Hamburg. Die Wissenschaftler untersuchen Luft und Wasser auf Giftstoffe – und darauf, wie sich der Klimawandel auswirkt.
Normalerweise ist der Berufsalltag von Holger Klein nicht so besonders spannend. Der Ozeanograf wertet Daten aus, schreibt Berichte und nimmt an Sitzungen teil. Das ändert sich aber für die kommenden drei Wochen. Denn da ist der 61 Jahre alte Mann aus Norderstedt im Dienste der Wissenschaft auf hoher See unterwegs – als Expeditionsleiter für den ersten Abschnitt einer 3600 Seemeilen langen Forschungsreise, die bereits zum 20. Mal stattfindet: Die Wissenschaftler wollen den Zustand der Nordsee untersuchen.
Das irische Forschungsschiff „Celtic Explorer“ legte jetzt vom Hamburger Süd-West-Terminal – schräg gegenüber der Elbphilharmonie – ab. Elf Wissenschaftler und Techniker vermessen im Auftrag des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) die gesamte Nordsee. An mehr als 100 Punkten entnehmen sie Wasser- und zum Teil auch Bodenproben und messen die Belastung der Luft. Das BSH erhebt die Daten für die „Gesamtaufnahme der Nordsee“ schon seit 1998, wobei sich der Aufgabenkatalog immer mehr erweitert und verfeinert hat. Die Forscher messen in drei Schichten rund um die Uhr Temperatur, Salzgehalt und Dichte des Wassers.
Schiffe müssen Schwefelausstoß senken
Getestet wird die Nordsee auch auf Nährstoffe, Spurenmetalle und organische Schadstoffe, Sauerstoffgehalt und pH-Wert. Auf der Prüfliste stehen außerdem ausgewählte künstliche Radionuklide (also radioaktiv verseuchter Atommüll), und seit einigen Jahren wird der Meeresboden mit einem feinmaschigen Schleppnetz auf sichtbare Verschmutzungen untersucht, wie zum Beispiel Mineralölprodukte und Pflanzenfette.
„Die Daten dienen einer aktuellen Zustandsbewertung der gesamten Nordsee und der Erfassung klimabedingter Veränderungen“, sagt Expeditionsleiter Klein, der seit fast 40 Jahren für das BSH zur See fährt und schon zum zehnten Mal bei der Nordseetour mit dabei ist. „So lange Zeitreihen sind gerade für klimabedingte Veränderungen von Bedeutung, da sie gering sind und sehr lange dauern.“
Starke Schwankungen
Bei den Wassertemperaturen gäbe es ständig starke Schwankungen, und nur durch langfristige Dokumentation lässt sich ein dauerhafter Anstieg erkennen. Diesen können die Forscher mittlerweile ausmachen: „Wir können sagen, dass die Nordsee in den letzten Jahren deutlich wärmer geworden ist, wie auch der gesamte Ozean sich erwärmt hat“, sagt Klein. Das sei für die Weltmeere erst einmal kein Problem. Für seine Bewohner sieht das allerdings anders aus. In den vergangenen Jahren habe die sommerliche Erwärmung häufig eher eingesetzt, während es sich im Winter immer später abkühle.
Wenn der eigentliche Winter einsetzt, habe die Nordsee ein großes Wärmereservoir, sagt der Wissenschaftler. Dadurch setze beispielsweise die Planktonblüte früher ein. Wenn dann aber die Larven der Jungfische schlüpften, die auf das Plankton als Nahrungsquelle angewiesen seien, sei es bereits abgestorben. Kälteliebende Fische wie Dorsch und Kabeljau seien bereits nach Norden abgewandert. Es würden dafür aber andere Arten nachkommen. „So ein System hat eine natürliche Variabilität – nur weil sich etwas verändert, heißt es nicht, dass es sich verschlechtert“, sagt Klein.
Etwas hat sich verbessert
Etwas hat sich sogar verbessert: „Die Umweltverschmutzung ist generell zurückgegangen, viele Schadstoffbelastungen nehmen ab“, sagt er. Allerdings nur unter Vorbehalt. Denn klassische Verschmutzungen wie durch Schwermetalle gehen zwar zurück, aber es gibt ein neues, großes Problem: „Die chemische Industrie entwickelt jedes Jahr Tausende neue Substanzen, die teilweise ins Meer gelangen und von denen wir gar nichts wissen.“ Erst wenn Schäden in der Biologie auftreten, könne gezielt danach geforscht werden. „Solange wir nicht wissen wonach wir suchen, können wir auch nichts finden.“
Schiffe durch Abgasfahne identifizierbar
Bei Luftmessungen weiß das Team dagegen, wonach es suchen muss: „Es werden Schwefeldioxid, Stickoxide und weitere Schadstoffe aus dem Schiffsverkehr gemessen“, erläutert Klein. Die Nordsee ist eine sogenannte „SECA“. Das steht für Sulphur Emission Control Area – für ein Gebiet, in dem Schwefelemissionen deutlich beschränkt sind. Mit „Luftschnüfflern“ könnten Schiffe teilweise anhand ihrer Abgasfahne identifiziert werden.
Das BSH habe in Wedel bei Hamburg bereits einen stationären „Schnüffler“. Bremerhaven und Kiel sollen folgen. Das System wird so ausgebaut, dass es direkt die Wasserschutzpolizei informiert, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden. Die Überwachung helfe aber nur im deutschen Hoheitsgebiet. „Sobald die Schiffe auf internationalen Gewässern sind, stellen sie wieder auf Schweröl um“, sagt Klein.
Der erste Abschnitt der Reise führt von Hamburg ins schottische Aberdeen und steht noch bis zum 3. September unter der Leitung des Ozeanografen. In einem zweiten Abschnitt geht es dann unter der Leitung des Meteorologen Andreas Weigelt weiter nach Kiel. Dabei werden nicht nur chemische und ozeanografische Proben in der Deutschen Bucht, sondern auch in der Ostsee entnommen. Die Reise endet am 18. September.