Kiel. Der FDP-Politiker über die Wahlempfehlung des türkischen Staatspräsidenten und seine Skepsis gegenüber einer Koalition mit der CDU.

Vielleicht ist das jetzt gerade die erfolgreichste Zeit seines politischen Lebens. Im Mai hat Wolfgang Kubicki (65) die FDP in Schleswig-Holstein aus der Opposition in eine Jamaika-Koalition geführt. Bei der Bundestagswahl am 24. September könnte der nächste Sieg gefeiert werden. Sofortiger Wiederaufstieg ins Parlament in Berlin – wer hätte das nach der bitteren Niederlage im September 2013 gedacht? Selbst der nur selten zweifelnde Wolfgang Kubicki nicht, wie er offen zugibt.

Gemeinsam mit dem Parteichef Christian Lindner hat er als stellvertretender Bundesvorsitzender drei Jahre lang Dauerwahlkampf gemacht, um die Liberalen vor den Qualen des medialen Desinteresses zu schützen. Jetzt ist es so weit: Die Ernte kann eingefahren werden. Kubicki, lange das Enfant terrible der FDP, ist heute der Schutzheilige seiner Partei.

Denken Sie noch manchmal an den September 2013 zurück, als die FDP aus dem Bundestag flog?

Wolfgang Kubicki: In letzter Zeit sehr häufig, insbesondere an den Wahlabend und an das damals gegebene Versprechen zwischen Christian Lindner und mir, dass wir uns in der Nacht vom 24. auf den 25. September 2017 in demselben Berliner Lokal treffen, in dem wir uns am Wahlabend 2013 kurz nach Mitternacht getroffen haben. Wir werden dann feststellen, dass das, was wir uns damals versprochen haben, eingetreten ist. Damals war es mehr eine Hoffnung, dass wir in den Deutschen Bundestag zurückkehren. Heute ist es die hoffnungsfrohe Erwartung.

Sie haben die Bundes-FDP in den vergangenen vier Jahren deutlich stärker geprägt als vor 2013.

Kubicki: Definitiv. Bis zum Jahr 2013 galt ich als der Quartals-Irre aus dem Norden. Seit 2013 bin ich stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei mit Wahlergebnissen von über 90 Prozent. Das zeigt, dass sich auch die Partei geändert haben muss. Bei uns wird jetzt wesentlich offener diskutiert. Es läuft nicht mehr so, dass der Parteivorsitzende eine Idee hat und alle anderen bedingungslos folgen müssen. Wir wollen Menschen nicht erziehen, sondern sie dazu befähigen, aus ihrem Leben das Beste zu machen. Wir vermitteln mittlerweile wieder ein Lebensgefühl. Das gab es 2013 so nicht.

Und mit diesem Lebensgefühl will die FDP nun aus dem Nichts der außerparlamen­tarischen Opposition heraus direkt auf die Regierungsbank.

Kubicki: Ob es eine Regierungsbeteiligung wird, weiß ich noch nicht. Das primäre Ziel ist, möglichst stark in den Bundestag zurückzukehren. Es geht auch darum, eine andere Diskussionskultur einzuführen. Ich höre von Kollegen von Ihnen aus Berlin, dass man sich darauf freut, dass künftig wieder mit mehr Schwung im Bundestag diskutiert wird.

Ist Ihr Wunsch eine schwarz-gelbe Koa­lition?

Kubicki: Nein, Schwarz-Gelb ist nicht unser Wunsch. Unser Wunsch ist ein möglichst gutes Ergebnis. Selbst wenn es für eine gemeinsame Mehrheit reicht, heißt das nicht, dass es Schwarz-Gelb geben wird. Es hängt davon ab, worauf man sich verständigen kann. Niemand von uns muss dringend in ein Kabinett. Bei Koalitionsverhandlungen wird es natürlicherweise Essentials geben. Unter anderem brauchen wir ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz. Im Bereich der inneren Sicherheit werden wir sehr wahrscheinlich Probleme mit der Union bekommen.

Denn diese wahnsinnige Idee der Vorratsdatenspeicherung muss gestoppt werden. Ich will nicht, dass meine Verbindungsdaten – und die von 82 Millionen unbescholtenen Bürgern – aufgezeichnet werden. Nächstes Beispiel: Behörden nehmen heute fast 500.000 Bankkontenabfragen pro Jahr vor. Das war mal als Instrument gegen den Terrorismus gedacht, heute wird es fast schon standardmäßig angewandt. Das müssen wir zurückschrauben.

Was glauben Sie, wie die FDP bei der Bundestagswahl abschneiden wird?

Kubicki: Bei den Meinungsumfragen liegen wir im Schnitt bei neun Prozent. Für mich viel interessanter ist aber, dass es seit mehreren Wochen schon keine Umfrage gibt, die uns hinter den Grünen sieht. Das würde mich vor allen dann ziemlich nervös machen, wenn ich, wie die Grünen, als Opposition im Bundestag sitzen würde. Dieser Vorsprung in den Umfragen erklärt dann wohl auch, warum wir seit einigen Wochen der Staatsfeind Nummer eins für die Grünen sind. Der Vorwurf an uns lautet, wir würden unmoralische Politik machen, wir würden uns vom Klimawandel verabschieden, wir seien Menschenfeinde.

Wir haben mal geguckt, was auf die Bürger zukommt, wenn die FDP mitregiert. Im Wahlprogramm steht die Wiedereinführung von Studiengebühren.

Kubicki: Ja, die Möglichkeit, einkommensabhängig nachgelagerte Studiengebühren zu erheben, steht im Wahlprogramm – als umgekehrter Generationenvertrag. Aber der Bund ist dafür nicht zuständig, das ist Ländersache. In Schleswig-Holstein wird es keine Einführung von Studiengebühren geben.

Die FDP will die gesetzliche Rente verringern.

Kubicki: Ich weiß nicht, woher Sie das haben.

Im Wahlprogramm steht: „Es ist unumgänglich, das gesetzliche Rentenniveau daran anzupassen, dass die Menschen immer älter werden.“

Kubicki: Wir wollen dazu beitragen, dass die gesetzliche Rente erhalten bleibt. Wir sind froh darüber, dass die Menschen immer älter werden. Aber angesichts dieser Entwicklung kann das System so nicht weiterlaufen. Also appellieren wir an die Menschen, privat vorzusorgen.

Die FDP will Cannabis-Konsum nicht länger bestrafen.

Kubicki: Das war der Wunsch der Jungen Liberalen. Die haben sich da durchgesetzt – gegen den Willen von Christian Lindner und mir.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat seinen Gefolgsleuten in Deutschland empfohlen, weder SPD noch CDU noch Grüne zu wählen. Kennt er die FDP nicht? Sie will die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen.

Kubicki: Möglicherweise nimmt Herr Erdogan uns nicht so ernst wie wir uns ernst nehmen. Ich würde den Deutschen mit türkischem Hintergrund auf jeden Fall empfehlen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Wenn man in einem Land lebt, in dem man frei wählen kann, hat man es besser als in vielen anderen Teilen der Welt.

Wie haben Sie diese Wahlempfehlung empfunden?

Kubicki: Als unverschämt. Ich bin der Auffassung, dass man mit Herrn Erdogan anders umgehen sollte. Es gibt Menschen, die verstehen nur die Sprache, die sie selbst sprechen. Eine Konsequenz für Herrn Erdogan hätte sein müssen, dass türkische Regierungsmitglieder für eine gewisse Zeit kein Einreisevisum für Deutschland bekommen.

Würden Sie derzeit Urlaub in der Türkei machen?

Kubicki: Nein. Ich äußere mich ja öffentlich zum Thema Türkei und möchte mich nicht dem Risiko aussetzen, dass irgendein Grenzbeamter mich festnimmt.

Wie läuft die Jamaika-Koalition in Kiel?

Kubicki: Besser, als ich es zunächst gedacht hatte. Die Voraussetzungen waren bei uns ganz gut. Hier hat es zwischen 2005 und 2009, zu Zeiten der Großen Koalition, eine professionelle Arbeitsebene zwischen Grünen und FDP gegeben, und die hat auch später Bestand gehabt. In den Koalitionsverhandlungen haben wir festgestellt, dass wir uns wechselseitig nichts Böses wollen. Die Regel lautet: Man darf niemandem etwas abverlangen, was ihn in den eigenen Reihen desavouieren könnte. Und mit den Kollegen Buchholz und Habeck haben sich bei uns zwei Alphatierchen gefunden. Die haben festgestellt, dass sie viel bewegen können, wenn sie sich einig sind.

Das alles könnte im Bund auch klappen.

Kubicki: Es gibt auf Bundesebene zwischen den Grünen und der FDP wenig belastbare Kontakte aus der Vergangenheit. Mir fehlt die Fantasie, um mir vorzustellen, wie das funktionieren könnte. Die Wahrscheinlichkeit für Jamaika in Berlin wäre deutlich höher, wenn Robert Habeck nach Berlin wechseln würde.

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Chefvisite #65: Kubicki, wie Sie ihn noch nie erlebt haben

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