abhängig. „Und da liegt das Pro­blem: Wenn sich die Temperatur erhöht, wird der gesamte Prozess beschleunigt. die Larven brauchen Futter zu einem Zeitpunkt, an dem das Phytoplankton noch nicht zur Verfügung steht, weil die Lichtverhältnisse im Gegensatz zur Temperatur konstant geblieben sind. Das ist nach unseren Forschungen der Hauptgrund dafür, dass es seit einigen Jahren immer weniger Larven und dann auch weniger erwachsene Heringe in der westlichen Ostsee gibt.“

Wie diesen Heringen könnte es auch noch anderen Fischen ergehen, wenn das Wasser in der Ostsee im Zuge des Klimawandels immer wärmer wird. Meist sind Fischbestände am empfindlichsten in ihrer frühen Lebensphase. „Die Arten, die ihren Nachwuchs im Flachwasser großziehen, werden wahrscheinlich unter einer Temperaturerwärmung am meisten leiden, während die Arten, die im tiefen Wasser laichen, das wahrscheinlich deutlich länger überstehen können“, sagt Zimmermann.

Allerdings nur dann, wenn in der Tiefe auch genug Sauerstoff vorhanden ist, was in der Ostsee nicht überall der Fall ist. „Insgesamt gehen wir davon aus, dass die Temperaturerhöhung für die Nutzbarkeit der kommerziell genutzten Fische nicht vorteilhaft ist, dass die physiologischen Anforderungen steigen und die Produktivität dieser Bestände eher sinkt. Es kommen weniger Jungfische durch und die Folge ist immer, dass man die Fangquoten reduzieren muss“, sagt Zimmermann.

Überfischung gefährdet Dorsch

Ob der Klimawandel auch schuld daran ist, dass die Dorschbestände schrumpfen, darüber gibt es geteilte Meinungen. Während Kieler Forscher davon ausgehen, dass es für den Dorsch in der Ostsee zu warm wird, sagt Zimmerman: „Dafür haben wir keine Anhaltspunkte. Wir sind der Meinung, dass der Dorsch durch Überfischung gefährdet ist. Aber das EU-Parlament und die EU-Fischereiminister haben bis zum vergangenen Jahr keinen Weg gefunden, um die Fangquoten ausreichend herunterzusetzen“, sagt Zimmermann.

Er und seine Kollegen haben jetzt die Hoffnung, dass sich der westliche Dorsch nach einem sehr schwachen Jahrgang 2015 und einem überdurchschnittlichen Jahrgang 2016 bis 2019 wieder aufbaut. „Dafür muss man jetzt ein weiteres Jahr die Fangmengen noch sehr niedrig halten.“ Über Fangquoten wird auf einer Konferenz im Oktober entschieden. „Für 2017 sind die Minister der Empfehlung der Wissenschaft weitgehend gefolgt, und haben die Fangmenge der Berufsfischerei für den Dorsch um 56 Prozent reduziert. Die Wissenschaft hat für das nächste Jahr empfohlen, dass die Fangmenge wieder um acht Prozent steigen kann, und wir hoffen sehr, dass es dabei bleibt“, sagt Zimmermann.

Doch nicht nur Berufsfischer müssen den Dorschfang einschränken. Wie sich herausgestellt hat, haben Freizeitfischer in den vergangenen Jahren genauso viel Dorsch gefangen wie Berufsfischer. Deswegen gilt seit 1. Januar 2017 für Freizeitfischer eine Tageshöchstfangmenge. „Jeder Angler darf pro Tag nicht mehr als fünf Dorsche fangen, in der Laichschonzeit drei. Wer mehr als fünf Dorsche gefangen hat, wird wegen Fischwilderei betraft“, sagt Zimmermann.

Wie Fischbestände geschont werden

Die kleine Fischgemeinschaft in der Ostsee ist relativ stabil. Zwar gab es durch starke Salzwassereinströmungen immer mal wieder exotische Gäste wie Mondfische, kleine Thunfische, Rotbarben, Streifenbarben, Seelachse. „Aber in der Regel verschwinden nach ein bis zwei Jahren wieder. Schwieriger ist es, wenn wir Einwanderer haben, die hier ein festes Element der Fauna werden.“ Prominentestes Beispiel ist die Schwarzmundgrundel, die 30 bis 40 Zentimeter groß werden kann. Diese Grundelart frisst alles, was ihr in den Weg kommt. „Sie hat sich von Osten aus immer weiter nach Westen in den salzhaltigeren Teil der Ostsee ausgebreitet. Welchen Einfluss sie hat, wissen wir noch nicht genau.“

Es gibt noch weitere Fischarten, die aber nur zu bestimmten Zeiten anzutreffen sind: Meerforellen, die zum Laichen in die Flüsse wandern, und Lachse, die dafür aus dem Meer in die Ostsee kommen. Auch sie werden befischt. Dann gibt es noch eine Reihe von kleineren Arten, die wirtschaftlich nicht von Bedeutung sind. Das sind Alsen, Finten und Schnäpel, die immer einen Teil ihres Lebens im Salzwasser und den anderen im Süßwasser verbringen. Andere Fische spielen aufgrund ihrer geringen Größe in der Fischerei keine Rolle, wohl aber ökologisch. Als Beispiel nennt Zimmermann den dreistachlichen Stichling, der sich auch als Laichräuber entpuppt hat.

Die Fischer haben verschiedene Möglichkeiten, die Fischbestände in der Ostsee zu schonen; durch gezielte Auswahl der Fangplätze, in denen bestimmte Fische nicht vorkommen, und durch den Einsatz spezieller Netze. „Bei der gemischten Fischerei, in der man Plattfische und Dorsche immer zusammen fängt, wie hier in Deutschland, können technische Maßnahmen helfen“, sagt Zimmermann und nennt Netze, die so aufgebaut sind, dass bestimmte Fische daraus wieder entkommen können.

„Wir haben in unserem Institut ein Schleppnetz entwickelt, mit dem man zunächst die Plattfische aussortieren kann und weiter hinten die kleinen Dorsche.“ Die Stellnetze seien meist hochselektiv, was Zielarten und Größen angehe. Die meisten kleinen Schiffe setzen Stellnetze ein, aber die größten Fangmengen haben große Schiffe mit den Schleppnetzen.“